The Seasoning House

Eine Filmkritik von Lida Bach

Stumme Schreie

… hallen durch das verfallene Haus, in dem Angel (Rosie Day) lebt und arbeitet. Der Balkankrieg hat der jungen Waise alles genommen, wie auch den übrigen Mädchen, die The Seasoning House bewohnen. Der Titelort von Paul Hyetts unbarmherzigem Kammerspiel ist ein Heim für weibliche Kriegsopfer: auf die perverseste und unmenschlichste Art, die sich denken lässt. In seinem brutalem Regiedebüt tut der britische Horror-Veteran mit seinem Publikum das, was Angel und den anderen Frauen wiederfuhr: er verschleppt sie in eine Hölle aus Bestialität und wortloser Verzweiflung, die eine Stimme sucht – und schließlich tödliche Tatsachen sprechen lässt.
Die Blutrache der taubstummen Protagonistin ist wohlverdient von ihrem Aufseher Viktor (Kevin Howarth) und der Kundschaft, die The Seasoning House einen Besuch abstattet. Er führt stets zu einer der Frauen, die dort als Zwangsprostituierte gefangen gehalten werden. Wie Fluchtversuche bestraft werden, führt Viktor vor, indem er eines der Mädchen vor aller Augen abschlachtet. Das grausige Exempel ist im Grunde nur ein weiterer Beweis für die gleichgültige Verrohung, aus der sich das eigentliche Grauen der filmischen Rachefantasie speist, denn in dem entlegenen Bordell sind die Mädchen ausgeliefert, geschwächt durch die täglichen Misshandlungen und eingelullt von Drogen, die Angel ihnen verabreichen muss. Ein großes Muttermal im Gesicht bewahrt sie vor dem Schicksal der anderen, gegenüber denen ihr Name einen zwiespältigen Klang annimmt. Mit Heroin dämpft Angel ihre Wahrnehmung und damit die Mitgefühle gegenüber den Neuankömmlingen, für deren Betteln ist sie buchstäblich taub. Der apathische Gehorsam, mit dem Angel ihr eigenes Elend betäuben will, bekommt Risse durch den Zeichenaustausch mit Vanya (Dominique Provost-Chalkley).

Statt sie mit Make-up notdürftig herzurichten, beschützt Angel Vanya vor einem der Soldaten, die Viktors Stammkundschaft ausmachen. Die süße Vergeltung schmeckt Angel und der Rachehunger nagt an ihr, als sie in dem Soldaten Goran (Sean Pertwee) den Mörder ihrer Familie erkennt. Es verwundert nicht, mit welcher Expertise die Gore-Szenen trotz des geringen Budgets ausgeführt sind, wenn man um Paul Hyetts mehr als ein Jahrzehnt umfassende Vorgeschichte als Spezialist für Effekte weiß. Von seiner Erfahrung profitiert neben der atmosphärischen Szenerie, die eine dumpfe Farbpalette von Gelb- und Brauntönen gleich Moder überzieht, die inszenatorische Beherrschung. Wie seine gepeinigte Heldin versteht es Hyett seine Wut zu zügeln, bis der Zeitpunkt dafür reif ist. Der drastische Schlussakt, der aus der psychologischen Folterstudie ein Rape-and-Revenge-Movie macht, betont Hyetts Zerrissenheit zwischen realistischer Anklage und reißerischem Splatter.

Die Strömungen des jungen britischen Horror-Kinos, das er als Effekt-Künstler von The Descent, Eden Lake und The Woman in Black mit formte, hallen jede auf eigene Art in seinem Regiedebüt nach. An der schonungslosen Darstellung körperlicher und seelischer Gewalt verstört die Gewohnheitsmäßigkeit, mit der Kerkermeister und Kunden sie ausüben. Erschreckender als das blutrünstige Finale, in das The Seasoning House sich auf Kosten der eigenen Eindringlichkeit hineinsteigert, sind die gedämpften Anfangsszenen. Sie lassen sich mit der bedachten Exposition so viel Zeit, wie gerade erträglich ist. Mehr würde das fiktive Grauen gegenüber der Wirklichkeit verblassen lassen. Sie lieferte Hyett in Form von Dokumentationen genug Material für eine Trilogie von Kriegsfilmen. Realisieren konnte er aus Geldmangel bisher nur das pessimistische Mittelstück, das in seinen besseren Momenten die subtilere Bildsprache des Schauermärchens vorzieht. Schlafwandlerische Ruhe lähmt zu Beginn Adam Ethringtons Kameraaufnahmen und Angel, deren Sprachunfähigkeit auf das Totgeschwiegene der realen Verbrechen hinweist.

The Seasoning House ist kein Ort, an dem sich Abgründe auftun, es ist der Abgrund. Kein Lichtblick durchdringt die ethische Finsternis, die auch Angels Gewissen längst verdunkelt hat.

The Seasoning House

… hallen durch das verfallene Haus, in dem Angel (Rosie Day) lebt und arbeitet. Der Balkankrieg hat der jungen Waise alles genommen, wie auch den übrigen Mädchen, die „The Seasoning House“ bewohnen. Der Titelort von Paul Hyetts unbarmherzigem Kammerspiel ist ein Heim für weibliche Kriegsopfer: auf die perverseste und unmenschlichste Art, die sich denken lässt.
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