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In ihrem dritten Spielfilm Nobody’s Watching erzählt Julia Solomonoff von dem argentinischen Soap-Darsteller Nico, der Karriere und Freunde zurücklässt, um sein Glück in New York zu versuchen. Dass er damit gescheitert ist, wird schnell klar. Die Frage ist nur, wie lange es dauert, bis auch Nico das erkennt …

Nobody's Watching (2017)

Eine Filmkritik von Lucas Barwenczik

Albtraum (Un-)Sichtbarkeit

Das bunte, sonnendurchflutete New York. Eine ewige Dachparty der Reichen und Schönen, wie aus einem Leichtbier-Werbespot – eine, auf der Nico (Guillermo Pfening) lediglich kellnern darf. In seiner Heimat Argentinien ist er ein erfolgreicher Soap-Darsteller, in der Metropole hingegen Teil des darbenden Kreativ-Prekariats. Ein Träumer von vielen, menschliche Selfie-Kulisse.

Mit etwas Abstand und einer modischen Sonnenbrille sieht er immer noch wie ein Endzwanziger aus, im Morgengrauen nach durchfeierten Nächten deutlich zu alt für ein Leben in der Schwebe. Er sucht in der Fremde nach der Rolle, die ihm den Durchbruch beschert, angeboten werden ihm allerdings nur Gelegenheitsjobs als Baby- oder Hunde-Sitter. Das gute schöne Leben umgibt ihn, doch da ist ein Fingerbreit Abstand. Als wäre er von einem Einwegspiegel umgeben, durch den er die Menschen betrachten kann, ohne jedoch wirklich von ihnen wahrgenommen zu werden. Folgerichtig heißt seine Geschichte, der dritte Spielfilm der Regisseurin Julia Solomonoff, Nobody’s Watching.

Keiner schaut zu. Gleich mehrfach wird der Titel des Dramas von verschiedenen Figuren ausgesprochen oder paraphrasiert. Nico rechtfertigt so die regelmäßigen Ladendiebstähle, mit denen er trotz seiner neuen Armut am Konsumleben teilhaben kann. Freund und Schauspiel-Kollege Pablo freut sich, in New York nicht von Groupies belagert zu werden. Eine zwielichtige Affäre wird verbal in den Schatten gerückt. Solomonoff erzählt vom Sehen und Gesehenwerden, natürlich auch vom Nicht-Sehen und Nicht-Gesehenwerden. Die meist mit der Handkamera gefilmten Bilder haben eine trügerische Eindeutigkeit. Große Schärfentiefe zeigt eine Welt, in der eigentlich alles erkennbar zu sein scheint. Nur selten vereinen sie widerstrebende Elemente und schaffen dadurch eine innere Spannung. 

All das spielt sich eher auf dem Gesicht von Guillermo Pfening ab, der als Nico in der Regel im Mittelpunkt steht. Er ergeht sich in Selbstzweifel-Choreographien von schwankender Subtilität. Jedes zweite Lächeln wirkt gequält, jede neue Enttäuschung wird an die Mundwinkel gehängt. Die traurigen Augen des Darstellers leisten dabei, was die Mimik nicht vermag – Nicos Zweifel, Ängste und Sorgen greifbar zu machen. Man merkt: Ihm fehlt der Blick für die eigene Zukunft, er lässt jedes Augenmaß vermissen. Wo der Schauspieler sich in seinem Beruf immerzu offenlegen muss, bleibt er im Alltag verdeckt und verschlossen. Eine Schutzschicht aus Unverbindlichkeit umschließt sein fragiles Ego. Dass sich das New York, New York-Versprechen „If I can make it there, I’ll make it anywhere” für ihn nicht erfüllen wird, ist eigentlich schon zu Beginn klar. Unsicher ist nur, ob und wann er das selbst begreifen wird. 

Von Anfang an ranken sich Fragen dieser Art um Nico, das Drehbuch verteilt die Antworten spärlich. Warum bleibt er in New York, warum geht er nicht zurück, was trennt ihn von seinen früheren Liebhabern? Es ist nicht, als wäre er unergründlich, im Gegenteil: Im Laufe der Handlung wird klar, wie ganz und gar all seine Mitmenschen ihn durchschauen. 

