Snowpiercer (2013)

Eine Filmkritik von Gregor Torinus

Im Schnellzug durch die Eiszeit

Wenn man an intelligente und wegweisende Genrefilme aus Korea denkt, dann fällt einem wahrscheinlich nach wie vor als erstes der Name Park Chan-wook (Oldboy, Lady Vengeance) ein. Deshalb war es nur eine Frage der Zeit, dass der smarte Auteur, der als sein größtes künstlerisches Vorbild keinen anderen Filmemacher, sondern Kafka nennt, seinen ersten Hollywoodfilm realisieren würde. Letztes Jahr war es dann soweit und Stoker kam in die Kinos. Obwohl der Film zumindest visuell erneut großartig ist, wurde nicht ganz zu unrecht kritisiert, dass der erste amerikanische Film des Koreaners für dessen Verhältnisse ein wenig an Biss verloren hatte.

Das sollte Park Chan-wook auch deshalb sehr ernst nehmen, da ihm inzwischen unübersehbar starke Konkurrenz aus dem eigenen Lande entgegentritt. Es ist der Regisseur Bong Joon-ho der erstmalig 2003 mit seinem innovativen Anti-Thriller Memories of Murder Aufsehen erregte und der drei Jahre später mit dem Monsterfilm The Host den bis dato in Korea kommerziell erfolgreichsten Film überhaupt aus der Taufe hob. So ist es kein Wunder, dass Bong Joon-ho jetzt mit dem Science-Fiction-Film Snowpiercer ebenfalls seinen ersten Film fern der koreanischen Heimat gedreht hat. Er hat da im Prinzip sogar einiges besser, als Park Chan-wook mit Stoker gemacht. Doch genau das könnte diesem herausragenden Film noch den höchst unverdienten Todesstoß versetzen. Doch zuerst einmal alles der Reihe nach…

Snowpiercer basiert lose auf der Graphic Novel Schneekreuzer von Jacques Lob und Jean-Marc Rochette. Im Jahre 2014 ist die globale Erwärmung bereits derart bedrohlich vorangeschritten, dass man zur Ergreifung radikalster Gegenmaßnahmen bereit ist. Man schießt zwecks Temperatursenkung ein Kältemittel in die obersten Schichten der Atmosphäre. Der Effekt ist eine neue Eiszeit, welcher fast die gesamte Menschheit zum Opfer fällt. Die einzigen Überlebenden sind die wenigen Hundert Passagiere eines futuristischen Schnellzuges, dem „Snowpiercer“. Dieser bewegt sich auf einem gewaltigen Schienennetz, das einmal den gesamten Globus umspannt. Durch ein ausgeklügeltes System ist der Zug nicht nur energetisch autark, sondern schafft gerade aufgrund seiner permanenten Bewegung einen geschlossenen Energiekreislauf. So befindet sich der Zug auch noch im Jahre 2031 in ununterbrochener rasanter Bewegung.

Das sind bereits 17 lange Jahre und somit entschieden zu viel für die Passagiere der dritten Klasse. Diese hausen völlig verdreckt in den fensterlosen, barackenartigen hinteren Abteilen und bekommen ausschließlich widerlich glibbrige, schwarze Proteinblöcke als Nahrung zugeteilt. Der Zugang zum Rest des Zuges ist ihnen verwehrt. Die verschlossenen Türen werden von bewaffneten Soldaten bewacht. Den berühmt-berüchtigten Konstrukteur und Zugführer Wilford (Ed Harris) kennen sie nur vom Hörensagen. Wenn er ihnen etwas mitzuteilen hat, so geschieht dies ausschließlich über seine Assistentin Mason (Tilda Swinton). Schließlich kommt es zu einem Aufstand, angeführt von Curtis (Chris Evans) und dem jüngeren Edgar (Jamie Bell) und unterstützt von dem ehemaligen Konstrukteur sämtlicher Zugtüren Namsoong (Song Hang-ko). Nachdem jener aus dem zuginternen Gefängnis befreit ist, arbeiten sich die Aufständischen unaufhaltsam in Richtung Spitze des Zuges vor.

Snowpiercer ist ein hervorragendes Beispiel für einen Film, bei dem sich Form und Inhalt entsprechen. Die Art des Settings gibt hier auch die Dramaturgie vor. Die Handlung beginnt ein wenig schwerfällig in den schmutzigen Abteils der dritten Klasse. Die Grundprämisse, dass Hunderte von Menschen über fast 18 Jahre hinweg nichts Besseres zu tun haben als immer mit dem Zug im Kreis zu fahren – auch wenn der Kreis hier der gesamte Erdumfang ist – ist nicht unbedingt eine Idee, die einem bei näherem Nachdenken tatsächlich einleuchten muss. Hinzu kommt eine extrem plakative Schwarzweißzeichnung – und dieser Begriff ist hier einmal ganz wörtlich gemeint – der Charaktere. Das Bild, das sich darbietet, ist das einer fast archaischen gesellschaftlichen Zweiteilung zwischen einer ausgebeuteten und unterprivilegierten Unterschied und einer arroganten und dekadenten Oberschicht. Es ist ein Entwurf, wie er in filmischen Dystopien seit Fritz Langs Überklassiker Metropolis (1927) bis hin zu dem erst vor kurzem erschienen Elysium (2013) bereits fast unendlich oft wiederholt wurde.

