Life Is A Moment

Crosskulturelle Coming-outs

Der aparte junge Pakistani Aryan (Kapil Sharma) steht kurz vor seiner Verlobung mit der hübschen, gesellschaftlich wunderbar passenden und wohlhabenden Aisha (Sadia Khan), die bereits den ausführlichen Shopping-Rausch anvisiert. Nun wird die geplante große Feier der bevorstehenden Verbindung der beiden aus geschäftlichen Gründen der Familie nach Norwegen verlegt, und Aryan nutzt die Gelegenheit, sich erst einmal ganz allein in Ruhe ein paar Tage vorher in Oslo einzufinden. Nicht ohne eindeutige Absichten, denn der meistens recht konventionell lebende Mittzwanziger fühlt sich insgeheim emotional wie erotisch stark zu Männern hingezogen, was er aber innerhalb seiner heimatlichen Gesellschaft unbedingt verbergen will.
So findet sich Aryan gleich in einem urbanen Sauna-Club für Männer ein, schwelgt in prickelnden Begegnungen und Berührungen, macht aber vor allem die Bekanntschaft des sexy käuflichen Professionellen Ashley (Yuvraaj Parashar), den er schließlich gar für drei Tage bucht, jedoch eher als Begleiter denn als sexuellen Dienstleister. Rasch jedoch bahnt sich eine zärtliche, innige Romanze zwischen den beiden Männern an, voller sanfter bis schräger Erlebnisse, wobei sich Letztere vor allem in Gesellschaft der lesbischen Ladies der Hungry Hearts Pin-Up Performance Band ereignen, Freundinnen Ashleys, die auch Aryan gleich und gern annehmen. Doch bald taucht Aisha innerhalb dieser harmonisch-heiteren Szenerie auf und behauptet sich als baldige Verlobte Aryans, was vor allem Asley aufwelken lässt. Damit beginnen die kommunikativen, kulturellen Turbulenzen zwischen den pakistanischen Familien und den norwegischen Frauen, die sich energisch weigern, ihre lesbische Lebensweise als sprachliches Missverständnis durchgehen zu lassen, was Aryan anfangs akribisch bis verzweifelt versucht …

Wenn zu Beginn von Life Is A Moment gleichermaßen humoristisch wie romantisch Aryans erster erotischer Kontakt mit einem Mann visualisiert wird, der sich in einem heftigen Überfallkuss manifestiert, dann entfaltet sich damit bereits die Leichtig- und Selbstverständlichkeit des Films in Sachen gleichgeschlechtlicher Liebe, deren Ausprägungen hier schlichtweg auf der selben Wertebene wie die gewöhnliche Heteronormativität gehandelt werden. Diese inhärente, geradezu politische Positionierung der sanften fiktiven Sorte durchzieht die gesamte Geschichte und wird herrlich komisch von kontrastiven Dogmatismen karikiert, etwa wenn andererseits hartnäckig behauptet wird, dass Homosexualität nicht existiert. Auf diese Weise geraten herkömmliche Denkmuster auf das Terrain des Absurden, was dem Film seine charmante Heiterkeit verleiht.

Die kritische Komponente schlägt sich weiterhin signifikant in der Figur von Aisha nieder, die eben gerade nicht primär als verballhornte Verlobte in Erscheinung tritt. Dass die progressiven norwegischen Frauen ihrer Freundlichkeit eingangs deutlich distanziert bis ablehnend begegnen und offenbar vorurteilshaft ihre naive Konventionalität voraussetzen, zeugt von einer gewissen ausschließenden Arroganz der avantgardistischen Subkultur – ein häufig in derlei Zusammenhängen vernachlässigter Aspekt, der hier sehr ansprechend anklingt. Am Ende zeigt sich erneut und ganz wunderbar exemplarisch die starke und respektable Haltung der letztlich tragischen jungen Frau, die Aryan aufrichtig liebt und bereit ist, ihre Verletzung anzunehmen, ohne diese in Verbitterung und Hass münden zu lassen.

Wenn die Damen der Hungry Hearts Pin-Up Performance Band deftig auf Deutsch ihr ironisches Liedchen „Die große Fickerei“ intonieren, damit auf die sexuelle Befreiung der 1960er Jahre referieren und ansonsten gern die große Liebe betonen, die sie mit ihren Ehefrauen verbindet, entsteht ebenfalls ein ambivalenter Kontrast, der künstlerisch provokative Ausdrucksformen mit den stabilen Werten einer Alltagswelt konfrontiert, deren Existenz innerhalb der Mehrheitsgesellschaft vermutlich noch immer ein Nischendasein fristet. Doch auch angesichts all dieser hintergründigen, kritischen und nachdenklich stimmenden Implikationen vermeidet es Life Is A Moment offenbar bewusst, in den dominanten Modus eines Problem-Dramas abzugleiten. Was im indischen Film à la Bollywood in aller Ausführlichkeit die gesangsträchtigen Tanzchoreographien sind, übernehmen hier in überschaubarer Spielfilmlänge die wunderbar skurrilen Auftritte der Frauen-Combo sowie einige kurze pakistanische Party-Szenen, was einmal mehr den crosskulturellen Charakter dieser indisch-norwegischen Koproduktion betont, gemeinsam inszeniert vom indischen Regisseur Sanjay Sharma und der norwegischen Schauspielerin und Künstlerin Tonje Gjevjon, die auch als Akteurin auftritt und an der musikalischen Gestaltung beteiligt war.

Life Is A Moment, der den norwegischen Pionierinnen im Kampf um die Rechte von Lesben und Schwulen Karen-Christine „Kim“ Friele und Wenche Lowzow gewidmet ist, heute beide über achtzig Jahre alt, spart nicht mit teilweise recht ausufernd blumiger Sentimentalität, was allerdings im Rahmen dieses Queer-Themas erfrischend bis rührend erscheint und dasselbe förderlich in den Kanon von romantischen Liebesgeschichten integriert. Der dynamische Optimismus des Films, der in einer europäischen Version mit deutschen Untertiteln hierzulande in die Kinos kommt, mündet konsequent in ein glückliches Ende, das elegant für eine deeskalierende, friedfertige und förderliche Vision von festgefahrenen Geschlechter- und Kulturproblematikern unserer Zeiten plädiert.

Marie Anderson

Life Is A Moment

Der aparte junge Pakistani Aryan (Kapil Sharma) steht kurz vor seiner Verlobung mit der hübschen, gesellschaftlich wunderbar passenden und wohlhabenden Aisha (Sadia Khan), die bereits den ausführlichen Shopping-Rausch anvisiert. Nun wird die geplante große Feier der bevorstehenden Verbindung der beiden aus geschäftlichen Gründen der Familie nach Norwegen verlegt, und Aryan nutzt die Gelegenheit, sich erst einmal ganz allein in Ruhe ein paar Tage vorher in Oslo einzufinden.
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