Jud Süß - Film ohne Gewissen

Eine Filmkritik von Festivalkritik zur Berlinale 2010 von Joachim Kurz

Zwischen historischer Wahrheit und Persiflage

Bis zum heutigen Tag darf Veit Harlans berüchtigter Film Jud Süß nur mit begleitendem Kommentar auf die Leinwand gebracht werden, über die Einhaltung der strengen Auflagen wacht die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, in deren Besitz sich der Film befindet. Wie schwer man sich auch noch fast sechzig Jahre nach der Uraufführung mit diesem Film tut, davon zeugen auch die teilweise sehr heftigen Reaktionen von Filmkritik und Feuilleton auf die Premiere von Oskar Roehlers Jud Süß – Film ohne Gewissen, der nun in die Kinos kommt.
Der Film erzählt, an manchen Stellen sich dicht an die historischen Tatsachen haltend, dann wieder verdichtend, von dem Schauspieler Ferdinand Marian (Tobias Moretti), der bis zu seinem Auftritt in Veit Harlans Film nicht zur ersten Riege des deutschen Films gehörte. Doch weil Reichspropagandaminister Goebbels (Moritz Bleibtreu) den Mimen in einer perfide ideologisch eingefärbten Probe zu William Shakespeares Othello brillieren sieht, setzt sich das Oberhaupt des nationalsozialistischen Films in den Kopf, dass dieser Schauspieler in der Rolle des Jud Süß Oppenheimer endlich den verdienten Ruhm bekommen soll. Und ganz nebenbei, so der Plan von Goebbels und seinem Helfershelfer, dem „Reichsfilmdramaturgen“ Fritz Hippler (Ralf Bauer), soll der Film die heimlich geplante und vorangetriebene „Endlösung der Judenfrage“ ideologisch untermauern. Marian ist geschmeichelt von Goebbels’ Avancen und geblendet von der Aussicht auf den sicheren Ruhm. Doch zugleich (und hier weicht der Film erheblich von der Historie ab) ist Marian aufgrund seiner Ehe mit der Halbjüdin Anna (Martina Gedeck) erpressbar und erliegt trotz einiger Versuche, sich als ungeeignet für die Rolle hinzustellen dem Werben der Nationalsozialisten. Tatsächlich lässt der Ruhm nicht lange auf sich warten. Doch Marian muss schnell erkennen, auf welchen Pakt mit dem Teufel er sich da eingelassen hat und welche verheerende Wirkung der Film entfaltet.

Jud Süß – Film ohne Gewissen ist nicht nur dem Inhalt nach, sondern in seiner ganzen Anlage ein Schauspielerfilm. Er erzählt von Schauspielern und ihren Karrieren, ihren Eitelkeiten und ihren Verfehlungen, von ihrer Manipulationskraft und ihrer Manipulierbarkeit, streift ganz nebenbei Karrieren wie die von Heinz Rühmann und anderen Größen jener Zeit (in einer sehr bewegenden Szene wird Hans Moser, der wegen seiner halbjüdischen Ehefrau bei Goebbels vorspricht, wie ein dummer kleiner Junge beiseite geschoben) und verdeutlicht, wie sehr das Kino sich in jenen Jahren in den Dienst der nationalen Sache stellte und mit Jud Süß eben auch als Wegbereiter und ideologischer Scharfmacher für den Holocaust gerierte — ein Pakt mit dem Teufel. Und genau deshalb erinnert Roehlers Film an manchen Stellen an István Szabós Mephisto. Das Erstaunliche: Obwohl auch Szabós Film es mit der historischen Wahrheit nicht so ernst nahm, sondern stattdessen auf die künstlerische Freiheit setzte, geriet der Anfang der 1980er gedrehte Film niemals derart ins Kreuzfeuer der Kritik.

Bei diesem Fokus ist es kein Wunder, dass auch Roehlers Film vor allem über starke und überraschend besetzte Schauspieler funktioniert: Moritz Bleibtreu als Joseph Goebbels – auf diese Idee muss man erst mal kommen. Umso erstaunlicher (und streckenweise in ihrer diabolischen Banalität) amüsanter, dass genau diese Besetzung hervorragend funktioniert, ebenso wie Tobias Moretti als Ferdinand Marian. Etwas blasser hingegen bleibt Justus von Dohnanyi, der als Veit Harlan sichtlich im Schatten des jovial-sinistren Reichspropagandaministers und dessen Star wider Willen steht.

