Simpel (2017)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Zu einfach für eine gute Geschichte

Ben (Frederick Lau) hat schon immer auf seinen kleinen Bruder aufgepasst, so wie auch jetzt noch, obwohl Barnabas, genannt Simpel (David Kross), 22 Jahre alt ist. Als die Mutter ihrer Krebserkrankung erliegt, bemüht sich Ben um das Sorgerecht für den geistig behinderten Bruder. Doch Vater David (Devid Striesow), den die beiden seit 15 Jahren nicht mehr gesehen haben, hat verfügt, dass Simpel in ein Heim kommt. Als die Polizei Simpel abholt, eilt Ben dem völlig verstörten Bruder zu Hilfe: Er befördert den Polizisten und den Heimleiter unsanft aus dem Polizeiwagen und setzt sich selbst an Steuer.

So beginnt das von Regisseur Markus Goller (Friendship!) inszenierte Roadmovie, das die Brüder aus der norddeutschen Provinz am Wattenmeer hinaus in die große weite Welt führt, beziehungsweise nach Hamburg. Dort will Ben den Vater besuchen und ihn bitten, seinen Beschluss zu revidieren. Die Sanitäterin und Medizinstudentin Aria (Emilia Schüle) liest die beiden an einer Tankstelle auf und lässt sie später sogar eine Nacht in ihrer Hamburger Wohnung schlafen. Das Problem ist nur, dass Ben den Vater erst einmal alleine aufsuchen will und den Bruder deshalb eine Weile in der Wohnung zurücklässt. Das geht natürlich prompt schief.

Der Film, der auf dem gleichnamigen Roman der Französin Marie-Aude Murail basiert, spult seine Geschichte routiniert ab. Ben ist mit Frederick Lau ideal besetzt, weil dieser gerne Underdogs mit großem Herzen und leidgeprüftem Blick spielt. Nie vergisst er, Simpel in Spiele zu involvieren, um ihn bei Laune zu halten, und jeden Abend bringt er ihn mit einem liebevollen Ritual zu Bett. Und der fröhliche Simpel steuert von Zeit zu Zeit treuherzige Bemerkungen bei, aus denen seine Liebe zum Bruder spricht. David Kross nimmt man den behinderten Menschen zwar nicht wirklich ab, aber er spielt Simpel deswegen auch nicht schlecht, mit seinen flatternden Händen und der kindlichen Unternehmungslust. Sein Spiel erinnert stark an den jungen Leonardo DiCaprio in der Rolle des Arnie in Gilbert Grape – Irgendwo in Iowa.

Wer eine Geschichte wie diese verfilmt, ist sich natürlich der großen Vorbilder wie Gilbert Grape oder auch Rain Man bewusst. Warum sich also trotzdem daran wagen? Vielleicht war die Überlegung in diesem Fall, dass die Versatzstücke und wie sie Rührung oder Aufregung erzeugen, bereits in etwa bekannt sind. Die Handlungsstationen werden gleich zielstrebig angepeilt, ein bisschen Illegalität, ein bisschen Reeperbahn-Spaß, Probleme beim Einsteigen in die öffentlichen Verkehrsmittel, weil Simpel Angst vor den automatischen Türen hat. Und abends seine rührenden Gebete, die sich an Jesus richten mit der Bitte, der Mama zu erzählen, was heute wieder los war. Diese Dramaturgie hält sich offenbar an Stichworte, aus denen wie auf Kommando Spielszenen werden. Und das ist dann doch eine ganz andere Art des Erzählens als in den beiden oben genannten Filmen.

Dort ging es nämlich um Charaktere, wohnte den Geschichten ein Drama inne, schilderten sie Milieus und Mentalitäten, die sich in der Realität verorten ließen. So ein herzensguter Kümmerer wie Ben aber, der sonst keine persönlichen Eigenschaften hat, ist eine ziemlich hohle Drehbucherfindung. Es wird kein Umfeld präsentiert, das erklären könnte, warum die Figuren so agieren, wie sie es tun. Und es fehlt ihnen oft ein lebendiger Bezug zur Realität. Noch undifferenzierter als Ben wird Arias Sanitäterkollege Enzo (Axel Stein) gezeichnet. Dieser Nebencharakter ist eine Seele von Mensch und eine Frohnatur dazu, immer hilft er gerne und kommt auch stets wunderbar mit Simpel aus. Wo gibt es denn so jemanden, außer vielleicht im deutschen Fernsehen?

Allein mit Vater David leistet sich die Geschichte ein Quäntchen Originalität und sogar raue, moralisch unkorrekte Sperrigkeit. Aber auch diese Figur kann den dramaturgisch durchkalkulierten Lauf der Dinge nicht aufhalten. Der Film entlässt seine Zuschauer ohne emotionalen Nachhall und auch nicht mit dem Eindruck, etwas Relevantes über die Welt und ihre Menschen erfahren zu haben.
 

Simpel (2017)

Ben (Frederick Lau) hat schon immer auf seinen kleinen Bruder aufgepasst, so wie auch jetzt noch, obwohl Barnabas, genannt Simpel (David Kross), 22 Jahre alt ist. Als die Mutter ihrer Krebserkrankung erliegt, bemüht sich Ben um das Sorgerecht für den geistig behinderten Bruder. Doch Vater David (Devid Striesow), den die beiden seit 15 Jahren nicht mehr gesehen haben, hat verfügt, dass Simpel in ein Heim kommt.

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Meinungen

DR · 05.08.2020

Deutschlands 3 talentfreieste Mimen in einem Film: Devid Striesow, Frederik Lau und David Kross.
Ein Vergleich mit dem Film Gilbert Grape ist eine Unverschämtheit. Leonardo DiCaprio lebte den Arnie. Dagegen ist Kross' Rumgehampel einfach nur blamabel.

Britta · 18.11.2017

...vielleicht ist auch interessant zu wissen, daß der Film zu einem großen Teil in Horumersiel, also direkt vor der Haustür gedreht wurde. ;-)

T.M. · 12.11.2017

Sehr gut auf den Punkt gebracht, bei dem Thema wäre eine weniger traumhafte und romantische Darstellung interessanter gewesen. Es gab viel Ähnlichkeit mit Gilbert Grape aber das ist ja schon von Leonardo di Caprio gespielt worden.

AS · 26.10.2017

Diese Kritik finde ich unberechtigt. Natürlich ist gegen Ende die Geschichte fast absehbar, aber einige Szenen bieten dennoch Überraschungen
Alle Rollen sind durchweg exzellent besetzt, solch eine Rolle, wie die von Simpel zu spielen, ist höchstes Niveau und sehr gelungen.

Insgesamt ist der Film sehr zu empfehlen (ich durfte ihn in der Sneak Preview gerade sehen)