In Snowpiercer ist der Herrscher dieser Oberschicht sogar so abgehoben, dass er selbst niemals persönlich in Kontakt mit dem Pöbel der dritten Klasse tritt. Doch wenn man von seiner überaus durchgeknallten Vertreterin Mason (Tilda Swinton) auf den ominösen Wilford (Ed Harris) zurückschließen darf, dann ist ziemlich sicher, dass der geniale Konstrukteur so manche Schraube sehr locker sitzen hat. Diese Mason ist auch der erste große Irritationsfaktor im Film. Bis sie erscheint, glaubt man noch, sich in einem sich einen sozialkritischen Anstrich gebenden, realistisch-futuristischen Actionfilm zu befinden. Aber Tilda Swinton als Mason ist mit ihrem fatalen Überbiss, ihren seltsamen Verrenkungen und ihrem gesamten absurden Gehabe derart over-the-top, dass sie eher einem Film wie Tim Burtons Mars Attacks! (1996) entsprungen zu sein scheint. Diese Mason liefert einen guten Vorgeschmack auf so manche absurd-surreale Szenerie, die sich auf dem Vormarsch zur Spitze des Zuges noch auftun wird.

Genaueres hierzu zu sagen, würde einen guten Teil des Spaßes am Film verderben. Deshalb nur so viel: Dieser Zug ist wie ein extravaganter Weihnachtskalender, bei dem sich hinter jeder Tür eine neue Überraschung verbirgt, die umso pompöser ausfällt, je näher man sich dem letztendlichen Ziel annähert. Aber das Beste ist, dass am Ende alles ganz anders ist, als man die ganze Zeit über gedacht hat. An diesem Punkt überwindet Snowpiercer die bereits reichlich ausgelutschte Linearität und Schwarzweiß-Dramaturgie und entpuppt sich als ein selten smartes Exemplar feinster Science-Fiction, welches das Potential zu einem bleibenden Klassiker hat. Bong Joon-ho hat hier offensichtlich wirklich alles richtig gemacht! Da der Film kein Hollywood-Produkt, sondern eine internationale Produktion ist, hat der Regisseur auch all die englischsprachigen Stars bekommen können, ohne Abstriche bei seiner künstlerischen Vision machen zu müssen. Darüber hinaus hat der Regisseur mit Song Hang-ko als Namsoong und Ko Asung als Yona sogar das Vater-Tochter-Gespann aus The Host für Snowpiercer reaktivieren können. Aber nicht nur das: Er lässt Song Hang-ko in dieser englischsprachigen Produktion auch noch ganz dreist einfach Koreanisch sprechen. Die Übersetzung ins Englische übernimmt einfach ein skurriles, an seinen Kehlkopf gehaltenes Übersetzungsgerät.

Den einzigen Fehler, den Bong Joon-ho begangen hat ist, dass er den Vertrieb des Films in den USA und der restlichen englischsprachigen Welt ausgerechnet Harvey „Scissorhands“ („Scherenhände“) Weinstein anvertraut hat. Dem berüchtigten Hollywood-Mogul ist Snowpiercer offensichtlich zu intelligent, weshalb er den Film für das amerikanische Publikum gleich um 20 Minuten kürzen will. Herausfallen sollen natürlich nicht die streckenweise recht derben Gewaltszenen, sondern die oft tiefsinnigen Dialoge. Denn wenn sich ein Mann in Iowa einen Actionfilm angucken geht, dann hat da laut Weinstein eben auch Action drin zu sein! Alles andere wäre schlicht geistige Überforderung! Bong Joon-ho sieht das jedoch anders und hat deshalb Einspruch eingelegt, weshalb Weinstein den Vertrieb des Films in allen Ländern, für die er zuständig ist, nun seinerseits auf unbeschränkte Zeit auf Eis gelegt hat. Doch in Deutschland kommt Snowpiercer zum Glück vollkommen ungeschnitten ins Kino. Deshalb sollten sich hierzulande auch möglichst viele Zuschauer dieses herausragende Werk ansehen und auf diese Weise Widerstand gegen den gestörten Lenker an der Spitze üben!
 

Snowpiercer (2013)

Wenn man an intelligente und wegweisende Genrefilme aus Korea denkt, dann fällt einem wahrscheinlich nach wie vor als erstes der Name Park Chan-wook („Oldboy“, „Lady Vengeance“) ein. Deshalb war es nur eine Frage der Zeit, dass der smarte Auteur, der als sein größtes künstlerisches Vorbild keinen anderen Filmemacher, sondern Kafka nennt, seinen ersten Hollywoodfilm realisieren würde. Letztes Jahr war es dann soweit und „Stoker“ kam in die Kinos.

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