Right Now, Wrong Then (2015)

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

Dem Filmemachen und dem Filmemacher auf der Spur

Vorspann in den Wolken: Wir kennen das – jemand hört uns genau mit aufmerksamen Augen und dem beständigen Nicken des Kopfes zu. Dann stellen wir ihm eine Frage und er braucht einen langen Moment, um zu verstehen, wo er überhaupt ist. Wir sind enttäuscht.

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Einen Tag später sitzen wir gemütlich in einem Café. Jemand erzählt uns etwas und wir können uns nicht darauf konzentrieren. Plötzlich bekommen wir eine Frage gestellt. Wir zögern einen langen Moment und erfinden dann etwas. Später nehmen wir uns vor, in Zukunft besser zuzuhören.

Halle des Segens

Das dauernde Gefühl eines Missverstehens beginnt im Fall von Hong Sang-soos phänomenalem Locarno-Gewinner Right Now, Wrong Then bereits im Titel, der zu Beginn nicht der gleiche ist. Der in zwei Teile gegliederte Film beginnt mit Right Then, Wrong Now und einer wiederkehrenden Melodie in den Wolken, die in aller Sanftheit und Unschuld dafür sorgt, dass man missversteht, was passieren wird.

Man befindet sich sehr schnell im Hong-Universum, dem Reich der durchschauten Lebenslügen: Der junge Filmemacher ist ein Mann, der Frauen mag, der sich selbst nicht mag, ein Mann, der feststellt, dass der Kontakt mit Frauen kein leichter ist; die junge Frau ist eine angehende Malerin, etwas verloren, treibend, sich findend, sie trinkt Bananenmilch, sie will sich mögen, tut es kaum. Man geht zusammen trinken, man geht zusammen essen, man redet über sich und über dich und über Kunst, man trinkt mehr, man ist betrunken, es gibt peinliche und zärtliche Momente, man geht spazieren, man lacht, man lügt, man weint, man wird müde, es ist kalt, Schnee fällt; man verpasst sich, man wartet auf eine Reaktion, man schaut, man begehrt, man macht Fehler, man möchte im Boden versinken und doch ist alles voller Wärme und der Unmöglichkeit diese auszudrücken. Im Kern sucht man sich vielleicht und versteht sich nicht; es sind Missverständnisse der Selbstwahrnehmung.

Im Café

Im ersten Teil seines Films sehen wir den verzweifelten Versuch des Filmemachers, die Kunststudentin zu verführen; ein Versuch, der auf Lügen basiert, die letztlich in der gleichen Einsamkeit scheitern, in der sie begonnen haben. Dazu die Kälte im Süden Koreas, durch die Hong Sang-soo als einer der wenigen Filmemacher diese Gespräche vor Türen inszeniert, bei denen man sich immerzu verkrampft und komisch bewegt, damit man nicht einfriert. An einem ersten Abschied schneidet Hong in einem dieser herausragenden Bilder, die der Film selten und dadurch effektiv in seine Grammatik der nackten Essenz einstreut, auf eine Buddha-Statue und das Spiel beginnt von vorne. Es ist wieder der Filmemacher und wieder die Kunststudentin, aber etwas ist anders.

Es ist nicht so, als wäre das Prinzip der Wiederholung etwas Neues für Hong Sang-soo, man denke an die Begegnungen mit dem unvergesslichen Life Guard in In einem fremden Land oder die Avancen gegenüber der Kellnerin in Woman is the Future of Man. Aber derart klar hat der Südkoreaner noch nie eine Narration nach diesem Prinzip aufgebaut. Die Geschichte beginnt von vorne, aber im Gegensatz zu einem Film wie Und täglich grüßt das Murmeltier geschieht die Repetition nicht im Bewusstsein der Figuren. Vielmehr könnte man von einem Déjà-vu sprechen, also einer eher unbewussten Wahrnehmung dieser Wiederkehr. Letztlich aber beginnt ein neuer Film (Titel: Right Now, Wrong Then), eine neue Chance. Der Filmemacher ist immer noch ein Mann, doch statt dem Prinzip der Lüge folgt er nun jenem der absoluten Ehrlichkeit, um diese Frau nicht mehr nur zu verführen, sondern möglichst zu heiraten.

Im Atelier

Gerade durch die Wiederholung legt Hong den Fokus auf die Differenzen. Manche Szenen werden aus anderen Einstellungen gefilmt, das Voice-over verschwindet, verschiedene Sätze werden leicht verändert gesagt oder nur mit einem anderen Ton, dann gibt es völlig neue Situationen (man darf nicht glauben, dass Hong sich hier sklavisch an ein Konzept hält) und ein beständiges Spiel zwischen der Erwartung dessen, was da kommen wird, und der unendlichen Verzögerung einer Enttäuschung dieser Erwartungen beginnt. Schließlich ist Hong der genuine Filmemacher der Enttäuschung. Das kann sich sowohl in einem absurden oder bitteren Humor ausdrücken, als auch im plötzlichen Schmerz einer Erkenntnis. Dabei geht es viel um Missverständnisse, die dadurch entstehen, dass man nicht ausdrücken kann, was man möchte. Immer wieder greift sich der Filmemacher an die Brust und reibt sie, um uns und seiner Begierde mitzuteilen, dass er etwas fühlt.

