Jahrhundertfrauen (2016)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Drei Frauen und ein Junge

Kalifornien, 1979. Der 15-jährige Jamie (Lucas Jade Zuman) wird von seiner Mutter Dorothea (Annette Bening) erzogen, sein Vater spielt in seinem Leben keine Rolle. Dorothea hat ihn erst mit 40 Jahren bekommen – und so langsam fühlt sie sich trotz aller Offenheit von der Zeit abgehängt. Damit aus ihrem Sohn ein guter Mann wird, bittet sie zwei weitere Frauen um Hilfe in seiner Erziehung: ihre Untermieterin Abbie (Greta Gerwig) und Jamies zwei Jahre ältere Kindheitsfreundin Julie (Elle Fanning). Mit diesen drei Frauen erlebt man nun in Mike Mills‘ Jahrhundertfrauen auf der einen Seite verschiedene Weiblichkeitsentwürfe des vergangenen Jahrhunderts und auf der anderen Seite das Coming-of-Age von Jamie. Deshalb darf man sich weder von dem Originaltitel 20th Century Women noch dem deutschen Verleihtitel in die Irre führen lassen: Es geht hier gar nicht so sehr um die Frauen als vielmehr um Jamie und seine Entwicklung.

Dabei gelingt es dem Film durchaus, die Zeitabhängigkeit der jeweiligen Frauen herauszuarbeiten: Dorothea ist hart, spröde und hält nichts davon, über ihre Gefühle zu reden. Sie ist 1924 geboren, hatte als Frau in einem Beruf, der überwiegend von Männern ausgeübt wird, als Spätgebärende und dann Alleinerziehende mit unkonventionellen Ansichten zu kämpfen und musste ihren Traum vom Pilotinnendasein aufgeben. Sie spricht nicht über ihre Gefühle – und ist weitaus weniger mit sich und ihrem persönlichen Glück beschäftigt als die gegenwärtige Generation. In ihrer Zeit war Individualität keine Tugend. Und so offen sie gegenüber den Trends der Gegenwart, neuer Musik und neuen Ideen ist, so verschlossen ist sie, sobald es um ihr Inneres geht. Deshalb wird ihr Verhältnis zu Jamie auch niemals freundschaftlich sein. Sie ist seine Mutter, sie liebt ihn, das steht außer Frage. Aber sie wird sich ihm gegenüber nicht so öffnen, dass sie eine große Nähe entsteht. Dagegen ist Abbie als Baby Boomer weitaus mehr mit sich und ihrem Leben beschäftigt. Sie ist in ihre Heimat zurückgekehrt, weil sie Gebärmutterhalskrebs hat – und macht Jamie nun mit feministischer Literatur vertraut, während sie als Künstlerin nach ihrem Weg im Leben sucht. Julie ist hingegen weit mehr im Hier und Jetzt von Jamie, sie ist sexuell aktiv – und macht es Jamie besonders schwer, weil sie seine Gefühle nicht erwidert. Aber immerhin zeigt sie ihm, wie man raucht, und zwar männlich, also so tut, als wäre es einem egal, ob andere auf einen achten.

Diese Frauen repräsentieren Lebenserfahrungen und verschiedene Wahrnehmungen, sie müssen nicht konventionell stark sein, sondern dürfen mit sich hadern und sich behaupten. Dabei spiegelt sich ihre Zeitabhängigkeit sehr deutlich im Umgang mit Sexualität und „Frauenthemen“.Dorothea ist sicherlich aufgeschlossen, zeigt sich dann aber doch peinlich berührt, wenn Abbie in der großartigsten Szene des gesamten Films alle anwesenden Gäste eines Abendessen dazu zwingt, das Wort Menstruation auszusprechen. Ein Versuch, der – nebenbei bemerkt – noch heute interessant wäre. Man stelle sich nur einmal eine Tischrunde heute vor, über 35 Jahre später, bei der eine der anwesenden Frauen sagen würde, sie würde menstruieren – und alle Anwesenden zwänge, es auch zu sagen. Noch heute würde es manche mit Scham erfüllen, es würde in vielen Kreisen für peinliches Schweigen zumindest für einen Moment lang führen. In dem Film nun gelingt hier die oft verpasste Mischung aus Komik und Tragik.

Es stecken fraglos viele Ideen in Jahrhundertfrauen; der Film verhandelt im Ansatz Themen wie die Bedeutung der Mutterschaft für die Identität von Frauen – und damit einhergehend, welche Bedeutung nicht nur Empfängnisverhütung, sondern auch Beratung und Hilfe haben, kurzum das gesamte Programm von Planned Parenthood, über das derzeit in den USA immer wieder diskutiert wird. Die Anlage, über den Einfluss des Zeitalters auf die Erziehung und den Charakter zu erzählen, ist interessant. Auch die Besetzung ist gut, wenngleich es bei den drei Darstellerinnen keine Überraschungen gibt: Annette Bening war bereits in The Kids Are All Right ähnlich spröde, Greta Gerwig spielt nach abermals die Künstlerin, die gerne tanzt, und Elle Fanning ein junge Frau, die nicht richtig einschätzen kann, wie sie auf andere wirkt. Aber es gelingt allen, ihre Figuren tatsächlich lebendig werden zu lassen, sie haben eine Vergangenheit und Gegenwart (am Ende erfahren wir auch, welche Zukunft sie haben werden). Nun folgt das große Aber: ihre Charakterisierungen, ihre Lebensentwürfe, Probleme und Entscheidungen sind stets ein Teil vom Jamies Coming-of-Age-Narrativ. Vielleicht ist dies sogar historisch korrekt, noch heute werden Frauen oft aufgrund der Rolle, die sie in dem oder für das Leben eines Mannes spielen, wahrgenommen und bewertet. Aber der Film hinterfragt oder erforscht diese Wahrnehmung nicht, vielmehr bleiben diese Frauen und ihre Leben auf die Aufgabe beschränkt, die sie angenommen haben: Jamie zu erziehen. Er bestimmt über ihren Erfolg oder ihr Scheitern. Und damit schwingt eine weitere, noch schwierige Botschaft mit: Es sind Frauen, die dafür verantwortlich sind, dass Jamie ein guter Mann wird. Deshalb ist Jahrhundertfrauen als Coming-of-Age-Film mit vielen Montagen und musikalischen Referenzen weitaus gelungener als als Porträt von Dorothea oder gar der drei Frauen.
 

Jahrhundertfrauen (2016)

Kalifornien, 1979. Der 15-jährige Jamie (Lucas Jade Zuman) wird von seiner Mutter Dorothea (Annette Bening) erzogen, sein Vater spielt in seinem Leben keine Rolle. Dorothea hat ihn erst mit 40 Jahren bekommen – und so langsam fühlt sie sich trotz aller Offenheit von der Zeit abgehängt.

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