Monsieur Chocolat (2016)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Stars in der Manege, Ausgestoßene abseits

Von einem vergessenen Kapitel Zirkusgeschichte erzählt Regisseur Roschdy Zem in Monsieur Chocolat. Omar Sy und James Thierrée spielen ein ungleiches, aber erfolgreiches Paar, das an den eigenen Ambitionen und dem Alltagsrassismus zerbricht.

Der Zirkus hat auf viele Regisseure eine Faszination ausgeübt. Vielleicht ja, weil der Filmemacher ein bisschen einem Dompteur gleicht, der seine Schauspieler vor der Kamera bändigt. DeMille, Fellini, Bergman, Ophüls – sie alle haben Zirkusfilme gedreht. Chaplin hat den Clown gespielt, nicht in der Manege, sondern im Varieté. Dieser Spaßmacher, stets ein Lächeln auf den Lippen, um das Publikum bei Laune zu halten, ist oft die tragischste Figur unter dem Zeltdach.

Von diesem Konflikt zwischen Innen und Außen, zwischen dem, was Künstler sind, und dem, was sie sein wollen, erzählt auch Roschdy Zem. Für Monsieur Chocolat hat er ein komisches Paar ausgewählt, das lange in Vergessenheit geraten waren. Zwar stellt Zem, wie der Titel bereits verrät, einen davon in den Mittelpunkt. Dessen Karriere ist jedoch fest mit dem Schicksal des anderen verwoben. „Zwei Seiten einer Medaille“, heißt es im Film, bevor der eine des anderen Hand ergreift und seine Worte in ein starkes Bild verwandelt. Die historischen Fakten ordnet Zem dabei recht großzügig der Dramaturgie unter.

Die eine Seite, das ist der kleine Footit (James Thierrée), ein Clown der alten Schule, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts an seinem Tiefpunkt angelangt ist. Mit seinen graumelierten Locken erinnert er ein wenig an den in die Jahre gekommenen Chaplin aus Rampenlicht (1952). Seine Nummern kommen selbst bei einem drittklassigen Provinzzirkus nicht mehr an. „Zu wenig Rhythmus, zu wenig Können, zu wenig von allem“, attestieren ihm Direktor Delvaux (Frédéric Pierrot) und dessen Gattin (Noémie Lvovsky). Ein Clown unter der Zirkuskuppel: ratlos. Doch die demütigende Landpartie bringt eine unverhoffte Wendung. In Delvaux‘ Truppe entdeckt Footit seinen zukünftigen Gegenpart. Die andere Seite der Medaille, das ist der großgewachsene Rafael (Omar Sy), der unter dem Namen Kananga den Wilden gibt – ganz so, wie sich die Kolonialherren das seinerzeit vorstellten: ein wüster Kannibale mit Baströckchen und Knochen – und der später als Chocolat mit Footit Paris erobert.

Das Prinzip ihrer Nummern ist simpel. Footit tritt Chocolat in den Hintern, jagt ihn durchs weite Rund und fällt dabei zwischendurch selbst auf die Nase. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist das revolutionär. Einen Weißclown und einen dummen August, zumal einen schwarzen, das hatte das Publikum noch nie gemeinsam in der Manege gesehen. Am Ende behält stets Footit die Oberhand, was Rafael zunehmend missfällt. Trotz all seines Erfolgs sieht er die Blicke auf den Straßen, hört das Gerede hinter seinem Rücken und bekommt den Hass schließlich zu spüren, als ihm Polizisten seine Hautfarbe vom Leib schrubben wollen. Erlebnisse, die auf die Gegenwart verweisen. Dass Rafael sans papiers ist, keine Ausweisdokumente besitzt, ist kein dramaturgischer Zufall.

Rafaels Ambitionen führen schließlich zum Bruch. Er möchte, dass das Publikum mit ihm und nicht über ihn lacht. Doch der ehrgeizige Footit, der akribisch an jeder Nummer feilt, traut dem Publikum diesen Schritt nicht zu – und soll damit recht behalten. Rafaels Wechsel zum Theater, wo er als Othello endlich ernst genommen werden will, mündet in ein gellendes Pfeifkonzert. Sein teurer, vergnügungssüchtiger Lebensstil hat ihn da längst an den Abgrund getrieben.

Monsieur Chocolat ist wie die Zirkuswelt: bunt und reich an Themen. Zem zeigt das ganz klassisch in leuchtenden Farben, sanften Kamerafahrten und Montagesequenzen voller Überblendungen. Auf das noch junge Medium Film verweist er durch einen amüsanten Auftritt der Brüder Lumière ebenso wie auf die Komiktheorien jener Zeit. Oberstes Prinzip der Komik sei die Überraschung, erklärt Footit Rafael ganz zu Beginn. Damit kann Monsieur Chocolat allerdings nicht dienen. Dafür verläuft das sehenswerte Drama über eine komplizierte Männerfreundschaft dann doch etwas zu vorhersehbar.
 

Monsieur Chocolat (2016)

Von einem vergessenen Kapitel Zirkusgeschichte erzählt Regisseur Roschdy Zem in „Monsieur Chocolat“. Omar Sy und James Thierrée spielen ein ungleiches, aber erfolgreiches Paar, das an den eigenen Ambitionen und dem Alltagsrassismus zerbricht.

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Meinungen

Sonia · 03.06.2016

Hatte den Film im Urlaub in französischer Sprache gesehen. Sehr berührender Film, mit vielen lustigen Zirkuseinlagen. Werde ihn mir unbedingt noch einmal als OmU ansehen. Klare Kinoempfehlung!

Sascha · 31.05.2016

Insgesamt lohnenswerter Kinobesuch, die Szenen in der Manege fand ich allerdings zu lang gezogen. Vielleicht liegt es aber auch daran, daß ich es nicht nachvollziehen konnte, was die Leute damals so lustig fanden. Lässt mich heute irritiert zurück.

Birgit Lingenberg · 27.05.2016

Ein sehr bewegender Film mit hervorragenden Hauptdarstellern und auch sehr gut besetzten Nebenrollen.
Ein "Muss" führ jeden, der gerne ins Kino geht.

Harald Schmidt-Brunn · 20.05.2016

Ein grandioser Film mit phantastischen Schauspielern, eindrucksvollen Bildern und einer bewegenden Handlung. Überaus sehenswert! Einer der schönsten Filme in der letzten Zeit.