Taxi Driver

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

Abgründe einer Identifikation

Es sind zwei gegensätzliche Pole, die Taxi Driver fast 40 Jahre nach seinem Erscheinen zu einem der großen Klassiker der Filmgeschichte machen, der nicht im Regal verstaubt, sondern immer wieder neue Generationen von Filmliebhabern begeistert und verstört. Wir müssen diese beiden Pole immer wieder betrachten, um nicht zu vergessen, dass sich die enorme Kraft des Kinos von Martin Scorsese genau zwischen ihnen entfaltet. Eine Kraft, die bis zum heutigen Tag nichts von ihrer Fulminanz verloren hat.
Auf der einen Seite steht die Glorie einer Identifikation. Sie hängt am Hauptdarsteller Robert De Niro, der hier in die immerwährende, nervöse Nacht des Protagonisten Travis Bickle schlüpft wie in eine neue Haut, so dass uns Bickle in seiner Einsamkeit, mit seinen Begierden, seiner Unbeholfenheit oftmals wie der Heilige vorkommt, zu dem er letztlich im Film stilisiert wird. Eine Kultfigur, ein Taxifahrer ist Travis Bickle, eine Kreatur der Nacht, die derart stark über Identifikation funktioniert, weil De Niro eine unfassbare, fast transzendierende Präsenz entfaltet, weil er Bickles Gedanken nur mit uns zu teilen scheint und weil er immer wieder in den Spiegel blickt: In den berühmten Spiegel in seiner heruntergekommenen Bude, in der es gleichzeitig leer und voll sowie heiß und kalt zu sein scheint, und in den er sagt: „Are you talkin‘ to me?“; in den Rückspiegel seines Taxis, in dem er nichts als Abschaum zu sehen vermag; und in die Spiegelungen der Pfützen auf den nassen Straßen New Yorks, die nicht den Himmel zeigen, sondern ein Meer aus Ungerechtigkeit und Missverständnissen.

Dieser Mann ist eine verlorene Seele. Er fährt Taxi, er lernt eine junge Wahlkampfhelferin namens Betsy (Cybill Shepherd) kennen, er bleibt einsam. Er trifft den Senator, er besucht eine Wahlkampfveranstaltung des Senators, er begegnet einem Mann, der eine Frau umbringen will. Dann kauft er sich eine Waffe, er plant ein Attentat auf den Senator, aber er lernt auch die minderjährige Prostituierte Iris (Jodie Foster) kennen. Er bleibt einsam, tötet einen Räuber, der ein Geschäft überfallen will. Sein Attentat scheitert. Stattdessen plant er die Befreiung von Iris, die davon nichts hören will, sie schmiert Marmelade auf ihre Brötchen. Travis erschießt den Zuhälter (Harvey Keitel), er erschießt fast alle, wird selbst verletzt, ein Amoklauf. Doch Travis wird von den Medien gefeiert, er ist ein Held. Das ist die Fiktion von und in Taxi Driver, der Traum einer falschen Welt, die ihre Übersteigerung in den hell erleuchteten, ja weißen Frauenfiguren findet, die wie die Unschuld selbst ein beinahe christliches Ideal über dem Film schweben lassen.

Wie nahe der Abgrund ist, zeigt sich, als Travis Betsy in ein Pornokino führt. Darin drückt sich letztlich nicht nur seine Unbeholfenheit aus, sondern auch genau dieser Gegensatz zwischen Himmel und Hölle, Liebe und Hass oder Zärtlichkeit und Gewalt. Und dann führt die Identifikation auf die andere Seite, aus ihr wird eine Verstörung, ein Abgrund. Scorsese hat dieses Spiel oft in seiner Karriere gespielt, in GoodFellas sagt (natürlich) Robert De Niro, dass er im Kino immer zu den Bösewichten halten würde. Taxi Driver findet ein filmisches Pendant zum unreliable narrator der Literatur. Es ist in dieser Beunruhigung, in der wir unseren eigenen Gefühlen und der Fiktion von Taxi Driver nicht mehr glauben können, in der sich die fast romantisch anmutende Jazz-Musik von Bernard Herrmann, in seiner letzten Arbeit als Komponist, mit virtuosen Disharmonien ergänzt, in der eine Verstörung in unseren Blick gerät, der uns die Schizophrenie nicht nur dieser Figur, sondern letztlich der ganzen tiefamerikanischen, post-fordianischen Stadtwüste und unserer Identifikation mit ihr offenbart. Es ist kein Wunder, dass der Komponist von Filmen wie Psycho die richtigen Töne dafür findet.

