The Lesson (2015)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Lern oder stirb!

Der Mensch ist des Menschen Wolf in diesem englischen Provinznest. Der 16-jährige Fin (Evan Bendall) lebt dort allein mit seinem älteren Bruder Jake (Tom Cox) und dessen Freundin Mia (Michaela Prchalová), auf die er ein Auge geworfen hat. An seine Kindheit hat er sehr durchwachsene Erinnerungen. Fin und seine Schulfreunde langweilen sich und sind gefrustet: Wenn sie überhaupt an die Zukunft denken, dann träumen sie davon, wegzuziehen. Jeden Tag tun sie böse Dinge, zerkratzen ein Auto auf dem Lehrerparkplatz, werfen Gegenstände durch die Klasse, wenn ihr Lehrer Mr. Gale (Robert Hands) über literarische und philosophische Werke mit ihnen sprechen will.
Mr. Gale sollte sich wegen seines Nervenzustands dringend krankschreiben lassen, doch er wählt in seiner Not einen anderen Weg. Er entführt zwei seiner Peiniger, Fin und Joel (Rory Coltart), und verpasst ihnen die titelgebende Lektion, einen blutigen Intensivunterricht über Rousseau, Thomas Hobbes, William Goldings Herr der Fliegen. Fin muss im Lexikon in jeweils zehn Sekunden Wörter wie Idealismus und Empathie nachschlagen, sonst bekommt er einen Nagel in die Hand gehämmert. Weil Mr. Gale keinerlei Wert darauf legte, sich zu tarnen, wird er die Lektion wohl gnadenlos bis zum bitteren Ende durchziehen wollen.

Es dauert eine ziemliche Weile, bis die als Schauspielerin bekannt gewordene Regisseurin Ruth Platt ihr Spielfilmdebüt in eine Horrorgeschichte verwandelt. Bis dahin sieht Fins Alltag wie ein verhaltenes Jugenddrama aus, ein Schwebezustand zwischen tief wurzelndem Elend und zarter Liebe zu Mia, die als Ausländerin selbst eine Art Ausgestoßene ist. Mit aktuellen Bezügen wie der Fremdenfeindlichkeit der englischen Provinz vor dem Brexit und einer kühlen Inszenierung, die aber nahe an Fin bleibt und oft seiner Perspektive folgt, wirkt der Film thematisch wie stilistisch durchaus am Puls der Zeit. Er fordert die ZuschauerInnen frühzeitig heraus, Position zu beziehen: Fin, dieser einsame Kerl, hat Anspruch auf den jugendlichen Unschuldsbonus, es muss sich doch zeigen, dass seine dummen Streiche nur eine oberflächliche Verirrung sind und sein Charakter, im Gegensatz zu dem seines Bruders, gut ist. Auf das, was Ruth Platt hingegen hier allgemein demonstriert und in der Person des Lehrers auf die Spitze treibt, nämlich die Koexistenz von Gut und Böse in einer Person, sind KinogängerInnen in der Regel weniger gefasst.

Mr. Gale gibt sich den gekidnappten Schülern als gescheiterter Idealist zu erkennen. Seine Rache fällt so grausam aus, weil er zuvor sein ganzes Herzblut in den Unterricht investierte, nur um am Sadismus seiner Zöglinge zu zerbrechen. Jetzt führt er Fin also vor, dass Lernbereitschaft auch erzwungen werden kann. Auch Mr. Gale und sein ironisch-sarkastischer Vortrag dürfen durchaus mit dem Verständnis des Publikums rechnen, das ja gesehen hat, was dieser arme Mann alles erleiden musste. Immer wieder gibt es in seinen Monologen treffende ironische Pointen. Schwarzer Humor prägt auch die Grundidee, das händeringende Pädagogen-Plädoyer an die Jugend, doch um Gottes willen endlich wieder ein Buch zu lesen, zum Motiv für ein Kapitalverbrechen werden zu lassen.

Davon abgesehen aber ist The Lesson nicht durchgehend spannend und in seinem Verlauf auch recht vorhersehbar. So fehlt diesem Regiedebüt das gewisse Etwas, wie es entweder ein deutlicheres Bekenntnis zur Verrücktheit oder eine stärkere Vertiefung in die Hauptcharaktere hätte bewirken können. Die Geschichte reproduziert selbst weitgehend die Erfahrung von Fin und Mr. Gale, dass sich niemand für ihr Seelenleben interessiert. Die einzige Ausnahme bildet die zarte Romanze von Fin und Mia. Aber ansonsten herrscht einfach nur die krude, opportunistische Macht des Stärkeren, wie sie schon Thomas Hobbes überall beobachtete.

The Lesson (2015)

Der Mensch ist des Menschen Wolf in diesem englischen Provinznest. Der 16-jährige Fin (Evan Bendall) lebt dort allein mit seinem älteren Bruder Jake (Tom Cox) und dessen Freundin Mia (Michaela Prchalová), auf die er ein Auge geworfen hat. An seine Kindheit hat er sehr durchwachsene Erinnerungen. Fin und seine Schulfreunde langweilen sich und sind gefrustet: Wenn sie überhaupt an die Zukunft denken, dann träumen sie davon, wegzuziehen.
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