Tag

Eine Filmkritik von Patrick Wellinski

Das Leben ist surreal

Jegliche Erwartungshaltung gegenüber einem Sono-Film wird von vornherein enttäuscht. Selbstverständlich gilt das auch für seinen Film Tag.
Zum ersten Schock werden schon die kleinen Filmchen, die die Produzenten des Films vorstellen. Es sind ganz große Namen. Das renommierte und weltbekannte japanische Filmstudio Shochiku ist dabei und Hollywood, ja, Hollywood – in der Form von Universal. Was soll das heißen? Sion Sono goes Mainstream? Kommerzielles Kino vom Kommerzhasser? Irgendwie ja und irgendwie nein. Sono, dieser Fuchs, hat sich wieder einmal ausprobiert, hat Grenzen überschritten und wollte höchstwahrscheinlich einmal richtig viel Produktionsgeld zur Verfügung haben. Das Resultat ist Tag.

Dieser Film beginnt mit einem Knall. Zwei Busse mit Schülerinnen einer Mädchenschule fahren eine idyllische Landstraße entlang. Die Mädchen sind entspannt, machen eine absurde Kissenschlacht, bis auf die stille Mitsuko. Sie schreibt Gedichte, wobei ihr der Stift runterfällt. Das rettet ihr Leben, denn in dem Moment, in dem sich Mitsuko nach dem Stift beugt, zerschneidet (!) ein mörderischer (!!) Wind (!!!) die Busse. Alle Mädchen und Betreuerinnen werden halbiert. Der Wind macht Jagd auf Mitsuko. Auf der Flucht werden noch ein paar Radfahrerinnen halbiert. Und dann findet sich das Mädchen wieder in der Schule. Alle sind wieder am Leben. Mit drei Freundinnen rennt sie an den See. Die altkluge Sur erklärt Mitsuko die altbekannte Theorie der parallelen Universen und entlässt die Mädchen mit den Leitspruch des Films: Das Leben ist surreal. Lasst euch nicht davon beirren.

Naja, und dann eröffnen die Lehrerinnen der Mädchenschule das Feuer auf die Mädchen und dann ist da wieder der Killerwind und dann ist Mitsuko eine Killerbraut, die gegen Bikini-tragende Ninja-Frauen kämpfen muss und eine Marathonläuferin ist sie dann auch und dann …

Genau: Wir sind ja weiterhin im Sono-Universum. Alles Absurde kulminiert hier mit der altbekannten Lust an total überzeichneten Gewaltexzessen, die jegliche Stille und Poetik, die noch in Love & Peace zu Tage traten, an die Seite drängt. Tag ist ein cleverer Film, der im Hintergrund etwas verhandelt, das unseren Kinodiskurs schon seit langem beschäftigt. Es geht um den männerdominierten Blick auf die Frau. Sono dekonstruiert ihn und führt ihn vor. Er inszeniert einen Film, in dem – bis auf die letzte Szene – keine Männer vorkommen. Es dauert übrigens, bis man das merkt. Und Mitsuko und ihre vielen unterschiedlichen Inkarnationen stehen natürlich für etwas. Schließlich stellt sie sich permanent die Frage, wer sie eigentlich ist und wer sie steuert und wer etwas gegen ihr Glück haben könnte.

Eine fiktionale Figur übt da den Aufstand. Gegen das Drehbuch, gegen den Regisseur aber auch gegen das Medium selbst. Nicht umsonst gibt es in einer aberwitzigen Szene einen Moment, der als augenzwinkerndes Zitat an Matrix verstanden werden will. Wenn Mitsukos Freundin sie bittet, einen roten und einen blauen Draht, der sich durch ihren Körper zieht, aus ihren Adern zu reißen und sich so den Weg in die Freiheit zu bahnen. Rot oder blau. Warum kann Mitsuki in keinem Universum glücklich sein? Und das, obwohl sie keine Männer und die dazu gehörenden Strukturen erdrücken? Am Ende bietet Sono auch eine Auflösung. Mitsuko als fremdbestimmter Charakter, der sich seinem Schöpfer entgegenstellt. Und dann ihr Schrei: Warum lasst ihr uns nicht so sein, wie wir sein wollen?

Der ganze Film ist eine einzige brachialfeministische Metapher. Eine, die nur von Sono kommen kann, so überraschend, clever und klar. Dabei bietet er auch keine Lösungen. Tag ist eben kein Exorzismus. Er bietet keinen Ausweg auf die problematische Frauendarstellung in Film und Fiktion. Doch sein Blick bleibt am Ende sehr grimm und pessimistisch. Was übrig bleibt, ist ein hoch irritierender Sono-Film. Gelungen oder plump? Keine Ahnung. Es bleibt ja irgendwie ein Sono-Film.

Tag

Jegliche Erwartungshaltung gegenüber einem Sono-Film wird von vornherein enttäuscht. Selbstverständlich gilt das auch für seinen Film „Tag“.
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