Den Alltag verbringt Nico beispielsweise oft damit, den Sohn einer Freundin zu betreuen. Auf dem Spielplatz wirkt er für die Latina-Hausmädchen reicher New Yorker zuerst wie ein alberner Fremdkörper, allerdings auch wie das große Kind, das er ist. Die Mutter wirft ihm vor, er könne sein Scheitern nicht ertragen, verstecke sich hinter dem Baby und spiele Vater. Damit spricht sie offen aus, was zuvor Subtext war. Solche Szenen sind leider die schwächsten dieser Charakterstudie. Unnötig plakativ erklären Freunde Nico sich selbst und damit auch dem Zuschauer. Symbole und Metaphern werden aufgelöst und wirken plötzlich unangenehm plump. Als hätte man in einer Geisterbahn das Licht angeschaltet. 

Man könnte dies als eine Regieentscheidung betrachten, die Nicos Erkenntnisprozess besonders hervorheben soll. Die Offenbarungs-Dialoge reißen aus dem sonst eher gemächlichen Fluss des Films, der sich sonst der dahintreibenden Ziellosigkeit des Protagonisten anpasst. Genau wie ihn zieht es die Handlung mal in die eine, mal in die andere Richtung. Pfade werden aufgezeigt und Möglichkeiten beschworen. Wenn das Unterschwellige hervorgerissen wird, verschwinden auch Optionen, während andere zum Zwang werden. Ähnlich funktioniert auch der Schnitt des Films: Immer wieder werden harte Schnitte dazu eingesetzt, Nicos innere Zerrissenheit erlebbar zu machen. Glamour weicht Armut, nach wütendem Sex mit einem Wildfremden sitzt er plötzlich friedlich mit einem Baby im Park. Das Problem mit dieser Methode ist, dass die Freude, die Figur kennen und verstehen zu lernen, dadurch vollständig verloren geht. Das erzählerische Gleiten verliert rückblickend den Wert, wenn ein unausweichlicher Endpunkt deutlich wird. 

Der Film streift eine ganze Reihe gesellschaftlicher Diskurse. Nico hat Angst vor der Abschiebung. Als Lateinamerikaner bekommt er nur sehr spezifische Figuren angeboten. Er steckt zwischen den Kulturkreisen fest: Mit blondierten Haaren kommt er nur für kernige „Steve“-Rollen in Frage, die er aufgrund seines spanischen Akzents nicht bekommt, doch auch als „Miguel“ wird er nicht engagiert. Eine Agentin erklärt ihm, es sei „eine aufregende Zeit für Latinos“, kann ihm aber trotzdem nicht helfen. Diese Elemente wirken authentisch, tragen aber auch eine gewisse Didaktik in sich. Genau wie die exponierten Aha-Momente wirken diese Ausflüge bleiern.

Ein alter Sinnspruch lautet „Dance like nobody’s watching.“ Julia Solomonoffs Film wirkt, als wollte er sich in seiner ursprünglichen Gelassenheit daran orientieren. Doch ganz kann das Drama nicht verstecken, dass es sich eigentlich beweisen will. Er- und Aufklären, deutlich machen, beschreiben. Das ist sein Problem. Nobody’s Watching bleibt eine angenehme Erfahrung und zeichnet ein treffendes Bild vermeintlich freier Menschen, die doch immer wieder an unsichtbare Mauern stoßen. Leider stößt der Film an dieselben Mauern, ohne sich dem je ganz bewusst zu werden.

Nobody's Watching (2017)

Nico kommt eigentlich aus Argentinien, wo er ein renommierter Schauspieler ist. Nach seinem Umzug nach New York, muss er jedoch schnell feststellen, dass das Leben im Big Apple als international unbekannter Darsteller vor allem aus erfolglosen Castings und Gelegenheitsjobs besteht. Wie soll er sein neues, so unglamoröses Leben nur seinen Freunden aus Buenos Aires vermitteln, wenn sie zu Besuch kommen…

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