Auf der Party

Right Now, Wrong Then ist auch ein Film über unsere Wahrnehmung im Kino. Man kann förmlich an sich selbst studieren, was eine andere Einstellung, ein anderer Dialog mit einer Szene macht. So erscheint der zweite Teil des Films mit Ausnahme einer dieser unfassbaren Szenen des Betrunkenseins samt Striptease deutlich ernster. Szenen, in denen man zu Beginn lachen oder schmunzeln musste, kommen einem nun sehr ernst vor. Man fragt sich, ob das nur an der Wiederholung liegt. Im zweiten Teil ist es der Herzschmerz, der dominiert, ohne dass Hong auch nur eine Sekunde von seiner Leichtigkeit verlieren würde. Durch die Doppelung beginnt erst die Konzentration des Blicks. Es ist eine Beunruhigung, in der jede Nuance mit unserer Antizipation und Erinnerung gleichermaßen spielt. Mal interpretiert man seine eigene Antizipation als Erinnerung und mal die Erinnerung als Antizipation. Im Loch, das sich zwischen diesen Missverständnissen öffnet, entsteht ein wunderbares Kino der Gesten, Fettnäpfchen, Sehnsüchte und Einsamkeit. Als man zum zweiten Mal im Atelier der jungen Künstlerin ist, sagt ihr der Filmemacher, dass man keine Kunst machen sollte, um sich zu trösten. Right Now, Wrong Then folgt diesem Prinzip und stößt dadurch zu einer Wahrheit, die gleichzeitig schön und brutal ist, ein wenig wie der süße Geschmack eines Lasters, dem man sich eigentlich entziehen wollte.

Der Heimweg

Der Film erzählt auch von einer verzweifelten Suche nach einer männlichen Identität. Er macht dies sowohl ironisch als auch emotional. Dabei fragt Hong Sang-soo auch äußerst vielschichtig nach dem alltäglichen Schauspiel: Die Rollen, in die man schlüpft, um zu verführen, die Rollen, in die man schlüpft, um zu lieben… und folgerichtig auch die Verunsicherung, die man wegen dieses Schauspiels hat. Denn wo kann man hier noch Aufrichtigkeit vermuten? Man studiert die Gesichter des Filmemachers wie die Gesichter bei ersten Begegnungen. Oft wirkt dabei alles wie eine Lüge und ehe man sich versieht, glaubt man doch an eine Wahrheit dahinter. Dabei ist Hong Sang-soo ein derart guter Beobachter menschlicher Verhaltensweisen, dass jeder Blick seiner Figuren, jede Geste und jede Bewegung einen Subtext enthält, der völlig greifbar vor dem Zuseher liegt, ohne jemals ausgesprochen zu werden. Es ist keine Frage, dass für dieses Kino das Schauspiel von äußerster Wichtigkeit ist. Jeong Jae-yeong gibt den Filmemacher derart überzeugend, dass wir hier von einer der besten schauspielerischen Darbietungen der letzten Jahre reden können. Bei ihm kann ein Lächeln alles bedeuten und all das wird für die Kamera sichtbar, nicht aber für ihn selbst oder seine Mitmenschen.

Im Kino und aus dem Kino heraus

Bei Hong Sang-soo besteht Reduktion nicht nur in wenigen und langen Einstellungen, sondern letztlich auch in einer Präzision gegenüber der Zeit, einem Timing, das Missverständnisse erst ermöglicht. Jeong Jae-yeong legt dort hinein diese unersetzliche Fähigkeit, seinen Körper und seine Stimme zu trennen. Was er sagt, ist selten das, was er macht, und was er macht, ist selten das, was er sagt. Daher sehen wir dann seine nackten Emotionen, egal ob er sie versteckt oder nicht. Hinzu kommen diese ständigen sich überlagernden Ebenen im Drehbuch, die sich eben nicht nur auf die Figuren beziehen, sondern immer auch auf einen Meta-Diskurs über das Spiel und die Wiederholung übergreifen.

Am Ende verlässt man das Kino. Aber verlässt man auch dieses ewige Spiel? Hier ist der Schnee wie die Sonne ein Schein.
 

Right Now, Wrong Then (2015)

Vorspann in den Wolken: Wir kennen das – jemand hört uns genau mit aufmerksamen Augen und dem beständigen Nicken des Kopfes zu. Dann stellen wir ihm eine Frage und er braucht einen langen Moment, um zu verstehen, wo er überhaupt ist. Wir sind enttäuscht.

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