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Die Lebensgeschichte des an Polio erkrankten Robin Cavendish, der zu einem Kämpfer für die Rechte körperlich behinderter Menschen avancierte, ist fraglos beeindruckend. Wird Andy Serkis in seinem Regiedebüt dieser faszinierenden Persönlichkeit gerecht?

Solange ich atme (2017)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Zurück ins Leben

Stutzig machen sollte eigentlich schon der deutsche Verleihtitel, der ein wenig nach seichter, sonntäglicher ZDF-Primetime-Unterhaltung klingt. In seinem ersten Film als Regisseur schildert Motion-Capture-Spezialist Andy Serkis, der untere anderem Gollum und King Kong seine Mimik und seine Bewegungen lieh, die bemerkenswerte Lebensgeschichte des vom Schicksal schwer gebeutelten Robin Cavendish. Statt eines tiefschürfenden, emotional mitreißenden Porträts erwartet das Publikum allerdings ein schmalziges Drama ohne Ecken und Kanten.

Als der britische Geschäftsmann Robin Cavendish (Andrew Garfield) in den 1950er Jahren der attraktiven Diana Blacker (Claire Foy) begegnet, ist es Liebe auf den ersten Blick. Schon kurz nach ihrer Hochzeit zieht es die beiden nach Kenia, wo Robin als Tee-Einkäufer arbeitet. Die Geburt ihres Sohnes scheint das Familienglück perfekt zu machen. Doch dann werden die Cavendishs durch eine schreckliche Diagnose aus der Bahn geworfen.

Im Alter von gerade einmal 28 Jahren erkrankt Robin an Polio und ist fortan vom Hals abwärts gelähmt und noch dazu auf ein spezielles Beatmungsgerät angewiesen. Obwohl die Ärzte ihm nur wenige Monate geben, kämpft er nach dem ersten Schock tapfer gegen die Prognosen an und erhält die volle Unterstützung seiner Gattin. Diana weicht nicht von Robins Seite, bringt ihn zurück nach England und trägt entscheidend dazu bei, dass er trotz seiner Einschränkungen wieder Freude am Leben hat. 

Einen Film über Cavendish, seine Durchsetzungskraft und die große Liebe zwischen ihm und seiner Ehefrau zu drehen, ist durchaus reizvoll. Auch, weil sich der Polio-Patient im Laufe der Zeit zu einem Vorreiter im Ringen für die Rechte körperlich behinderter Menschen entwickelte. Eine Leistung, die hohe Anerkennung verdient und beweist, was möglich ist, wenn man dem Schicksal die Stirn bietet. Leider konzentrieren sich Regiedebütant Andy Serkis, sein Freund und Produzent Jonathan Cavendish, der Sohn der Hauptfigur, und Drehbuchautor William Nicholson (Everest) vorrangig auf die erbaulichen, schönen Seiten der abwechslungsreichen Biografie. Während die Höhen stets umfassend beleuchtet und in überzuckerte, verkitschte Bilder gepackt werden, fristen die Tiefen ein kümmerliches Dasein, was die Protagonisten etwas eindimensional erscheinen lässt.

Beispielhaft sind schon die Momente nach der grausamen Diagnose. Zunächst gestattet der Film Robin einige düstere Gedanken und lässt ihn einen Todeswunsch zum Ausdruck bringen. Die depressive Phase zieht dann allerdings erstaunlich rasch vorüber. Ähnlich verhält es sich auch im weiteren Verlauf. Abgründe, alltägliche Schwierigkeiten und Rückschläge, die es sicherlich gegeben hat, bleiben weitestgehend außen vor, womit Solange ich atme die Chance verpasst, das Profil der beteiligten Personen zu schärfen und den Zuschauer ernsthaft zu involvieren.

Die schon am Anfang betont heimelige Inszenierung und die leuchtend warme Optik behalten Serkis und seine Mitstreiter konsequent bei und scheuen nicht vor einfachsten Manipulationsmitteln zurück. Robins erste Fahrt in einem neu entwickelten Rollstuhl etwa wird begleitet von Triumphmusik, die einem die Besonderheit des Augenblicks allzu deutlich unter die Nase reibt. Immer wieder trägt das Biopic unangenehm dick auf und schafft es gerade deshalb nicht, die gewünschten Gefühle auszulösen.

Was mit einem differenzierteren Ansatz machbar gewesen wäre, kommt vor allem gegen Ende zum Vorschein, wenn die bis dahin stets aufopferungsvolle Diana ihrem Mann seinen Egoismus vorhält. Einmal mehr ist diese Szene jedoch bloß ein kurzzeitiger Missklang, der in Windeseile verblasst. Dass Serkis dem Vater seines Freundes Jonathan ein filmisches Denkmal setzen will, ist sicher nicht verwerflich. Bedauern muss man aber dennoch die seichte Art und Weise seiner Aufarbeitung, die dem im Zentrum stehenden Kämpfer, seiner starken Ehefrau und ihrem Einsatz für Behinderte nur sehr bedingt gerecht wird.

Solange ich atme (2017)

Als Robin Cavendish an Polio erkrankt und infolgedessen nicht mehr selbstständig atmen kann, scheint er dazu verdammt zu sein, den Rest seines Lebens in einem Krankenhausbett zu verbringen. Doch er und seine Frau wollen sich damit nicht so einfach abfinden: Gemeinsam entwickeln sie einen Rollstuhl, der es Robin erlaubt, sich mit seinem Atemgerät frei zu bewegen. Und diese Freiheit wollen sie auch anderen Polio-Kranken zukommen lassen. 

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Meinungen

Marti Zopick · 21.08.2020

Eine wahre Geschichte, die wohl zweierlei Ziele verfolgt: man kann einem Schwerstkranken – wenn er es will – für eine gewisse Zeit sein Leben verlängern und – wenn er es will - auch einen menschenwürdigen Abgang ermöglichen.
Beides ist Robin Cavendish (Andrew Garfield) passiert: vom sportlichen, jungen Mann zum Pflegefall im Rollstuhl, der auf Grund von Polio vom Hals abwärts gelähmt war. In den 30er Jahren gab es noch kein Medikament gegen die Kinderlähmung, wie diese Krankheit damals volkstümlich genannt wurde.
Robin verliebte sich in Diana (Claire Foy), die ihn bis zu seinem Tod liebevoll pflegte.
Der Rollstuhl wird immer besser und komfortabler, Robin wurde Vater. Er schwankt zwischen einem selbstbestimmten Tod und einer Zustimmung zur Verlängerung seines Lebens, was Diana verlangte (‘Dein Leben ist mein Leben!‘)
Die Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes mit Blutsturz und mechanischem Beatmungsausfall, wird realistisch gezeigt. Gegen Ende als es Ernst wird, kann man den Griff zum Taschentuch kaum vermeiden.
Als palliativem Score dienen Lee Marvins ‘Wondering Star‘ und Bing Crosbys ‘True Love‘ Und wie im richtigen Leben sollen vor dem eigenen Tod nochmals Bilder und Szenen aus dem Leben vor dem geistigen Auge vorbeiziehen. Hier auch. Ein Mutmacher also für einen selbstbestimmten Tod. Anfangs lustig, gegen Ende tränenreich, und immer parteiergreifend.