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Ein Herzchen für den neuesten Instagram-Post: Nie waren sich einander völlig fremde Menschen scheinbar näher als in Zeiten der sozialen Medien. Doch ist die Anerkennung real? Sind unsere Instagram-Freunde wirkliche Freunde? Oder ist das alles nicht viel mehr eine große Illusion?

Ingrid Goes West (2017)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Das Leben der Anderen

Wer kennt diesen Eindruck nicht: Schöner, besser und interessanter, glamouröser und mondäner ist immer nur das Leben der Anderen. Die Allgegenwart der sozialen Medien und Netzwerke, in denen sich viele von uns tagtäglich bewegen, und der Hang zur Selbstinszenierung, der dem Menschen anscheinend innewohnt, erwecken den Eindruck, dass der oder die Andere es stets besser hat als man selbst.

Genau so ergeht es auch Ingrid (Aubrey Plaza) in Matt Spicers Debütfilm Ingrid Goes West, doch in ihrem Fall ist der Unterschied zwischen einem virtuellen Idol und dem eigenen elenden Leben noch ein wenig größer und realer – vor allem aber sind die daraus resultierenden Emotionen des Bewunderns und Nacheiferns längst ins Pathologische gekippt. Das zeigt sich gleich zu Beginn, als sie uneingeladen die Hochzeit einer Instagram-Freundin stürmt und diese rüde attackiert.

Das ist der Tropfen, der das Fass endgültig zum Überlaufen bringt, danach landet sie in der Psychiatrie und muss sich wegen Stalking einer Therapie unterziehen. Als sie wieder entlassen wird, zeigt sich recht schnell, dass die Behandlung nur wenig Wirkung gezeigt hat. Durch den Tod ihrer Mutter fällt Ingrid in ein tiefes Loch, das sie mit einem neuen Objekt der Bewunderung zu füllen versucht: Die kalifornische Fashion-Bloggerin und Instagram-Ikone Taylor Sloane (Elisabeth Olsen), deren Leben sie gebannt verfolgt, wird für sie so sehr zum Vorbild, dass sie beschließt, mit der Erbschaft von 60.000 US-Dollar nach Los Angeles zu ziehen und deren Nähe zu suchen. 

Genau dies klappt auch – allerdings erst, nachdem Ingrid Rothko, den Hund der Style-Ikone, entführt und dann wieder zurückgebracht hat. Und schon sonnt sich die zuerst verschüchterte junge Frau im Glanz und Glamour ihres Idols, wird von dieser gar zur besten Freundin auserkoren und scheint so endlich am Ziel ihrer Träume angekommen zu sein. Bis Taylors impertinenter Bruder Nick auftaucht, der später auf Ingrids Mobiltelefon entdecken wird, wie sehr sie seiner Schwester schon seit langem nachgestellt hat. Und von da an wird es erst richtig kompliziert … 

Auf den ersten Blick mag Ingrid Goes West zunächst wie eine locker-leichte Komödie mit satirischem Potenzial erscheinen, doch schon die erste Viertelstunde macht deutlich, dass dem Stoff jede Menge Tragik innewohnt, die hier gleichwohl – entsprechend dem Thema – in oberflächlich schillernde Bilder gepackt wird. Wir erleben Ingrid als zutiefst verunsicherten und sehr einsamen Menschen, als eine junge Frau, die zeit ihres Lebens Anerkennung und Liebe hinterherrennt und sich dabei auf den Wegen zu echter Liebe und Zuneigung immer wieder verirrt. Fatal ist dabei, dass dem Hoch der echten Begegnung mit Taylor unweigerlich die Enttäuschung folgen muss, wenn sie feststellt, dass bei dieser auch nicht alles so sehr glänzt, wie sie es zu inszenieren versteht. 

Die Ambivalenz, mit der Matt Spicer an sein Thema herangeht, gehört aber auch zu den Fallstricken des Films. Immer wieder hat man den Eindruck, dass eine stärkere Fokussierung auf die humoristisch-satirischen oder aber die tragischen Facetten der Geschichte insgesamt gutgetan hätte. Da genau das aber unterbliebt, bleibt der Eindruck von Ingrid Goes West eher gemischt, fast kommt es einem so vor, als traue sich Matt Spicer nicht so recht zu, emotional richtig in die Vollen zu gehen. Zwar hält er so die fragile Balance seiner Hauptfigur aufrecht, die – und das ist ohne Zweifel eine der großen Leistungen des Films – es vermag, zugleich einigermaßen bedrohlich wie auch auf verlorene Weise recht sympathisch zu wirken. Insgesamt aber hätte die emotionale Amplitude noch um einiges größer ausfallen können. 

Enttäuschend und fast ein wenig banal ist auch das Ende, das Matt Spicer für seine tragische Anti-Heldin findet: Natürlich findet sie schlussendlich doch jene Zuneigung, die sie stets schon suchte – und wie immer ist jemand wie Ingrid blind für das Glück, das häufig direkt vor der Haustür anzutreffen ist. Spätestens an dieser Stelle hätte man sich eine klare Entscheidung des Films gewünscht, sein satirisches oder auch sein tragisches Potenzial (oder womöglich beides zusammen) stärker auszunutzen. 

Ingrid Goes West (2017)

Die verwirrte junge Ingrid Thorburn ist besessen von dem Social Media Promi Taylor Sloane, der — so scheint es für sie — das perfekte Leben führt. Als sie beschließt, alles hinter sich zu lassen und gen Westen zu ziehen, um ihrem Idol nahe zu sein, nehmen die Dinge eine fatale Wendung …

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