Ich bin Dein (2013)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Finde ich mich in einem anderen?

Am Anfang des norwegischen Films Ich bin dein (OT: Jeg er din) sitzt eine junge Frau im Schneidersitz auf dem Boden. Sie hat einen Laptop vor sich, sieht sich Pornoseiten an und masturbiert. Bei ihr handelt es sich um die 27-jährige Mira (Amrita Acharia), sie ist eine arbeitslose Schauspielerin, geschieden und hat einen kleinen Sohn namens Felix (Prince Singh). Ihre Eltern kommen aus Pakistan, dorthin hatten sie auch Mira für eine Zeit geschickt. Nachdem sie jedoch aus Langeweile Sex mit ihrem Cousin hatte, wurde sie nach Norwegen zurückgeholt. Mit ihrem jetzigen Lebensstil sind Miras Eltern ebenfalls nicht einverstanden, insbesondere ihre Mutter (Rabia Abid) wirft ihr vor, dass sie ihre Ehe mit einem erfolgreichen Architekten ruiniert habe, weil sie die Finger nicht von fremden Männern lassen könne, außerdem solle sie sich nicht so freizügig anziehen und endlich einen Mann finden. Mira nimmt diese Vorwürfe hin, lediglich in ihren Augen sieht man, wie sehr sie sie verletzten.
Glücklich ist Mira nicht. Sie ist einsam und sucht eine neue Liebe. Körperliche Nähe erfährt sie mit ihrem aktuellen Geliebten, der aber eine Freundin hat. Dann trifft sie in einem Bekleidungsgeschäft Jesper (Ola Rapace), einen schwedischen Regisseur und Drehbuchautor, der während des Filmfestivals in Oslo ist. Er spricht sie an, sie unterhalten sich auf der Straße und schon fühlt man sich an Jesse und Celine aus Before Sunrise erinnert. Sie scheinen das perfekte Paar zu sein. Doch Jesper und Mira belassen es nicht bei einer Nacht, sondern wollen den Kontakt aufrechterhalten. Als Mira Jesper in Schweden mit ihrem Sohn besucht, zeigen sich jedoch nach der ersten verliebten Zeit kleine Risse, die der Zuschauer weit vor Mira wahrnimmt: Jesper hat für Felix kein Geburtstagsgeschenk, da er ihm etwas ‚Bedeutsames‘ schenken wolle und ihn dafür nicht genug kenne. Nachdem er mit Mira einen Quickie in einem Wald hatte und Jesper in dieser Zeit alleine spielte und anschließend traurig ist, versteht er nicht, warum Mira ihn nach Hause bringen will. Und als er mit Mira zum Boxen geht, soll Felix alleine in Jespers Wohnung bleiben. Mira willigt ein, doch selbst als sie nach einer Weile zurückgehen will, ist Jesper nicht zufrieden. Er scheint nicht damit zurechtzukommen, dass sich Mira nicht völlig auf ihn konzentrieren kann. Mira nimmt es so hin, ist bemüht, es Jesper recht zu machen. Dabei geht es ihr nicht nur darum, einen Mann zu haben. Vielmehr versucht sie, sich in ihm zu finden, ihrer eigenen Identität näher zu kommen und ihrer Einsamkeit zu entfliehen. Als Jesper ihr schließlich offenbart, dass sie sein Leben zu sehr bestimmen will – was der Wahrnehmung des Zuschauers völlig widerspricht – und er Zeit für sich brauche, außerdem die Gesellschaft von Erwachsenen vermisse, ist Mira am Boden zerstört. Jesper betont, dass er mit ihr nicht er selbst sein könne – und womöglich hat er damit recht, jedoch weiß Mira gar nicht, wer sie selbst ist. Also reist sie zurück nach Oslo und hofft auf den erneuten Kontakt mit Jesper.

Die norwegische Regisseurin und Drehbuchautorin Iram Haq entwickelt in ihrem Debütfilm Ich bin Dein das komplexe Psychogramm einer jungen Frau, die orientierungslos ist, verloren zwischen den Erwartungen ihrer Eltern und dem von ihr gewünschten Lebensstil. Mira muss mit den Enttäuschungen ihrer Eltern zurechtkommen und wird selbst ständig enttäuscht. Verständnis findet sie nicht, vielmehr ist sie verloren und einsam, obwohl sie einen Sohn und eine Familie hat. Die Kamera bleibt dicht bei Mira, so dass man sich ihr nahe fühlt – und ihr regelrecht zurufen möchte, sie solle den egozentrischen Jesper in den Wind schießen und sich von ihm nicht so manipulieren lassen. Doch die Problematik lässt sich nicht auf ‚den Mann‘ verengen. Vielmehr ist Jesper für Mira ein Ausweg, eine Abwechslung und anscheinend der einzige Weg, sich selbst näher zu kommen und Halt zu finden. Als sie in einer Bar einen weiteren Mann (Tobias Sandelmann) kennenlernt, läuft dieser Kontakt nach denselben Mustern wie bei Jesper ab, sie tanzt sogar sehr ähnlich mit ihm. Doch dieses Mal funktioniert diese Ablenkung für Mira nicht, vielmehr bricht sie in Tränen aus. Deshalb fasst sie einen radikalen Entschluss, der dem Zuschauer aber aufgrund des famosen offenen Endes nicht vollends offenbart wird.

Erstaunlicherweise wollte Iram Haq anfangs eine Komödie drehen, daher ist der Film im ersten Drittel auch in bester Independent-Tradition leicht und vergnüglich. Doch der Ton wird im weiteren Verlauf zunehmend ernster, Miras Verzweiflung wird offensichtlicher und ihre tiefe Einsamkeit ist deutlich zu spüren. Dabei konzentriert sich Iram Haq in ihrem gut inszenierten und strukturiert erzählten Film ganz auf die Entwicklung der Charaktere, spürt ihren Sehnsüchten und Träumen nach. Dadurch wird Ich bin Dein zu einem beeindruckenden Film über eine moderne junge Frau, der nun innerhalb der skandinavischen Filmreihe „Nordlichter“ einen kleinen deutschen Kinostart erhalten wird.

Ich bin Dein (2013)

Am Anfang des norwegischen Films „Ich bin Dein“ (OT: „Jeg er din“) sitzt eine junge Frau im Schneidersitz auf dem Boden. Sie hat einen Laptop vor sich, sieht sich Pornoseiten an und masturbiert. Bei ihr handelt es sich um die 27-jährige Mira (Amrita Acharia), sie ist eine arbeitslose Schauspielerin, geschieden und hat einen kleinen Sohn namens Felix (Prince Singh). Ihre Eltern kommen aus Pakistan, dorthin hatten sie auch Mira für eine Zeit geschickt.
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