Lilien im Winter - La Bohème am Kap

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Zeitlos

Mark Dornford-Mays Lilien im Winter – La Bohème am Kap ist eine filmische Adaption der Oper La Bohème von Giacomo Puccini, die unter ihrem Originaltitel Breathe Umphefumlo auf der Berlinale 2015 präsentiert wurde. In ihr wurde die auf Henri Murgers Roman Les scènes de la vie de bohème basierende Geschichte des 1896 uraufgeführten Werks vom Paris des 19. Jahrhunderts in das südafrikanische Khayelitsha der heutigen Zeit verlegt.
Während die „Oper in vier Bildern“ am Weihnachtsabend in einer Mansarde beginnt und Einblick in das Leben einer verarmten Künstlergruppe gewährt, setzt Dornford-Mays Verfilmung am 16. Juni ein – dem Nationalfeiertag zum Gedenken an die Opfer des Aufstandes in Soweto im Jahre 1976. Wir lernen Lungelo (Mhlekazi Mosiea) kennen, einen Journalistikstudenten, dessen Passion die Poesie ist. Mit seinen Freunden und Kommilitonen Sizwe (Zebulon Mmusi), Mandisi (Sifiso Lupuzi) und Xolile (Luvo Rasemeni) – die sich alle dem musischen Bereich verschrieben haben – trotzt der junge Mann der Kälte im gemeinsam bewohnten Zimmer. Als es am Abend zu einem Stromausfall im Wohnheim kommt, begegnet Lungelo der Botanikstudentin Mimi (Busisiwe Ngejane). Die beiden verlieben sich ineinander – doch Mimi versucht, ihre Tuberkuloseerkrankung vor Lungelo zu verbergen. Und als sich ihr gesundheitlicher Zustand zunehmend verschlechtert, fasst sie einen Entschluss.

Bereits mit dem Rock-Musical Rent, das 1996 seine Broadway-Premiere feierte und 2005 als Vorlage für einen Kinofilm diente, zeigte sich, dass La Bohème ein zeitloser Stoff ist, der sich verlustfrei in andere Dekaden und andere Milieus übertragen lässt. Rent griff diverse Figuren- und Konfliktkonstellationen der Oper auf; Lilien im Winter bewegt sich nun noch näher am Original. Die Geschichte einer an Schwindsucht dahinraffenden Frau, deren Schicksal von den Menschen, die sie lieben, hilflos miterlebt werden muss, mag im ersten Moment unsäglich melodramatisch und anachronistisch anmuten. Eine Texteinblendung am Anfang des Films erinnert uns allerdings daran, dass 2014 zwei Millionen Menschen weltweit an Tuberkulose starben – und dass der Schauplatz Khayelitsha eines der am meisten betroffenen Gebiete ist.

Die Umwandlung des von Luigi Illica und Giuseppe Giacosa verfassten Librettos sowie der Musik Puccinis ist bemerkenswert: Die Interpret_innen, die alle miteinander dem Isango Ensemble entstammen und somit ein seit vielen Jahren eingespieltes Team sind, singen in der Sprache isiXhosa; die Partitur des italienischen Komponisten wurde auf Marimbas umgeschrieben, was (selbst für Opern-Spezialist_innen) zu einem ungewöhnlichen Hörerlebnis führt. Zudem lässt der 1955 in Großbritannien geborene Regisseur und Drehbuchautor Dornford-May, der sich schon mit U-Carmen (2005) einer Opern-Adaption widmete und dafür den „Goldenen Bären“ erhielt, in seiner Inszenierung eine angenehme Experimentierfreude erkennen. Neben der emotionalen Spannung bleibt sogar Raum für Humor – etwa bei der Einführung der handelnden Figuren oder bei der Visualisierung der Dreiecksbeziehung zwischen Mandisi, der Jazz-Diva Zoleka (Pauline Malefane) und dem gierig-korrupten Lokalpolitiker Ayanda (Zamile Gantana).

In der Darstellung der Liebe zwischen Lungelo und Mimi setzt Lilien im Winter nicht auf Realismus, sondern auf Überhöhung. Nachdem sich Lungelo und Mimi gegenseitig ihre Leidenschaften und Lebensgeschichten geschildert haben, gestehen die beiden einander bereits im Verlauf der ersten Begegnung ihre großen Gefühle ein – die fortan unumstößlich sind. Wer sich darauf einlassen kann, wird mit einer eindrücklichen Adaption des Repertoire-Klassikers belohnt, die dessen aktuellen Kern ins Bewusstsein zu rufen vermag.

Lilien im Winter - La Bohème am Kap

Mark Dornford-Mays „Lilien im Winter – La Bohème am Kap“ ist eine filmische Adaption der Oper „La Bohème“ von Giacomo Puccini, die unter ihrem Originaltitel „Breathe Umphefumlo“ auf der Berlinale 2015 präsentiert wurde. In ihr wurde die auf Henri Murgers Roman „Les scènes de la vie de bohème“ basierende Geschichte des 1896 uraufgeführten Werks vom Paris des 19. Jahrhunderts in das südafrikanische Khayelitsha der heutigen Zeit verlegt.
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