The Visit (2015)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Kreatives Comeback

„Ich sehe tote Menschen.“ Nicht nur eingefleischte Filmkenner dürften sofort wissen, aus welchem wirkmächtigen Hollywood-Streifen diese Offenbarung stammt. 1999 schlug der von M. Night Shyamalan geschriebene und inszenierte Mystery-Thriller The Sixth Sense ein wie eine Bombe. Besonders wegen seiner augenöffnenden Schlusswendung, die das zuvor Gesehene in neuem Licht erscheinen ließ und zahlreiche Zuschauer zu einer abermaligen Sichtung animierte. Quasi über Nacht zum Superstar aufgestiegen, legte der Macher im Anschluss allerdings eine bedenkliche Talfahrt hin. Zunächst mit angezogener Handbremse, dann immer rasanter.

Spätestens mit dem prätentiösen Science-Fiction-Blockbuster After Earth verspielte Shyamalan die letzten Sympathien im Big Business Hollywoods und wandte sich nach diesem Fehlschlag dem Fernsehen zu. Als ausführender Produzent der Mystery-Serie Wayward Pines, deren Pilotfolge er außerdem orchestrierte. Dass er das Kino trotz allem noch immer liebt, ist seinem neuen, aus eigenen Mitteln finanzierten Spielfilm deutlich anzumerken. Einer kleinen, fiesen, gleichzeitig aber auch überraschend witzigen Horrorübung, die trotz einiger Schwächen als hoffnungsvolles Comeback durchgehen kann, wie sich auch an den nordamerikanischen Kinokassen zeigt. Für schätzungsweise 5 Millionen Dollar produziert, spielte The Visit am Startwochenende bereits mehr als 25 Millionen Dollar ein.

Viele Jahre nach einem verheerenden Streit wird eine zweifache Mutter (Kathryn Hahn) von ihren Eltern kontaktiert, da sie endlich einmal ihre Enkelkinder kennenlernen möchten. Die 15-jährige Becca (Olivia DeJonge) und ihr kleiner Bruder Tyler (Ed Oxenbould) finden durchaus Gefallen an der Vorstellung, Oma und Opa zu besuchen, und machen sich schon bald auf den Weg ins ländliche Pennsylvania. Mit dabei ist auch umfassendes Video-Equipment, da die begeisterte Cineastin Becca unbedingt eine Dokumentation über ihren einwöchigen Aufenthalt drehen will. Nana (Deanna Dunagan) und Pop Pop (Peter McRobbie) bereiten ihren Enkeln einen herzlichen Empfang, weisen aber früh darauf hin, dass es unter ihrem Dach einige klare Regeln gibt. Der Keller ist für die Besucher tabu, und ab 21.30 Uhr sollen Becca und Tyler ihr Zimmer nicht mehr verlassen. Als sich merkwürdige Geräusche häufen und ihre Großeltern immer seltsamere Verhaltensweisen an den Tag legen, begibt sich das mit Kameras ausgerüstete Geschwisterpaar auf Spurensuche.

Konzipiert ist The Visit als Horrorfilm im Doku-Stil, was erst einmal nicht als großes Qualitätsargument taugt. Zu viele Found-Footage-Streifen haben es seit dem Wegbereiter The Blair Witch Project ins Kino und auf den Home-Entertainment-Markt geschafft. Und zu selten hat sich aus den vermeintlich mitreißend-authentischen Bildern ein echter Mehrwert ergeben. Auch in diesem Fall wirken die fortlaufenden Amateuraufnahmen mitunter etwas erzwungen, selbst wenn Beccas Bestreben, alles festzuhalten, klar motiviert wird. Logische Rückfragen ergeben sich vor allem im letzten Drittel, wenn das Geschehen plötzlich makaber-düstere Qualitäten erreicht, die Teenagerin ihre Kamera aber trotzdem fest umklammert hält. Darüber hinaus lässt Shyamalan seine beiden Hauptfiguren des Öfteren über das Filmemachen an sich diskutieren und driftet dabei manchmal in den Bereich des selbstverliebten Dozierens ab.

Allzu negativ fällt das allerdings nicht ins Gewicht, da es dem in den letzten Jahren arg gebeutelten Regisseur gelingt, eine seltsam-unergründliche Stimmung zu erzeugen, die mit zunehmender Dauer klaustrophobische Züge annimmt. Als Zuschauer sind wir gefangen in der eingeschränkten Perspektive der beiden Enkelkinder und werden wiederholt durchgerüttelt, wenn sich ganz plötzlich etwas Ungewöhnliches ins Bild hineinschiebt. So wie bei einem eigentlich harmlosen Versteckspiel unter dem Haus, das im Handumdrehen zu einer wilden Hetzjagd mutiert. Erstaunlich ist hier und an anderen Stellen, dass Shyamalan den unerwarteten Schrecken und die Verunsicherung häufig blitzschnell in absurde Situationskomik verwandeln kann.

Nicht zu unterschätzen ist dabei das starke Spiel der Darsteller, wobei vor allem Deanna Dunagan als gutmütig-unheimlicher Hexenverschnitt und Ed Oxenbould in der Rolle des skeptischen, leicht aufgekratzten Draufgängers zu überzeugen wissen. Anders als in vielen ähnlich gelagerten Horrorfilmen sind Becca und Tyler keine hohlen Dumpfbacken, sondern Wesen aus Fleisch und Blut, die das Drehbuch jederzeit ernst nimmt. Das unterstreicht auch das familiäre Trauma, das sich nach und nach aus der Geschichte herausschält.

Trotz vieler erstaunlich witziger Anflüge – grandios sind besonders Tylers entgeisterte Kommentare auf die Ausfälle seiner Oma – spitzt Shyamalan die beklemmend-unheilvolle Atmosphäre im abgelegenen Landhaus beständig zu und präsentiert dem Zuschauer einen bösen, in seiner Einfachheit fast schon erfrischenden Plot-Twist. Eine Wendung, die den lange Zeit Mystery-geschwängerten Film in bizarren Familienhorror kippen lässt, ohne dabei allzu viel Rücksicht auf politische Korrektheit zu nehmen. Die von Studiozwängen losgelöste Entstehung – Genre-Produzent Jason Blum und Verleiher Universal kamen erst später zum Projekt hinzu – erweist sich als Gewinn, da der Regisseur auf diese Weise seiner kreativen Energie freien Lauf lassen konnte und endlich einmal wieder ein erfreulich unberechenbares Kinoerlebnis abliefert.
 

The Visit (2015)

„Ich sehe tote Menschen.“ Nicht nur eingefleischte Filmkenner dürften sofort wissen, aus welchem wirkmächtigen Hollywood-Streifen diese Offenbarung stammt. 1999 schlug der von M. Night Shyamalan geschriebene und inszenierte Mystery-Thriller „The Sixth Sense“ ein wie eine Bombe. Besonders wegen seiner augenöffnenden Schlusswendung, die das zuvor Gesehene in neuem Licht erscheinen ließ und zahlreiche Zuschauer zu einer abermaligen Sichtung animierte.

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