Jedoch darf man nicht glauben, dass Scorsese sich zum Moralapostel aufschwingt und hier einen der beiden Gegensätze gegen den anderen ausspielt. Nein, das hat er noch nie gemacht, und das macht sein Kino auch so gefährlich (im allerbesten Sinn). Scorsese treibt viel zu sehr in der Wahrnehmung seines Protagonisten. Die Bilder des Films wirken wie durch die trüben Augen von Bickle betrachtet. Nasse Farben, ein erdrückender Sog, in den nervöse Schnitte einer Leere und Verunsicherung schießen. Man vergisst oft, dass Taxi Driver eine durch und durch subjektive Weltsicht etabliert, die in den Augen einer Figur besteht; der Film ist sozusagen die Dokumentation eines Blicks auf eine kaputte Welt oder die Dokumentation eines kaputten Blicks auf eine Welt.

Taxi Driver ist einer der Höhepunkte einer anderen Zeit des amerikanischen Kinos, einer Zeit, die man heute New Hollywood nennt und die bald nach dem Erscheinen des Films ihr utopisches Potenzial aufgeben musste, auch wenn sie bis heute noch in manchem Filmemacher (genannt seien hier Paul Thomas Anderson oder James Gray) überlebt, aber geschluckt wurde von einer Industrie, die nicht anders kann. Es ist eine Zeit, in der ein Held in Ambivalenz überleben konnte, in der die extreme Emotionalität innerer Konflikte und die äußere Welt samt ihrer politischen Probleme (Vietnam, Watergate etc.) nicht in einen kohärenten Zusammenhang gebracht werden konnten und mussten, in der die Kamera sich abwenden durfte von den Handlungen und der Welt; eine Zeit in der es zu plötzlichen Ausbrüchen kommen konnte und man nicht in seiner eigenen Einsamkeit getröstet wurde, sondern mit ihr durch das Treibgut des Kinos schwamm, verloren wie ein ruhiges Pulverfass in einem reißenden Strom. Oder wie Robin Wood es einmal formulierte, eine Zeit, in der Filme vor unseren Augen aufzubrechen schienen.

Die Gegensätze, die es bei Scorsese praktisch immer gab, sind hier deutlich stärker ausgearbeitet als in den Arbeiten, die Taxi Driver vorausgingen. Das liegt zum einen an der Zusammenarbeit mit Paul Schrader, der sich für das Drehbuch verantwortlich zeigt und zwar die gleiche Begeisterung wie Scorsese für die verirrte und spirituelle Heldenreise des modernen Kinos eines Robert Bressons oder John Fords hatte, sicherlich aber auch einen anderen Blick auf die Welt hatte als der junge Regisseur. Schrader galt und gilt in manchen Kreisen noch immer als einer der Wortführer innerhalb einer bestimmten amerikanischen Cinephilie, die Reibungen zwischen ihm und Scorsese sind in den inneren Konflikten von Bickle spürbar. Zum anderen werden die Gegensätze und seelischen Kämpfe im Film auch deshalb so greifbar, ja, fast körperlich spürbar, weil Scorsese die Gewalt lange Zeit zurückhält und in der drückenden Schwebe einer Antizipation verharrt statt sie wie in Mean Streets, Who’s that knocking at my door? oder auch – in zugegeben sehr unterschiedlicher Art und Weise – in Alice doesn’t live here anymore in der spielerischen, von der Nouvelle Vague inspirierten, filmischen Anarchie einer ungeheuren Rock’n’Roll-Bewegungslust seiner Drifterfilme zu entfesseln. Auch sein späteres Werk beherbergt diesen weiteren Gegensatz zwischen einem immerwährenden Bewegungsdrang und Innehalten, der sich in Taxi Driver vielleicht am besten zeigt, als Bickle seinen Fernseher ganz langsam mit den Füßen vom Tisch schubst. Man könnte versucht sein zu sagen, dass Scorsese mit Taxi Driver seine Sprache gefunden hat, aber dann würde man ihm seine herausragende Qualität absprechen, nämlich das Phänomen, das er immer noch nach ihr sucht, hungrig, rastlos und mutig in einer Ekstase zwischen den Extremen.

Taxi Driver

Es sind zwei gegensätzliche Pole, die „Taxi Driver“ fast 40 Jahre nach seinem Erscheinen zu einem der großen Klassiker der Filmgeschichte machen, der nicht im Regal verstaubt, sondern immer wieder neue Generationen von Filmliebhabern begeistert und verstört. Wir müssen diese beiden Pole immer wieder betrachten, um nicht zu vergessen, dass sich die enorme Kraft des Kinos von Martin Scorsese genau zwischen ihnen entfaltet. Eine Kraft, die bis zum heutigen Tag nichts von ihrer Fulminanz verloren hat.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen