Der Effekt des Wassers (2016)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Schwimmende Liebende

In ihrem letzten Film geht Sólveig Anspach mit ihren Figuren baden. Die cineastische Schwimmstunde setzt nicht nur bei Kranführer Samir (Samir Guesmi) und seiner Lehrerin Agathe (Florence Loiret Caille), sondern auch beim Publikum die Endorphine frei. Das muss Der Effekt des Wassers sein!

Eine Liebesgeschichte aus dem Schwimmbad, einem Ort voll schlecht sitzender Badebekleidung, scheeler und verschämter Blicke, peinlicher Begegnungen wie Bewegungen – dass das funktioniert, haben vor Sólveig Anspach bereits Jerzy Skolimowski und Bastien Vivès bewiesen. Skolimowskis Deep End (1971) benannte Anspach explizit als Auslöser ihres Films; und wer weiß, vielleicht hat sie Vivès‘ famosen, fast wortlosen Comic Der Geschmack von Chlor ja ebenfalls gelesen. Ihre Liebenden könnten zumindest demselben Universum entschwommen sein.

Da ist Agathe, die bereits kennt, wer Anspachs Queen of Montreuil gesehen hat. Als sie einen plumpen Annäherungsversuch in einer Kneipe wortgewandt abwehrt, kommt Samir ins Spiel. Der beobachtet die Szene aus sicherer Distanz, bleibt vielleicht auch deshalb stumm in seiner Ecke sitzen, weil ihm ob Agathes Entschlossenheit zunächst die Luft wegbleibt, und erkundigt sich, kaum ist sie aus der Tür, nach ihrem Namen und ihrer Profession. Um sie wiederzusehen, nimmt er bei ihr Unterricht, obwohl er längst schwimmen kann. Auch der Kranführer ist ein vertrautes Gesicht, tauchte in Anspachs Vorvorgänger am Rande auf. Und er wird nicht der letzte wiederkehrende Charakter in dieser hermetischen kleinen Filmwelt der isländisch-amerikanischen Regisseurin bleiben, die ihre zweite Heimat seit ihrem Studium in Frankreich gefunden hatte.

Erneut nimmt die Geschichte ihren Ausgang in Montreuil, eines jener konturlosen Betongebilde an der Pariser Peripherie, dessen Bewohner rein gar nichts mehr vom Esprit der Kapitale versprühen. Hier pflegen die Charaktere ihre Spleens und schrägen Frisuren – vom nerdigen Kassierer Daniel (Estéban) über Agathes übergriffige Kollegin Corinne (Olivia Côte) bis zum prolligen Bademeister Rebout (Philippe Rebbot). Erst später, als es kommt, wie es in solchen Liebesfilmen kommen muss, Samirs Schwindel auffliegt und Agathe zutiefst verletzt vor ihm Reißaus nimmt und an einem internationalen Bademeisterkongress in Reykjavik teilnimmt, weitet sich mit der isländischen Landschaft auch der Blick, wird aus einem skurrilen Kammerspiel ein charmant-absurdes Roadmovie. Denn in puncto Verschrobenheit stehen die Inselbewohner den Festlandeuropäern freilich in nichts nach.

Sólveig Anspachs Humor ist bunt und anders und ein Segen für die eintönige romcom-Landschaft, die sich auch in Frankreich längst internationalen Standards angepasst hat und sich im Grunde nur noch dadurch unterscheidet, ob die Handlung vor dem Empire State Building, dem Eiffelturm oder dem Brandenburger Tor abgespult wird. Das außergewöhnliche Setting, die schrullige Geschichte und die skurrilen Charaktere sind aber nur die eine Hälfte. Die haben Erfolgskomödien wie Willkommen bei den Sch’tis (2008) und Ziemlich beste Freunde (2011) auch. Was Der Effekt des Wassers von Erstgenannten abhebt, ist Anspachs Zärtlichkeit mit den Figuren und ihr Gespür für einen leisen Slapstick jenseits der großen Knalleffekte, in denen sich die Protagonisten mit einem ordentlichen Rumms auf die Nase legen oder auf den Hosenboden setzen. Die gibt es bei Anspach zwar ebenfalls, die kleinen Momente aber, die des Verdeckens und Enthüllens, die der ungewöhnlichen Positionierung der Figuren im Raum – wie man sie im gegenwärtigen Kino nur noch selten, etwa beim Trio Dominique Abel, Fiona Gordon und Bruno Romy oder bei Roy Andersson sieht – überwiegen.

Sólveig Anspach, die bei den Dreharbeiten bereits an Krebs erkrankt war, starb noch vor Fertigstellung ihres Films. Ihr Koautor Jean-Luc Gaget hat Der Effekt des Wassers gemeinsam mit Cutterin Anne Riegel, Komponist Martin Wheeler, Tonmischer Jean Mallet und dem Produzenten Patrick Sobelman im Schneideraum vollendet. Herausgekommen ist eine wunderbar andere Komödie, die durch und durch Anspachs Geist atmet. Ein würdiges Vermächtnis und eine der zärtlichsten Liebesgeschichten des Jahres.
 

Der Effekt des Wassers (2016)

In ihrem letzten Film geht Sólveig Anspach mit ihren Figuren baden. Die cineastische Schwimmstunde setzt nicht nur bei Kranführer Samir (Samir Guesmi) und seiner Lehrerin Agathe (Florence Loiret Caille), sondern auch beim Publikum die Endorphine frei. Das muss „Der Effekt des Wassers“ sein!

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