Paradies: Glaube (2012)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Jesus liebt dich

Anna (Maria Hofstätter) liebt Jesus und Jesus liebt Anna. Sagt zumindest die Bibel. Und damit das so bleibt und weil die Welt so voller Schmutz und Leiden ist, schenkt Anna Jesus jeden Abend ein bisschen mehr als nur ein Gebet. Und so beginnt Ulrich Seidls zweiter Teil seiner Paradies-Trilogie auch gleich mit einem schmucken Bild. Anna kniet mit nacktem Oberkörper vorm Kreuz und peitscht sich aus. Die Verknüpfung zum ersten Teil, bei dem es um Liebe ging, wird schnell klar. Anna ist die Schwester der Hauptfigur aus Paradies: Liebe, dem ersten Teil und auch sie ist eigentlich auf der Suche nach Liebe. Nur sucht sie diese nicht in Kenia bei Männern, die sie beschnakseln, sondern lieber zuhause bei Gott und vor allem dessen Sohn, der „so wunderschöne, tiefe und traurige Augen“ hat. Schnakseln ist eh ganz schlimm, meint Anna, dagegen hilft nur viel beten und die Heilige Maria. Darum macht sich Anna in ihrem Urlaub auch auf, um SünderInnen auf den rechten Weg zu bringen. Vor allem diese ausländischen haben es ihr angetan. So fährt sie täglich in die Stadt, im Beutel eine Marienstatue und besucht (oder besser bedrängt) Menschen in deren Wohnungen.

Genau diese Szenen sind es auch, in denen Seidl seine stärksten Bilder findet, das Aufeinandertreffen dieser fremden Menschen, die mal verwundert, mal aggressiv auf die überraschende Heimsuchung Annas (und Marias) reagieren, sind einfach urkomisch und fast unerträglich zugleich. Noch schrecklicher ist dabei der Gedanke, dass solche Szenen inzwischen fast täglich im deutschen Fernsehen in Realityformaten über den Äther geschickt werden, nur mit dem Unterschied, dass sie außer Blamage nichts enthalten. Blamage und das radikale Aufzeichnen des alltäglichen Wahnsinns hat bei Seidl wiederum Methode — hier kommt er ran an die Figuren und deren Innenleben. Und auch an die österreichische Seele an sich, die bei ihm stets respektvoll, aber hyperehrlich portraitiert wird. Schön ist das nicht, die nackte Wahrheit ist eben hässlich und spießig zugleich.

Doch Seidl begnügt sich niemals nur mit solchen Augenblicken. Wie schon im ersten Teil treibt er seine Geschichte bis zum bitteren Ende. Nach dem langen Aufbau Annas als tiefgläubige, gute Frau, die ausschließlich den Geboten Gottes folgt und für die Vergebung und Barmherzigkeit alles bedeuten, kommt es faustdick. Eines Tages sitzt nämlich Nabil in ihrem Wohnzimmer. Der gehbehinderte Moslem, so stellt sich bald heraus, ist Annas Ehemann, der nach Jahren der Abwesenheit zurückkehrt und nicht glauben kann, was für einen Wandel seine Frau da hingelegt hat. Da ist es bald dahin mit der noch eben gepredigten Barmherzigkeit. Anna, deren Gottesliebe vor allem ein Versuch ist, ihre Trauer und ihre Verletzung darüber, dass sie nicht geliebt wird, zu kompensieren, reagiert passiv-aggressiv auf den in allen Aspekten falschen Mann. Schon bald bricht im Haushalt ein Kleinkrieg aus, der alle bisherigen Religionsstreitigkeiten in seinen Schatten stellt. Wer glaubt an das Richtige und wer hält sich überhaupt an die Gebote, wenn es Schlag auf Schlag kommt?

Paradies: Glaube schafft den nahtlosen Anschluss an den ersten Teil und funktioniert sowohl als Fortsetzung als auch als eigenständiger Film einwandfrei. Ein wenig zu lang ist er geraten und dreht sich manchmal zu sehr im Kreis. Das ist man gewohnt von Seidl, sein präzises Hinschauen bedarf der Wiederholung, des Wechselns der Ansicht, auch wenn diese sich manchmal nur durch ein paar Millimeter von der vorhergehenden unterscheidet. Trotzdem, die perfekte Manipulation der Erzählgeschwindigkeit, die im ersten Teil präzise wie ein Schweizer Uhrwerk die Geschichte mit sich trug, funktioniert hier nicht ganz. Das fordert mehr Geduld vom Zuschauer, doch diese sollte man dem Film unbedingt zugestehen. Als Belohnung wird man abermals mit grandios kadrierten Bildern belohnt und kann einer Geschichte beiwohnen, die einen herrlich verstören und unangenehm berühren wird und die in all ihrer Konstruiertheit eine echte, herrlich dreckige und sich nach Liebe verzehrende Seele trägt.

(Festivalkritik Venedig 2012 von Beatrice Behn)

Paradies: Glaube (2012)

Anna (Maria Hofstätter) liebt Jesus und Jesus liebt Anna. Sagt zumindest die Bibel. Und damit das so bleibt und weil die Welt so voller Schmutz und Leiden ist, schenkt Anna Jesus jeden Abend ein bisschen mehr als nur ein Gebet. Und so beginnt Ulrich Seidls zweiter Teil seiner „Paradies“-Trilogie auch gleich mit einem schmucken Bild.

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Meinungen

Unrumpf · 30.03.2013

Ein Film von unreflektierten Atheisten für unreflektierte Atheisten. Das Thema hat eigentlich Potential. Leider bleibt der Film sehr oberflächlich und baut auf falschen Klischees auf. Die zentrale Figur ist eine Frau in den 50gern die sich selbst auspeitscht und abgesehen von der oberflächlichen Beziehung zu ihrer Fundamentalistengruppe keine externen Sozialkontakte hat. Entschuldigung? Dieses Bild von Katholiken scheint mir dezent verzerrt. Es wird auch nicht so richtig klar, wie sie zu diesem älteren schwer behinderten Muslim kommt bzw. er zu ihr. Es kommt im Film überhaupt nicht zum Tragen das er irgendwie religös und Muslim ist. Und dann plötzlich springt dieser behinderte alte Mann aus seinem Rollstuhl um von seiner Frau seine Rechte als Ehemann/ihre Pflichten als Ehefrau mit Gewalt einzufordern. Gehts noch? Wenn der Film auch nur ansatzweise versucht hätte, die Charaktere tiefgründiger zu erfassen, wäre diese Diskrepanz sicherlich aufgefallen.

Leidender · 21.10.2023

Stimme Ihnen zu, was man heute zu ertragen hat, ist ungeheuerlich. Dann lebt halt eure Dekadenz aus! Was soll die Kirche noch groß verbieten? Ist doch eh schon an die Welt angepasst und hat ohnedies nichts zu melden.

mst · 29.03.2013

Großartiger Film: wer auch "Liebe" schon gesehen hat, wird nicht mehr überrascht sein, über die ungewöhnlich dichten Eindrücke durch den dokumentarischen Blickwinkel; ich freue mich schon auf "Paradies" im Mai.

Hans · 18.03.2013

Schlechtester Film den ich je gesehen habe. Ohne richtige Handlung und Sinn.... bitte nicht gucken? Niemand gibt dir danach 2 Stunden deines Lebens zurück!

Beatrice Behn · 15.03.2013

Mein lieber Herr Smola,

mich deucht sie erlauben sich da eine Meinung über ein Werk, dass Sie nicht gesehen haben. Es ist gar nicht nötig so defensiv an die Sache heranzugehen, im Gegenteil. Tief im Kern des Filmes (ich habe ihn gesehen) geht es nicht um Blasphemie oder darum ihren HERRN JESUS zu beleidigen. Es geht vielmehr um die Frage, ob Religion (in diesem Falle die christliche) ein Ersatz für alles im Leben sein kann oder ob der Mensch eben nicht auch Grundbedürfnisse hat, die er befriedigen sollte, denn sonst wird Religion ja nur zur Ersatzdroge und damit zur Heuchelei.

Ich kann Ihnen nur empfehlen sich den Film anzuschauen und sich dann erst ein Urteil zu erlauben.

Anonymundso · 04.09.2012

hahahaha, antürlich gehts bei Nächstenliebe und Liebe zu Gott nicht um Sex. sagt auch der Macher des Filmes nicht. Er stellt nur eine Verbindung her, zwischen dem menschlichen Bedürfnis nach "liebe" (im eigentlichen Sinne, Körperliche Nähe und Zuneigung und ja, auch Sex) und dem verklärten Bedürfnis, ein imaginäres Wesen zu lieben (im übertragenen sinne) von dem man eben dieses menschliche Grundbedürfnis nach Nähe und Zärtlichkeit eben NIE bekommen wird. Daher ist das ganze auch als Kunst ein zu ordnet, Kunst die eben etwas kritisiert. Zum paragraphen: "... den öffentlichen Frieden zu stören." ist leider ein juristischer Tatbestand, der vorallem von dem Aufstand der vermeindlichen Opfer ausgehend gemessen wird, mehr als an einem Objektiven Tatbestand, und manit juristisch soweiso Fragwürdig. Wann ist der öffentliche Friede denn gestört? richtig, wenn genug Leute sich über eine Kleinigkeit aufregen. Ziemlich wage definition, die von der Sensibilität der Angesprochenen abhängt. Ich finde nicht, dass eine!!! Ansicht einer Weltanschauung höher einzuschätzen ist, als das Recht, seine Meinung (erst recht in Form von Kunst) zu äußern, denn auch die Religiöse Weltanschauung ist ledeglich EINE Meinung/Ansicht unter vielen. Ich kann verstehen, dass einen so ein Film, ebenso wie Plakate von Titanik-Maganzinen aufregen, mich regen aber Osterumzüge und Feierverbote und vorallem Unbewiesene Thesen als Nicht-Christ ebenso auf, trotzdem mache ich keinen Wind darum, sondern akzeptiere, dass ich von mir abweichende Lebens- und Weltanschauungsentwürfe akzeptieren muss, auch wenn diese meinen Lebensentwurf nicht mögen, und dies vllt sogar aussprechen. Die kath. Kirche kann auch nicht davon abgehalten werden, zu behaupten, Schwule hätten kein recht, ihr Leben zu leben ... trotzdem akzeptiere ich, dass es Menschen gibt, die aufgrund von eingebildeten Wesen anderen was vom realen Leben erzählen wollen.

Manfred Smola · 03.09.2012

Bitte unbedingt hierzu www.diewarnung.net lesen.
Bei der Liebe von und zu Gott geht es nicht um Sex, genauso wenig wie bei der Nächstenliebe. Mit solch unsinnigen widerwärtigen Filmen wird die Menschheit verdorben. Von § 166 StGB will ich gar nicht reden. Weit schwerer wiegt die Beleidigung unseres HERRN Jesus Christus. Ich wünsche allen an diesem Film Beteiligten von ganzem Herzen Einsicht und Reue, sodass auch sie die Wahrheit erkennen und Barmherzigkeit erfahren können.