Tango libre

Eine Filmkritik von Paul Collmar

Auf dem rutschigen Parkett des Lebens

Selbst wer ein gewiefter Tänzer ist, kann auf dem blank gebohnerten Parkett schnell einmal ausgleiten. Um wie viel schwerer müssen dann erst jemandem die Schritte fallen, der nicht so geübt ist in den Dingen des Lebens, der buchstäblich in einem Gefängnis feststeckt, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint? Zumal dann, wenn es sich um so einen schwierigen wie gefühlvollen Tanz wie den Tango handelt. Der belgische Regisseur Frédéric Fonteyne (Eine pornographische Beziehung) hat aus dieser Konstellation einen Film gemacht, der zwischen Melancholie und Heiterkeit ebenso hin und her tänzelt wie auch zwischen verschiedenen Genres.
Jean-Christophe (François Damiens) ist ein Gefängniswärter, wie er einer Dienstanweisung für jenen Berufsstand entsprungen sein könnte: Still und leise, ständig beobachtend, alles kontrollierend und dabei unscheinbar bis an die Grenze des Nichtmehrwahrnehmbaren verübt er seinen Job – und genauso lebt er auch. Denn aus den Eigenschaften, die er den Häftlingen gegenüber anwendet, kommt er auch auch im Privatleben nicht hinaus. Doch es gibt etwas – eine Leidenschaft wäre wohl zuviel gesagt -, das nicht so recht ins Bild passt, das man von diesem Mann hat. Und natürlich passt es auch nicht in sein Selbstbild. Dieses Faible von JC (so nennen ihn seine Kollegen im Knast) ist das Tangotanzen, dem er sich anfangs wenig geschmeidig annähert. Dann aber lernt er bei seinem Kurs Alice (Anne Paulicevich) kennen und verliebt sich (natürlich) in die attraktive Frau. Richtig kompliziert wird es allerdings ganz von alleine, denn Jean-Christophe trifft die Angebetete schneller wieder, als ihm das lieb wäre. Oder um präziser zu sein: Er trifft sie an einem Ort wieder, der wenig romantisch ist – im Knast, wo sie nicht nur ihren Ehemann Fernand (Sergi López mit ultrafiesen Koteletten) sondern auch dessen Freund (und ihren Liebhaber) Dominic (Jan Hammenecker) besucht. Und als wäre das nicht schon sowieso kompliziert genug, muss Jean-Christophe auch noch zur Kenntnis nehmen, dass es noch einen weiteren männlichen Rivalen gibt – Alices 15-jährigen Sohn (Zacharie Chasseriaud). Was für ein Chaos für jemanden, der nichts so sehr liebt wie die Ordnung und die Kontrolle über die Dinge und das Leben. Dank der entstehenden Eifersüchteleien und dem legendären Ruf, der dem Tango anhaftet, schafft der Tanz bald schon den Sprung über die Mauern mitten ins Gefängnis hinein, wo sich ein Argentinier als wahrer Meister des Tangos erweist, der schnell die tristen Verhältnisse im Knast zum Tanzen bringt.

Das Drehbuch zu diesem turbulenten Reigen stammt von Anne Paulicevich, die sich hier gewissermaßen die Rolle der Alice (es ist ihre erste Hauptrolle in einem Spielfilm) selbst auf den Leib geschrieben hat. Dass sie das Zeug für die Rolle mitbringt, wird umso deutlicher, wenn man erfährt, dass sie zuvor lange Jahre als Tänzerin für verschiedene Kompagnien gearbeitet hat.

Dennoch ist Tango libre keine One-woman-show geworden. Vielmehr lebt der Film von dem gesamten Ensemble und einer sehenswerten Figurenkonstellation, die immer wieder neue Paarungen hervorbringt und eine beeindruckende Vielfalt von Genres streift, ohne dass man dabei den Eindruck bekäme, der Film sei überfrachtet oder überambitioniert. Vielmehr fügt sich die Geschichte und auch die Stilistik des Films, die in manchen Momenten an die Werke Ari Kaurismäkis erinnert, wunderbar leicht und natürlich zusammen zu einem Film, der Spaß macht und auf fast schon schwebende Weise unterhält.

Tango libre

Selbst wer ein gewiefter Tänzer ist, kann auf dem blank gebohnerten Parkett schnell einmal ausgleiten. Um wie viel schwerer müssen dann erst jemandem die Schritte fallen, der nicht so geübt ist in den Dingen des Lebens, der buchstäblich in einem Gefängnis feststeckt, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint? Zumal dann, wenn es sich um so einen schwierigen wie gefühlvollen Tanz wie den Tango handelt.
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