Überhaupt sind diese vielfachen Doppelungen bis hin zum Nachstellen ganzer Szenen aus Harlans berüchtigtem Original, die beklemmend echt wirken, eine jener Facetten, die im allgemeinen Entrüstungstenor über die tatsächliche oder angebliche falsche Herangehensweise an den Stoff allzu leicht unter den Tisch fallen. Dabei werfen gerade sie ein Schlaglicht darauf, worum es Roehler eigentlich geht – um eine Bestandsaufnahme der Kunst im Zeichen des Totalitarismus, um die Verführbarkeit und die verhängnisvollen Allianzen, die zahlreiche Künstler während des Dritten Reiches eingegangen sind. Schade nur, dass Marians individuelle Schuld durch die Betonung seiner Erpressbarkeit so sehr abgemildert wurde.

Jud Süß – Film ohne Gewissen ist (natürlich) nicht eine historisch korrekte Analyse der Faktenlage geworden – wer das von einem Regisseur wie Oskar Roehler erwartet hat, darf sich kaum über das Ergebnis wundern. Sein Film ist vielmehr sattirisch überzeichnetes, grelles, sarkastisches und politisch unkorrektes Kino, das provoziert und nebenbei (man traut es sich angesichts des Inhaltes kaum zu sagen) unterhält.

Allen vernichtenden Kritiken zum Trotz sollte man sich keinesfalls abschrecken lassen, sich diesen Film im Kino anzuschauen. Zwar kann man über die Frage, wie viel dichterische Freiheit ein delikater Topos wie jener der Entstehungsgeschichte eines üblen Propagandamachwerks durchaus anderer Auffassung sein. An den schauspielerischen Leistungen von Tobias Moretti und Moritz Bleibtreu ab, die die ganze Schmierigkeit und Korrumpierbarkeit ihrer Figuren mit sichtlichem Vergnügen auf die Spitze treiben, aber besteht nach wie vor kein Zweifel. Und an Roehlers Ausnahmestellung im deutschen Film – im Guten wie im Schlechten – ändert die heftige Kontroverse um sein neuestes Werk sowieso nichts.

(Paul Collmar)
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Es war ein Teufelspakt: 1939 erhält der österreichische Schauspieler Ferdinand Marian (Tobias Moretti) von Joseph Goebbels (Moritz Belibtreu) persönlich die Order, die Titelrolle in dem geplanten antisemitischen Hetzfilm Jud Süß unter der Regie von Veit Harlan (Justus von Dohnányi) zu übernehmen. Der mit einer „Vierteljüdin“ (Martina Gedeck) verheiratete Mime lehnt die Rolle zunächst ab, doch unter dem Druck des Reichspropagandaministers knickt er schließlich ein und übernimmt die Rolle, die ihn auf einen Schlag weltberühmt macht. Der Erfolg hat aber seinen Preis: Nach und nach entdeckt Marian, welche verheerenden Folgen sein Film hat, er ertränkt seinen Kummer im Suff und fällt in Ungnade, während seine Frau in einem Konzentrationslager vergast wird.

Veit Harlans Film Jud Süß, der 1940 bei den Filmfestspielen von Venedig uraufgeführt würde, zählt zu den berüchtigtsten und erfolgreichsten deutschen Filmen überhaupt. Allein bis 1943 hatten mehr als 20 Mio. Zuschauer diesen Film gesehen. Und Zeitzeugen berichten, dass Soldaten nach den vom Reichspropagandaministerium organisierten Sondervorstellungen an der Front geradezu aufgeputscht gewesen waren. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist der Film unter Verschluss und darf nur unter strengen Auflagen und mit entsprechendem Begleitprogramm überhaupt öffentlich aufgeführt werden. Ein sensibler Stoff also, der ein bezeichnendes Licht auf die Verquickung von deutscher Filmindustrie und der menschenverachtenden Politik der Nationalsozialisten wirft.

Genau diese erforderliche Feinfühligkeit vermisst man aber in Oskar Roehlers durchaus gewagter historischer Versuchsanordnung völlig. Vielmehr geht es hier vor allem um den bloßen Effekt, sind die Figuren bis ins Karikaturistische verzerrt, werden historische Fakten umgebogen, weil sie besser in die Dramaturgie des Films passen. Dies alles wäre kein Problem, wenn sich Roehler klar zur Verzerrung und Überzeichnung bekennen würde. Seine Aussage bei der Pressekonferenz der Berlinale aber, er habe sich vor allem um größtmögliche geschichtliche Wahrheit bemüht, gibt dem Ganzen einen unangenehmen Beigeschmack.

