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Kinder können die Welt verändern – aber nur, wenn man ihnen zuhört. Genau das macht der Dokumentarfilm „Kinders“, ganz wie das Musik-Projekt Superar, das von ihm begleitet wird.

Kinders (2016)

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Geh zurück und tanz!

Wenn den Kindern die Zukunft gehört, dann ist es die Pflicht der Erwachsenen, eine Welt zu schaffen, in der die Kinder auch gehört werden. Das österreichische Chor- und Orchester-Projekt Superar hat sich eben dies zur Aufgabe gemacht: über die Grenzen verschiedener Länder und aller sozialen, familiären und persönlichen Barrieren hinweg singen und musizieren Kinder, finden ihre Stimme und für ihre Stimme Gehör.

Kinders, ein Dokumentarfilm der Riahi Brothers, begleitet verschiedene Kinder bei den Proben, im Musikunterricht ihrer Schulen, in einem von Superar organisierten Ferienlager, in ihren Familien. Ariunaa ist wütend auf alles und jeden. Sie hasst es, zu singen und laut zu sein. Sie ist wütend auf die Erwachsenen, die wirklich so dumm sind, einen Dritten Weltkrieg zu riskieren, und sie ist manchmal wütend auf ihre nervige Schwester. Beide leiden unter dem Tod ihres Vaters, ein Jahr zuvor. Auch Denizcan ist wütend auf seinen Vater: Mit seiner Stiefmutter versteht der Junge sich nicht, von seinem Vater will er deswegen nichts wissen, während seine Mutter versucht, für die beiden zu sorgen. Doch vorübergehend muss er in einem Wohnheim leben. Denise hat einen lebensbedrohlichen Tumor besiegt, Nandu muss sich alltäglichen rassistischen Beleidigungen aussetzen, Zarina traut sich noch nicht, mit ihrer wunderschönen Stimme laut zu singen.

Alle Kinder, zu denen der Film immer wieder zurückkehrt, die er in unterschiedlichen Situationen beobachtet und zu Wort kommen lässt, verbindet über jeden Unterschied die Musik. Egal, welche Sprache sie sprechen, egal, woher ihre Eltern stammen, egal, wie sehr sie sich manchmal gegenseitig ärgern – am Ende sind sie Freunde, selbstverständlich und wie Denizcan festhält: auch wenn jeder manchmal nervt. Wie so oft wird die Figur des Kindes zur Figur einer gesellschaftlichen Utopie: Es könne so einfach sein, man könnte auch einfach befreundet sein und akzeptieren, dass Menschen manchmal nervig sind, und doch gemeinsam wunderschöne Musik entstehen lassen.

Ein Film wie Kinders und andere Dokumentarfilme, wie jüngst der norwegische Kindheit (2017) oder Nicolas Philiberts großartiger Sein und Haben (2002), teilen einen Blick, der weniger auf die Kindheit gerichtet ist, als vielmehr mit ihr auf die Welt blickt. Was wäre möglich, würden die Erwachsenen nicht irgendwann vergessen, was es bedeutet, ein Kind zu sein? Wie fühlt es sich an, in der Welt einen Platz finden zu müssen, und dabei oft auf sich allein gestellt zu sein? 

Es ist nur konsequent, dass die Erwachsenen in Kinders kaum zu Wort kommen, sie sind Musiklehrer und Dirigenten am Rande, aber es geht hier nicht um sie. Ganz wie das Musik-Projekt, um dessen Teilnehmer und Orte der Film kreist, gelingt es auch Kinders, seinen jungen Protagonist*innen eine Stimme zu geben, viele Stimmen, die sich zu einem Chor verbinden und zu einem Orchester, um sich dann wieder aufzulösen und ihre eigene Sicht auf die Welt auszudrücken, Worte für die eigenen, oft schwierigen Gefühle zu finden.

Nicht alle Fäden, die Kinders gerne verfolgen würde, gehen schließlich gänzlich harmonisch ineinander auf, zu vielfältig und gewichtig sind viele der Themen: Was heißt Sterblichkeit? Was ist gerecht? Wer hat Macht und wer wird ausgeschlossen? Was bedeutet Integration? Ganz zu sich findet der Film aber in einer bewegenden Szene am Rande der Kinder-Disco im Ferienlager: Ein junges Mädchen wird von ihrem älteren Bruder zurechtgewiesen und auf das Zimmer geschickt, ihr Tanzstil sei nicht angemessen und werfe ein schlechtes Licht auf ihre Familie. Weinend auf dem Herbergszimmer wird sie getröstet von ihren Freundinnen. Der Ratschlag, den, so scheint es, auch Kinders seinen Zuschauer*innen zu geben hat: Egal, was die anderen sagen – lass Dich nicht unterkriegen, „geh wieder zurück und tanz!“

Kinders (2016)

In ihrer Langzeitbeobachtung begleiten Arash T. Riahi und Arman T. Riahi Kinder verschiedener Herkunft in ihrem Alltag. Was die Kinder miteinander verbindet — sie sind allesamt Teilnehmer an dem Musikförderprojekt ((superar)), das es sich zum Ziel gemacht hat, aus „unsichtbaren“ Außenseitern selbstbewusste junge Menschen zu machen. Der Film gewann 2016 den Publikumspreis der Diagonale.

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