Mojin - The Lost Legend

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Abenteuer Reinkarnation

Die Leinwand lichtet sich kaum merklich zur ersten Einstellung von Mojin — The Lost Legend. Wir stecken in einem düsteren Loch, das sich nach Jahrhunderten erstmals wieder erhellt, als sich wenig später eine gleißende Spalte zur Oberfläche hin öffnet, die Felsen bröckeln und dann drei Grabforscher uns geschmeidig an Seilen entgegen gleiten. Einer davon eine Frau: die so schlagfertige wie treffsichere Shirley, gespielt von Shu Qi. Die taiwanesische Schauspielerin hatte 2015 zwei große Rollen: die erste als schweigsame Auftragskillerin in Hou Hsiao-Hsiens Wuxia-Meisterwerk The Assassin. Und die zweite in Mojin — The Lost Legend, dem kommerziell erfolgreichsten 3D-Blockbuster Chinas.
Hous und Wuershans Filme scheinen einander diametral gegenüberzustehen – der eine die Antithese des Anderen. Wo The Assassin sich als Vertreter des slow cinema all seine Stilmittel erst einzeln erarbeitet und sie sparsam dosiert, aber eben doch ganz dezidiert einsetzt, um einzelne Nerven des Empfindungsvermögens zu reizen, schöpft Mojin — The Lost Legend aus den Vollen. Und das in Sachen Zitate und Genrekonventionen aller Himmelsrichtungen genauso wie im Hinblick auf sämtliche verfügbaren Möglichkeiten der computergesteuerten Tricktechnik. So wahnwitzig wird das Tempo, so viel passiert im Bild, dass der des Mandarin nicht mächtige Zuschauer es bald aufgibt, noch die Untertitel zu verfolgen. So viel immerhin scheint klar: unsere drei Mojin sind Grabforscher in einer langen inner- wie außerfilmischen Traditionslinie – Indiana Jones, Tomb Raider, Das Vermächtnis der Tempelritter –, die nach einer Zeit der erfolglosen Lethargie im New York der 1980er Jahre zurückkehren in ihr altes Wirkungsgebiet, die Innere Mongolei. Es ist die Phase ökonomischer Reformen in China. Hier sollen sie für die Anführerin eines Kultes eine Blüte ausfindig machen, die Equinox Flower, die es vermag Tote zum Leben zu erwecken.

The Assassin ist also Meditation, Mojin — The Lost Legend ist Akkumulation. Ihre Wirkung ist miteinander aber dennoch vergleichbar: beide schärfen auf unterschiedlichem Wege die Wahrnehmung. Wo Hou runterfährt, fährt Wuershan hoch, rückt aber ebenfalls den Plot in den Hintergrund zugunsten des sensorischen Erlebens des Films, der ausgelassenen Freude an einer fantastischen Welt. So gibt es in Mojin — The Lost Legend im Grunde auch keine inszenatorische Intensivierung oder Zuspitzung zum Ende hin – er ist von Anfang an eine Abfolge von Höhepunkten. Abenteuer reiht sich an Abenteuer, quest an quest, und das zumeist nach dem Prinzip: da waren’s nur noch neun. Selbst das Ende bildet zwar einen fulminanten Abschluss der Filmhandlung, verweist aber noch im letzten Bild auf höchstwahrscheinlich in Zukunft zu bestehende Herausforderungen.

Die Kreisform als alles überlagerndes Ordnungsprinzip ist mitnichten zufällig gewählt. Für die Grabforscher Hu Bayi (Chen Kun) und Wang Kaixuan (Huang Bo) bedeutet die Reise in die Mongolei eine Rückkehr. Vor Jahren haben sie hier als Angehörige der Verlorenen Generation während der Kulturrevolution schon einmal ein Abenteuer mit schlimmen Konsequenzen erlebt, der Film erzählt in ausgedehnten Rückblenden davon. Nicht nur für die Kult-Anführerin (Liu Xiaoqing) scheint die Equinox Flower deswegen ein erstrebenswertes Gut zu sein. Die Spinnenlilie, eine rote Blume mit feinen, dünnen Blütenblättern, wird in buddhistischen Schriften als eine Blume aus der Hölle beschrieben, die die Toten auf dem Weg zu ihrer nächsten Reinkarnationsstufe begleitet. Fantastische Legenden ranken sich um sie, manche davon erzählen von zerstörerischen Kräften.

In Mojin — The Lost Legend haben nicht nur die Fantasiewesen, blutsaugenden Insekten und Zombies zerstörerische Kräfte. Es sind vor allem jene Figuren, die blind einer Ideologie folgen. Die Roten Garden versuchen in ihrer maoistischen Verblendung die Vier Alten zu zerschlagen und die Kult-Anhänger und rücksichtslosen Kapitalisten sind ein Jahrzehnt später nicht besser, wenn sie heilige Artefakte zu ihren eigenen missbräuchlichen Zwecken entwenden und unseren Expeditionstrupp damit in eine Katastrophe nach der Anderen stürzen. Dass die nächste Reinkarnationsstufe in dieser trickreichen Unterwelt nur erreichen kann, wer neben der Konzentration auf sein künftiges Ziel auch seine Vergangenheit und sein Gewissen nicht aus dem Gedächtnis entlässt, mag nicht als übermäßig große Erkenntnis erscheinen. Aber dass sie im Mittelpunkt eines erfolgreichen Blockbusters eines Landes steht, das seine Bevölkerung davon abhält, bei der Internetsuche nach Worten wie 4. Juni Bilder vom Tian’anmen Platz zu finden, verleiht ihr durchaus Tiefe. Statt den Film diese Bedeutung vor sich hertragen zu lassen, pfeift Wuershan auf lange Erklärungen und zieht alle Register des (Schein-)Eskapismus. Erfolgreich: Schon vor Drehbeginn hatte Mojin — The Lost Legend die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Allein, dass der Film das sensible Thema der Grabräuberei in ärmeren Teilen Chinas zur Sprache bringen wollte, galt als Tabu. Jetzt ist dieser Diskurs Teil des Mainstream.

Mojin - The Lost Legend

Die Leinwand lichtet sich kaum merklich zur ersten Einstellung von „Mojin — The Lost Legend“. Wir stecken in einem düsteren Loch, das sich nach Jahrhunderten erstmals wieder erhellt, als sich wenig später eine gleißende Spalte zur Oberfläche hin öffnet, die Felsen bröckeln und dann drei Grabforscher uns geschmeidig an Seilen entgegen gleiten. Einer davon eine Frau: die so schlagfertige wie treffsichere Shirley, gespielt von Shu Qi.
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