Si-o-se Pol - Die letzten Tage des Parvis K.

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Soweit die Füße tragen

„Si-o-se Pol“: das ist die schönste Brücke des Orients, in Isfahan gelegen. Fast 300 Meter lang besteht sie aus 33 Brückenbögen, in jedem ein Restaurant; und darauf Flaneure, Gaukler, Wahrsager … Ein solcher hat vor vielen Jahren Parvis Karimpour vorhergesagt, dass er einmal seine Tochter verlieren wird. Und so ist es geschehen. Seit vielen Jahren hat er sie nicht mehr gesehen, jetzt folgt er ihr nach Europa. Von dort ist vor zehn Jahren ihr letztes Lebenszeichen gekommen. Wir folgen Parvis auf seiner Reise als Flüchtling nach Madrid, als Reiseleiter dient Regisseur und Drehbuchautor Henrik Peschel, der – laut Presseheft – in Si-o-se Pol – Die letzten Tage des Parvis K. zeigen will, wie Einwanderung in Europa konkret aussieht. Der Film wurde schon 2012 gedreht, angesichts des virulenten Flüchtlingsthemas kommt er jetzt ins Kino.
Parvis Karimpour hat eine glänzende Polyester-Trainingsjacke an, halb türkis, halb pink, mit großen, bunten Buchstaben-Aufdrucken. Das sieht lächerlich aus, zumal er sie den ganzen Film über nicht auszieht; und es soll auch lächerlich aussehen, er hat nichts anderes, lebt von der Hand in den Mund als Illegaler in Madrid. Die Jacke: Sie ist ein starkes Symbol seiner menschlichen Demütigung. Er ist lungenkrank, hustet Blut, bekommt immer weniger Luft; und er hat die weite Reise aus dem Iran über Afrika nach Spanien hinter sich, ein Todkranker unterwegs, denn er sucht seine Tochter.

In Madrid trifft er neue Freunde, wunderbarerweise sprechen alle deutsch: Almut (Pheline Roggan) ist mit ihrem stets abwesenden Freund hierhergezogen, Fabrizio, ein in Frankfurt aufgewachsener Italiener, hat es nach einigen persönlichen Krisen hierher verschlagen. Parvis war Hausmeister an der deutschen Schule in Teheran gewesen. Alle drei sind ziemlich down, aber Parvis wirkt als Katalysator, so dass die beiden ihren seelischen Krisen entklimmen können: Das ist alles recht erbaulich, und es fühlt sich leider, leider ziemlich falsch an.

Da sind Kleinigkeiten, die einfach nicht stimmen. Wenn Parvis morgens ein kleines, bescheidenes Feuerchen anmacht, zieht dicker, stinkender Qualm um die Ecke an Almuts Fenster vorbei. Und wenn er mit Fabrizio – einem Ein-Mann-Reinigungsunternehmen – putzt, dann wischt er mit dem Mop vor sich her und tapst mit seinen Füßen ins feuchte Frischgewischte hinterdrein – er, als Hausmeister! Auf der Suche nach seiner Tochter führt die Spur nach Florenz, und ein recht naiver Dialog hebt an, wie Parvis denn nun ohne Pass dorthin gelangen könnte – als hätte er, der halb Asien und halb Afrika durchreist hat, irgendwelche Probleme, sich im Schengen-Raum zu bewegen.

Und natürlich haben wir das große Ganze, das so unecht wirkt. Dass dieser todkranke Mann nach Europa kommt, um seine Tochter zu suchen: Ein solch sentimentaler privater Grund für eine lebensgefährliche Reise ist in Zeiten von tausenden Toten im Mittelmeer, von Millionen Traumatisierter, die aus dem kriegsverheerten Syrien fliehen, und angesichts von mehr oder weniger offenem Hass gegen diese Heimatvertriebenen in einem reichen mitteleuropäischen Gastgeberland einfach nicht mehr richtig. Dazu bekommt jeder Charakter eine passende (melo)dramatische Backstory aufgebrummt: Der Starpianist, der nun nach einigen persönlichen Krisen – durchaus selbstverschuldet – als Putze schuften muss; die schöne Deutsche, die mit ihrem Freund nicht glücklich, dafür aber schwanger ist; Parvis, der aus Unachtsamkeit seine Tochter ans Regime ausgeliefert hatte und Jahre später selbst als Dissident in monatelange Einzelhaft kam …

So groß das Engagement der Filmemacher war, so stimmungsvoll die Bilder von Kameramann Kristian Leschner sind, der in Kadrierung, Ausleuchtung, Atmosphäre alles richtig macht: Sobald es an die Handlung geht, an Dialoge, mitunter auch an Schauspielführung, wirkt der Film irgendwie läppisch. Zumindest wünscht man sich, dass nochmal jemand die ärgsten Patzer in der Logik und im Drehbuch abgeschliffen hätte. Dabei hätte die leitmotivische Grundthematik um Elternschaft und Nachwuchs dem Film durchaus noch eine gewisse Tiefe geben können, wäre sie nicht etwas zu simpel gestrickt worden: Wo Fabrizio, damals Hotelpianist, wegen diverser Groupie-Kontakte von seiner schwangeren Frau verlassen wurde, verlässt nun die schwangere Almut ihren Freund, der viel zu sehr in seinem Beruf aufgeht.

Wir wissen natürlich, wie der Film ausgeht, vom Filmtitel, von Parvis‘ erstem Huster an. Und doch kommt das Filmende recht überraschend nach knapp 80 Minuten. Fabrizio trägt Parvis Huckepack auf den heiligen Berg der Katalanen rauf, wo die Luft frisch und rein ist und der Weg zum Himmel nicht so weit … Und das ist vielleicht das Beste am Film: Dass er eben doch einiges offen lässt, weil es keinen Abschluss geben kann in den Beziehungen untereinander und in der Beziehung zu seinen Kindern.

Si-o-se Pol - Die letzten Tage des Parvis K.

„Si-o-se Pol“: das ist die schönste Brücke des Orients, in Isfahan gelegen. Fast 300 Meter lang besteht sie aus 33 Brückenbögen, in jedem ein Restaurant; und darauf Flaneure, Gaukler, Wahrsager … Ein solcher hat vor vielen Jahren Parvis Karimpour vorhergesagt, dass er einmal seine Tochter verlieren wird. Und so ist es geschehen. Seit vielen Jahren hat er sie nicht mehr gesehen, jetzt folgt er ihr nach Europa.
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