Was dieser mit Spannung erwartete neue Film von Oskar Roehler ist, das lässt sich am besten zusammenfassen, wenn man sich den Anfang und den Schluss von Jud Süß – Film ohne Gewissen vergegenwärtigt. Am Anfang steht Tobias Moretti als Ferdinand Marian als intriganter Jago auf der Bühne und hat nach Othellos Umarmung schwarze Theaterschminke an der Backe, während Goebbels begeistert Beifall klatscht. Und am Ende geben Texttafeln Auskunft über das weitere Schicksal der Hauptbeteiligten, obwohl es der Film zuvor mit der historischen Wahrheit nicht so ernst genommen hat. Eine jüdische Ehefrau Marians hat es nie gegeben, ebenso wenig wie den von Marian versteckten jüdischen Schauspieler Adolf Wilhelm Deutscher. Und an Moritz Bleibtreus Darstellung von Joseph Goebbels irritiert vor allem, dass sie Wert auf Details wie das Humpeln und den wenig überzeugenden rheinischen Dialekt legt, die Figur aber ansonsten vollkommen der Lächerlichkeit preisgibt, ohne auch nur im Geringsten auf die verführerische Kraft des Mannes einzugehen. Dadurch wirkt der Einpeitscher der Nationalsozialisten in diesem Film eher als Karikatur als eine historische Persönlichkeit. Genau das ist Jud Süß – Film ohne Gewissen: eine unangenehme und seltsame unpassende Mixtur aus Schmierenkomödie und Histörchenfilm, aus der (durchaus vorhandenen) Jovialität der Macht und billigen dramatischen Effekten, aus Klischees über Künstler und Filmleute, aus Faktenverdreherei und einer extremen Künstlichkeit der Inszenierung. Keine Frage: Hätte sich dieser Film für eines der beiden Extreme entschieden – also entweder Farce zu sein oder sich um historische Genauigkeit zu bemühen –, wäre mit Sicherheit ein überzeugenderes Werk dabei herausgekommen.

Nach der Pressevorführung im Berlinale-Palast jedenfalls gab es — zum ersten Mal während des Festivals übrigens – laut vernehmliche Buh-Rufe aus den Rängen. Auch wenn man das nicht unbedingt gutheißen mag – so ganz verdenken kann man es den enttäuschten Journalisten nicht. Wenn man die Mechanik der Macht und die Verführbarkeit der Künste und Künstler im Dritten Reich wirklich verstehen will, führt nach wie vor an István Szabós Mephisto kein Weg vorbei.

(Festivalkritik zur Berlinale 2010 von Joachim Kurz)

Jud Süß - Film ohne Gewissen

Bis zum heutigen Tag darf Veit Harlans berüchtigter Film „Jud Süß“ nur mit begleitendem Kommentar auf die Leinwand gebracht werden, über die Einhaltung der strengen Auflagen wacht die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, in deren Besitz sich der Film befindet. Wie schwer man sich auch noch fast sechzig Jahre nach der Uraufführung mit diesem Film tut, davon zeugen auch die teilweise sehr heftigen Reaktionen von Filmkritik und Feuilleton auf die Premiere von Oskar Roehlers „Jud Süß – Film ohne Gewissen“, der nun in die Kinos kommt.
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Meinungen

Britta · 26.05.2011

Der Film ist insgesamt gut gemacht und regt zum nachdenken an. Moritz Bleibtreu spielt den Goebbels zu sehr als karikature, hingege Tobias Moretti ist einfach grandios gut.

soundso · 31.10.2010

ich bin sehr erfreut auf dieser seite eine differenzierte kritik gefunden zu haben. meiner meinung nach ist es nicht so einfach diesen film zu beurteilen, weswegen ich über die unendlich vielen unendlich schlechten kritiken überrascht war, die meiner meinung nach zu platt waren und nichtmal versucht haben, den film differenzierter zu betrachten. dankeschön.

Anneke · 12.10.2010

Der Film ist zwar kein großes Kunstwerk, ist aber gut gelungen.

Kinogänger · 28.09.2010

Kurzweiliger Film, sehenswert! Moritz Bleibtreu hervorragend!