Passengers (2016)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Stockholm-Syndrom im All

Ein bisschen gleicht die Genese von Morten Tyldums (The Imitation Game) neuem Film Passengers der des hier porträtierten Raumschiffes: Die Avalon ist ein perfekt konstruiertes Raumschiff mit allen Annehmlichkeiten, auf dem neusten Stand der Technik und dazu noch so sicher wie möglich konzipiert. Da kann eigentlich nichts schiefgehen, oder? Doch dann bringt eine Kleinigkeit, die nicht bedacht wurde, das ganze Schiff zum Trudeln.

Man stelle sich vor, man könnte die Erde mit ihrer Klimakatastrophe, ihrer Überbevölkerung und all ihren anderen Problemen verlassen und ganz neu anfangen. In Passengers ist dieser Eskapismus möglich, indem man sich 120 Jahre im Kälteschlaf zu einer neuen Kolonie schicken lässt. Diese Chance lässt sich der Mechaniker Jim Preston (Chris Pratt) nicht entgehen. Er will neu anfangen. Doch etwas geht schief: Gleich in den ersten zwanzig Minuten führt ein massiver Meteoritenschauer dazu, dass seine Kapsel beschädigt wird und er 88 Jahre zu früh aufwacht. Zwar kann er jetzt ein Raumschiff von der Größe einer Stadt allein bevölkern, doch drei Dinge machen ihm zu schaffen: er hat keine Kontrolle über seine Situation und kann die Brücke nicht betreten; er ist an die unausgesprochenen Klassenregeln gebunden, da er kein Gold-Star-Passagier, sondern nur Arbeiterklasse ist, so dass ihm viele Funktionen des Schiffes nicht zur Verfügung stehen; und er ist mutterseelenallein, er ist der einzig Wache unter 4999 Schlafenden. Nur ein androider Barkeeper (Michael Sheen) steht ihm als Gesprächspartner zur Verfügung.

Hier entfalten sich eine schreckliche Lage und eine hochinteressante Zwickmühle, die sowohl psychologisch als auch philosophisch so viel zu bieten haben. Denn was tut der Mensch nicht alles, um zu überleben? Zudem sind wir nun einmal soziale Wesen, die Anschluss, körperliche Nähe und Liebe brauchen. Daher kommt Jim nach einem Jahr an den Punkt, an dem er überlegt, etwas Schreckliches zu tun: eine weitere Person zu wecken, damit er nicht allein ist und sich rettet – und auf diese Weise gleichzeitig das Leben dieses Menschen zu zerstören. Doch der Film kann und will das Geschenk, das ihm diese Idee gegeben hat, nicht annehmen. Nur kurz sieht man Jim zögern, dann trifft er seine Auswahl: Sie fällt auf die blonde Aurora (Jennifer Lawrence), Autorin, seinem Geschmack entsprechend und sehr schnell Projektionsfläche seiner Fantasien. Nicht umsonst trägt sie den Namen einer schlafenden Disney-Prinzessin. Er wühlt sich durch ihre Bewerbungsvideos, verschlingt ihre Texte – allesamt in der Datenbank gespeichert – und schlussendlich nutzt er seine mechanischen Kenntnisse, um sie ebenfalls zu wecken. Dies ist nichts anderes als Stalking und – wie später im Film selbst gesagt wird – Mord. Und doch, man könnte verstehen, wie Verzweiflung und Einsamkeit einen Menschen an diesen Punkt bringen können, aber dafür lässt der Film keinen weiteren Raum.

Hinfort also mit moralischen Bedenken, mit der Versuchsanordnung, in der so gut die conditio humana in all ihrer Schönheit und Schrecklichkeit hätte beobachtet und ausgelotet werden können, denn Passengers ist kein Tarkowski-Film, es ist ein Liebesfilm im Weltraum. Und so erzählt Jim Aurora nicht, dass er es war, und die beiden werden ein Paar. Lawrence und Pratt machen das Beste daraus, ja, es stellt sich Romantik ein, und doch, als ZuschauerIn ist alles dahin, denn man kennt die Wahrheit. Und eine zweite Chance zerschlägt der Film ebenfalls, als Aurora eines Tages herausfindet, was Jim ihr angetan hat, aber selbst dann niemand diesen Faden aufnehmen will. Vielmehr wird Passengers zu einer unangenehmen Erzählung und einer ungewollten Fallstudie zum Stockholm-Syndrom, das vom Drehbuchautoren, Regisseur und von allen Beteiligten eindeutig mit Liebe verwechselt wird.

