Jugend ohne Gott (2017)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Leistungsdiktatur

In seinem Roman Jugend ohne Gott, der 1937 veröffentlicht und danach mehrfach verfilmt wurde, setzt sich der Schriftsteller Ödön von Horváth unter anderem mit dem Mitläufertum im Faschismus auseinander. Die von Alain Gsponer (Das kleine Gespenst) inszenierte Neuinterpretation, die recht frei mit der Buchvorlage umgeht, löst die Handlung, im Gegensatz zu früheren Adaptionen, aus dem nationalsozialistischen Kontext heraus und verlagert das Geschehen in eine nicht allzu ferne Zukunft, die vom Leistungsgedanken durchdrungen ist. Menschen werden dort digital vermessen, als nutzbringend oder wertlos eingestuft, was eine Zweiklassengesellschaft hervorgebracht hat. Ein reizvolles Szenario, gerade in Zeiten, da die Gräben im Zusammenleben immer größer werden und das Streben nach dem eigenen Vorteil Werte wie Loyalität und Hilfsbereitschaft zunehmend verdrängt. Angesichts der hochaktuellen Bezüge ist es jedoch umso ärgerlicher, dass der prominent besetzte Dystopie-Thriller Jugend ohne Gott fast ausschließlich mit dicken Pinselstrichen arbeitet und zuweilen unfreiwillig komisch wirkt.

Die besten Schüler einer Klasse aus dem Bereich der privilegierten Bürger nehmen an einem Hochleistungscamp in den Bergen teil, bei dem sie sich in unterschiedlichen Tests bewähren müssen und um Punkte kämpfen, die am Ende den Besuch der renommierten Rowald-Universität ermöglichen. Unter den Konkurrenten befindet sich auch die ehrgeizige Nadesh (Alicia von Rittberg), die nicht verstehen kann, warum der schweigsame Zach (Jannis Niewöhner) wenig Interesse für den anspruchsvollen Wettkampf zeigt. Immer wieder versucht sie, ihn aus der Reserve zu locken, zettelt dabei allerdings einen handfesten Streit an, der die unnachgiebige Lager-Psychologin (angemessen unterkühlt: Anna Maria Mühe) auf den Plan ruft und den ebenfalls anwesenden Klassenlehrer (Fahri Yardim) beunruhigt. Als sich Zach verbotenerweise wieder einmal mit der durch den Wald streifenden Ewa (Emilia Schüle), einer ausgestoßenen ‚Illegalen‘, trifft, kommt es zur Katastrophe.

Anders als der zugrundeliegende Roman, der aus der Sicht des Lehrers erzählt wird, fächert sich das von Alex Buresch und Matthias Pacht verfasste Drehbuch in mehrere Perspektiven auf. Was Spannungssteigerung und Vielschichtigkeit verspricht, erweist sich jedoch nur selten als gewinnbringend, da trotz verschiedener Blickwinkel eine ernüchternd holzschnittartige Figurenzeichnung vorherrscht. Statt lebensechter Individuen werden dem Publikum Funktionsträger präsentiert, die mit klaren Eigenschaften ausgestattet sind. Zach ist ein Rebell mit tragischer Familiengeschichte, der sich dem Leistungsprinzip nicht unterordnen will. Nadesh hingegen eine überzeugte Befürworterin des Systems. Der Lehrer ein Mitläufer, dessen Gewissen langsam erwacht. Ewa eine Anarchistin im klischeehaften Neandertaler-Look. Und der aalglatte Titus (Jannik Schümann) ein mit goldenem Löffel, aber zu wenig Liebe aufgewachsener Egoist.

Dass Jugend ohne Gott seine totalitäre Gesellschaft mit Hilfe diverser Typen zum Leben erweckt, ist absolut verständlich. Etwas weniger Schwarz-Weiß-Denken hätte dem Ganzen jedoch nicht geschadet. Auch in der Gegenüberstellung der reichen Sektoren mit den armen Distrikten, in denen arg plakative Verwahrlosung herrscht. Wenig Fingerspitzengefühl beweisen Gsponer und seine Autoren außerdem beim Aufbau der Beziehung zwischen Zach und Ewa, die viel zu schnell romantisch aufgeladen wird. Zu allem Überfluss nutzt der Film die eher lächerlich anmutende Liebesgeschichte nicht, um die Ausgrenzung und Verfolgung der Waldbewohnerin genauer zu erforschen und so sein inhumanes Zukunftssetting plastischer zu machen. Stichworte sollen den Zuschauer an die Protagonisten binden, reichen allerdings nicht aus, um dauerhafte Anteilnahme zu garantieren.

Befeuert wird das Ausklinken aus dem Treiben auf der Leinwand zudem durch einige Unglaubwürdigkeiten des Drehbuchs. Dafür dass Jugend ohne Gott eine vollkommen durchtechnisierte Welt im ständigen Überwachungsmodus zeigt, können sich Zach und Ewa erstaunlich unbehelligt treffen und unterhalten. Eine von mehreren Schlampigkeiten, die man leicht hätte vermeiden können. Ödön von Horváths Schulbuchklassiker als dystopische Thriller-Erzählung aufzuziehen, ist zweifellos ein interessanter Ansatz, kann in der vorliegenden Ausführung aber nicht überzeugen. Größeres Frösteln als die sicherlich schick anzuschauende Romanadaption erzeugt das von Valentin Hitz geschriebene und inszenierte Low-Budget-Drama Stille Reserven, das trotz einiger klischierter Elemente eine verstörend-unbehagliche Zukunftsvision entwirft.
 

Jugend ohne Gott (2017)

In seinem Roman „Jugend ohne Gott“, der 1937 veröffentlicht und danach mehrfach verfilmt wurde, setzt sich der Schriftsteller Ödön von Horváth unter anderem mit dem Mitläufertum im Faschismus auseinander.

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Meinungen

wignanek-hp · 28.09.2017

Ich kann die Kritik nicht wirklich nachvollziehen. Der Film will doch kein Thriller sein, der durch die Erzählung aus verschiedenen Perspektiven Spannung erzeugt. Er hebt durch den Perspektivenwechsel die Fokussierung auf den Lehrer auf, was ich als sehr wohltuend empfunden habe. Und ich empfand diese unterschiedlichen Perspektiven als spannend, aber in einer anderen Art, nämlich die unterschiedlichen Sichtweisen der Figuren zu erkennen. Zugegeben die Figuren waren psychologisch nicht sehr ausgearbeitet, aber das sollten sie wohl auch nicht sein. Es geht hier doch mehr um typische Verhaltensmuster von Menschen. Insgesamt hat mir der Film gut gefallen und ich bin froh, dass ich mich von der Kritik nicht habe abhalten lassen, ihn mir anzuschauen.