Mollath - Und plötzlich bist du verrückt

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Aufarbeitung eines Justizskandals

Ein Mann in knallbunter Kleidung, mal blau, mal rot, mal senfgelb; ein Mann, der zu jedem Datum ein historisches Ereignis weiß; ein Mann, der all die Münzen in seiner Tasche kennt, ihre Seltenheit einschätzen kann und lieber schwarz fährt, als das falsche Geldstück in den Schlitz zu stecken; ein Mann, der auf dem Klamottenmarkt den Verkäufer anredet, weil ein Teil für 6,99 Euro ja wohl nicht sein kann; ein Mann, der seiner Ex-Frau wochenlang täglich Briefe schickt, weil er nicht von ihr loskommt; ein Mann, der seine Briefe auch gerne an Minister- oder Bundespräsidenten adressiert und darin von Schwarzgeld, von Ungerechtigkeit, von den hungernden Kindern dieser Welt redet und davon, dass er sicherlich nicht verrückt sei: Solch ein Mann muss landläufig als Spinner gelten. Obsessiv, manisch, paranoid. Pedantisch, rechthaberisch, selbstgerecht. Und vielleicht auch gefährlich.
Gustl Ferdinand Mollath ist solch ein Mann. Ein Spinner, ziemlich wahrscheinlich. Ein Spinner aber, dem allergrößtes Unrecht geschehen ist. Die Geschichte ist weitgehend bekannt: Mollath soll im Zuge der Trennung seine Frau gewalttätig misshandelt haben; die Ex-Frau zeigte ihn deshalb an. Er konterte mit Vorwürfen, sie sei als Anlageberaterin der HypoVereinsbank in Schwarzgeldgeschäfte verwickelt. Mollath wird der Prozess gemacht, Gutachter – die ihn nicht einmal gesprochen haben, sondern nur nach Aktenlage entschieden – beurteilten ihn als verrückt, ziemlich paranoid und gefährlich, er kommt in psychiatrische Verwahrung. 2717 Tage lang. Bis irgendwann seine Schwarzgeldvorwürfe bestätigt wurden – was freilich immer noch nicht zur Freilassung führte, erst massive mediale und öffentliche Begleitung des Falls führten schließlich zu einer Wiederaufnahme, gegen Widerstände in Justiz und Medizin…

Ein Skandal war diese Geschichte, die Regisseurinnen Leonie Stade und Annika Blendl begleiten den Fall vom Auftauchen der ersten Vorwürfe gegen die Justiz bis zum Wiederaufnahmeverfahren und Mollaths Reaktionen darauf. Freimütig äußern sich Mollath, sein Anwalt, auch ein Freund Mollaths, bei dem er unterkommt – schließlich wurde er entmündigt, sein Vermögen, sein Haus, selbst das Familiengrab sind weg.

Es kommen im Film auch zwei Journalisten zu Wort, die die Mollath-Story kritisch sehen. Einer vom Nordbayrischen Kurier, eine vom Spiegel stellen sich gegen die heftige Welle von Mollath-Sympathisanten, die lautstark und radikal seine Sache auf die Straße tragen. Gespräche mit Mollaths Ex-Frau würden auch ihre Version bestätigen, erklären sie vor der Kamera; überhaupt gebe es immer zwei Wahrheiten, die sich widersprechen mögen, sich aber auch nicht ausschließen müssen. Und wenn die beiden von Mollath-Fans übelst beschimpft und beleidigt werden, nur weil sie nicht vollends und absolut an Gustl glauben: Dann haben sie einige Sympathiepunkte für sich.

Andererseits, und das muss man dem Film zum Vorwurf machen: Diese beiden kommen zwar zu Wort, sagen aber wenig aus. Vielleicht gibt es ja juristische Gründen, dass Aussagen seiner Ex-Frau im Film nicht vorkommen – das reine Andeuten von Otto Lapp und Beate Lakotta bringt nicht viel weiter, ja: Der Film wendet ihre Argumentationen auch gegen sie selbst, wenn Lakotta sich vergaloppiert und eine Freilassung Mollaths gleichsetzt mit Integrationsprojekten für Psychiatrie-Patienten, was halt auch mal dazu führen können, dass sich ein Exhibitionist auf dem Spielplatz zeigt.

Ein bisschen zu sehr in eine bloße Alibi-Funktion werden diese beiden Gegenstimmen gedrängt, was dem Film nicht gut tut. Schöner sind die kleinen Subtilitäten, wie aus dem Fall Mollath gerne auch politisches Kapital gezogen wird, wenn Demos oder Diskussionen unter parteipolitischen – natürlich oppositionellen – Flaggen veranstaltet werden. Oder wenn Mollaths Anwalt, der ohne Honorar arbeitet, frei zugibt, dass die PR eines solchen Falles unbezahlbar sei. Und in einem gibt der gesamte Fall dem „widerständigen“ Journalisten auf jeden Fall, recht: Der weiß nämlich, dass sich Gustls Geschichte bestens verkaufen lässt, der Mann, der von seiner Ex in die Psychiatrie getrieben und von Justiz und Psychologen jahrelang unschuldig festgehalten wurde.

Stade und Blendl sind nah an Mollath dran, offenbar freut er sich über die Aufmerksamkeit, die ja nur gut sein kann in seinem Fall. Doch trotz dieser Nähe wird keine reine Mollath-Huldigung aus diesem Film: Stade und Blendl stehen zwar offensichtlich auf seiner Seite, doch sie zeigen auch, wie er sich immer wieder selbst demontiert, durch seine heftige Spinner-Anmutung, durch seine merkwürdigen Eigenheiten, diese bedeutungsschwangeren Blicke, das raunende Andeuten… Alles in seinem Kopf hängt mit allem zusammen, die Mondlandung mit dem Zustand der Welt, die Ungerechtigkeit gegen ihn mit Besuchen bei McDonald’s. Ein Querulant sei er keinesfalls, das ist ja ein Typ, der nur aus schlechter Laune heraus meckert. Wenn einem aber alles genommen wird, von Staats wegen… Dann, ja dann kann man trotzdem Querulant sein, nur eben aus besserem Grund.

Wegsperren darf man trotzdem keinen, so sehr einer auch Spinner oder Querulant sein mag.

Mollath - Und plötzlich bist du verrückt

Ein Mann in knallbunter Kleidung, mal blau, mal rot, mal senfgelb; ein Mann, der zu jedem Datum ein historisches Ereignis weiß; ein Mann, der all die Münzen in seiner Tasche kennt, ihre Seltenheit einschätzen kann und lieber schwarz fährt, als das falsche Geldstück in den Schlitz zu stecken.
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