Das wahrlich Schmerzhafte an Passengers ist, dass dieser Film ansonsten ganz wunderbar ist. Von der Ausstattung bis zu den Special Effects merkt man die Liebe zum Detail und den Wunsch, hier etwas ganz Besonderes mit Herzblut zu erzeugen. Es ist nicht Jims fatale Entscheidung per se, die Passengers das Genick bricht, sondern die absolute Weigerung des Films, über die Grenzen des üblichen Liebesfilmes hinauszugehen und sich aus dieser Matrix zu befreien, die in diesem besonderen Falle so herzzerreißend schrecklich anzusehen ist, weil sie Figuren und ZuschauerInnen zwingt, einen Akt der Gewalt gegen eine Frau in Romantik und heterosexuelle Zweisamkeit umzumünzen, alldieweil jede/r Beteiligte sieht und weiß, dass die Frau gar keine andere Wahl hat. Hätte man hier loslassen können und dieser Geschichte und damit der Frau mehr Freiheit, Selbstbestimmung und Mut gegeben, was für ein genialer, kontemplativer und kontemporärer Film wäre Passengers geworden. Aber so bleiben nur zwei Möglichkeiten: ebenfalls dem Stockholm-Syndrom zu erliegen und Romantik in dieser gewalttätigen Tragik zu finden, oder das Elend dieser misslichen Lage zu sehen und keinen Liebesfilm, sondern ein wahrhaft schreckliches Drama zu erblicken.
 

Passengers (2016)

Ein bisschen gleicht die Genese von Morten Tyldums („The Imitation Game“) neuem Film „Passengers“ der des hier porträtierten Raumschiffes: Die Avalon ist ein perfekt konstruiertes Raumschiff mit allen Annehmlichkeiten, auf dem neusten Stand der Technik und dazu noch so sicher wie möglich konzipiert. Da kann eigentlich nichts schiefgehen, oder? Doch dann bringt eine Kleinigkeit, die nicht bedacht wurde, das ganze Schiff zum Trudeln.

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Meinungen

Stephan · 12.06.2017

Ich habe den Film erst gestern gesehen und muss sagen, dass ich IHn wirklich nicht schlecht finde. Sicherlich hätte man die Dramatik der Entscheidungsfindung von Jim noch mehr herausarbeiten können und auch die Dramatik der Beziehung nach der Offenbarung der Tat hätte noch mehr in den Fokus rücken können. Allerdings bietet die Handlung dem Zuschauer ja auch zwei Steilvorlagen der Versöhnung. So wäre das Raumschiff ja ohne die Beteiligung Auroras wohl zerstört worden und Jim gibt ihr durch die mögliche Umfunktion der medizinischen Kapsel zur Schlafkapsel die Möglichkeit, ihren ursprünglichen Lebensplan wieder aufzunehmen ... .

Theo · 02.04.2017

Kritiker....was für ein Drama. Nutzlose Gestalten mit allwissendem Gefasel.
Putzfrau wäre der richtige Beruf für Sie. Da könnten Sie jeden Tag so hochnäsig sein, wären dazu dann sogar noch nützlich.

Jun · 06.03.2017

Ich stimme der Kritik zu. Jedoch frage ich mich wieso die Geschichte so eine schlecklickliche geworden ist. Es ist total merkwürdig, wenn ,wie man oft sagt, Sponsoren einmischen , konnte er ein stinknormaler Romantik-Film sein . Aber der Film ist keineswegs stinknormal sondern schlecklickliches Drama wie der Kritiker sagt. So viele Geld , so viel Details , und so ein merkwürdiges Drama? OK, merkwürdig im positiven Sinne kann das durchaus passieren. In diesem Fall ist es so merkwürdig dass ich mich fragen musste, wo waren Geschäftsleute.....Geldmacher. .....Und so.

Istvan · 11.01.2017

Gut angemerkt, reader.

Ullli · 04.01.2017

"Aber so bleiben nur zwei Möglichkeiten:...." (B.B.) Äääähm, ich denke es gibt sogar noch eine dritte Möglichkeit: Diesen Film einfach auslassen! :-)

reader · 01.01.2017

Entwaffnend, wie die Rezensentin ihre künstliche Erregung bis zum Schluss lodern lässt.
In Wahrheit wird jeder Mensch sterblich, wenn er aus seinem/ihrem süßen Dornröschenschlaf ("alles ist noch offen, alles ist noch möglich") erwacht und sich unwiderruflich und ein für alle Mal einer bestimmten Person zuwendet - egal, wie das passiert ist. Auch dafür könnte der Film eine Metapher sein.
Haltloses und bescheidwisserisches Gepsyche ("Stockholm-Syndrom") ist keine adäquate Haltung - nicht gegenüber Kunstwerken, nicht gegenüber der Wirklichkeit.