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Kinder entdecken mit ihrer unerschütterlichen Fantasie die Welt auf ihre eigene Weise. Margreth Olin begleitet sie dabei und zeigt, wie wundervoll es ist, mit Sonnenstrahlen zu schießen, geheime Bastelstocksuchmissionen zu bestehen und den Geschmack von Ameisen zu probieren.

Kindheit (2017)

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Der Blick in die Augen des Kindes

Die Welt mit Kinderaugen zu sehen, heißt, eine Welt zu sehen, die unendliche Möglichkeiten offenbart und sich jederzeit verändern kann. Von einem Moment zum nächsten wird die Schaufel ein Gewehr, werden Holzfiguren und Autos zur mächtigen Armee im Kampf gegen das Böse und ein einfacher Junge kann zum unbesiegbaren Sonnenkönig werden.

Margreth Olin begleitet in Kindheit (Barndom, 2017) eine Gruppe von Kindern zwischen einem und 7 Jahre alt und entdeckt mit ihnen gemeinsam, was es heißt, zu spielen, zu lernen und erwachsen zu werden.

Das freie Spielen der Kindheit, keiner Regel und noch keiner Konvention unterworfen, ist seit Schiller bis in die moderne Spieltheorie bei Johan Huizinga oder Roger Caillois die Grundlage, auf der ein Mensch überhaupt eine sinnhafte Beziehung zu seiner Umwelt aufbaut. Die Freiheit des kindlichen Spiels ist rein: Du bist der König, das hier ist ein Gewehr, der Schnee ist Kaugummi, wir reiten auf unseren Pferden – all das kann gleichzeitig real werden und schon im nächsten Augenblick in etwas anderes übergegangen sein. Die Welt besteht nicht aus Grenzen, die der Möglichkeit von Handlungen gesetzt werden, sie ist vollständig veränderbar. Was Wirklichkeit ist, bestimmt die Freiheit des Spielens.

Es gibt viele Filme, die einen Blick aus den Augen der Kinder entwerfen, in ihren fantastischen Welten, wo kurz zuvor nur ein Wald lag (ein verkanntes Beispiel: Brücke nach Terabithia, 2007). Wenige Filme wählen allerdings den anderen Weg, den Kindheit einschlägt: Nicht gemeinsam mit den Kindern eine verzauberte Welt zu erkunden, sondern die Kinder dabei zu beobachten, wie sich ihre Welt, ihr Ausdruck und ihr Verhalten im Spielen verwandeln. Nicht die Welt des Spiels verzaubert sich, sondern die Kinder selbst, die diese Welt mit den magischen Fähigkeiten ihrer Einbildungskraft erschaffen.

Ein Großteil des Films begleitet den Klub der Sechsjährigen – eine kleine Gruppe von Kindern in ihrem letzten Jahr des Kindergartens bevor es in die Schule geht, die vom Erzieher Kristoffer mit besonderen Aufgaben betreut werden: So starten sie etwa zu einer großen Mission, um im Wald geeignete Äste für Steckenpferde zu finden und diese anschließend heimlich zurück in den Kindergarten zu schmuggeln.

Die Aufgabe ist dabei nicht das Ziel, in dieser besonderen Welt des Waldorf-Kindergartens, der mitten in der Natur gelegen gut zwanzig Kinder beherbergt, ist nie etwas anderes das Ziel als die Freiheit des Spielens. So entdecken ein paar Kinder bei der Suche nach Ästen einen Ameisenhaufen und stellen mit Begeisterung fest: Ameisen schmecken ein bisschen wie Zitrone, während die anderen ihre Schnitzfähigkeiten unter Beweis stellen können.

Die einzigartige Umgebung des norwegischen Kindergartens, den der Film für seine Beobachtungen ausgewählt hat, ist so zauberhaft, dass die Bilder fast aussehen, als könnten sie aus der Werbung stammen: Überglückliche Kinder, die im Blockhütten-Dorf mit ihren strahlenden Augen und Strickpullovern Spielzeuge aus Holz basteln, um schließlich gesundes Mittagessen zu bekommen und ihre Erfahrungen des Tages bei einer Auszeit mit frischem Obst unter freiem Himmel am nahegelegenen Waldstück auszutauschen. So weit entfernt dies vom Alltag vieler Kindergärten sein mag, so sehr erfüllt sich doch darin eine Utopie freier Entwicklung, die ganz unabhängig von ihrem Ort funktionieren kann.

Kindheit zeigt Bilder, die einerseits weniger das Verhältnis unter bestimmten Kindern und den Zyklus eines Schuljahres fokussieren, wie etwa in Nicolas Philiberts vergleichbar wundervollem Grundschul-Dokumentarfilm Sein und Haben (Être et Avoir, 2002). Andererseits geht es dem Film aber auch nicht um das bestimmte Modell von Erziehung, das am Ort seiner Beobachtungen gelebt wird, wie etwa in Hella Wenders‘ Berg Fidel – Eine Schule für alle (2011) und dessen Nachfolger (2017). Stattdessen richtet Olin ihren dokumentarischen Blick auf die Kinder und nur auf sie. Es sind ihr Spielen, ihre Freiheit und die überraschenden Augenblicke tiefer Einsicht und grandioser Kreativität, die so berühren. 

Der Film erkundet nicht mit Kindern die Welt, sondern er zeigt sie bei ihren eigenen Entdeckungen. Er macht sichtbar, wie stark und klug Kinder sind, wie unendlich viel mehr sie über die Welt wissen und wie tief in ihrem natürlichen Spiel der unbeirrbare Glaube verankert liegt, die Wirklichkeit verändern zu können. Am Ende des Films beginnen die Sommerferien und ein neuer Abschnitt im Leben der Kinder steht bevor. Doch die Hoffnung, dass ihre Freiheit noch ein wenig erhalten bleibt und dass auch in jedem erwachsenen Zuschauer eine kindliche Freiheit keimen kann, diese Hoffnung lebt über den Film hinaus fort.

Kindheit (2017)

Ein Jahr lang hat die norwegische Filmemacherin Margreth Olin Kinder im Alter zwischen einem und sieben Jahren in einem Kindergarten begleitet. Allerdings ist dieser ein ganz besonderer Ort, denn die Erzieherinnen und Erziehern greifen kaum ein, sondern erlauben den Kindern stattdessen, sich weitgehend frei zu entfalten.

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Meinungen

Charly & Django e.V. · 09.03.2018

Wie komme ich zu Informationen, wann und wo der Film in Leipzig gespielt wird?

Kino-Zeit-Redaktion · 09.03.2018

Der Film soll am 19.04.2018 deutschlandweit starten. Wenn Sie sich an den Start erinnern lassen wollen, können Sie sich bei uns den Filmwecker stellen lassen, indem Sie dort Ihre Mailadresse und PLZ eingeben (oben rechts auf der Filmseite).

Herzliche Grüße

Ihr Kino-Zeit-Team

Heike Meyer · 27.02.2018

Toller Film. Man verlässt glücklich und nachdenklich das Kino.