I Am Not Your Negro (2016)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Ein Film, den man sehen muss

30 Seiten sind von James Baldwins unvollendetem Buchprojekt Remember this house nur fertiggestellt worden. Darin wollte der Autor die Geschichten der Bürgerrechtsaktivisten Malcom X, Martin Luther King und Medgar Evers verbinden, um von dem Leben und der Realität der Schwarzen in den USA zu erzählen. 30 Jahre nach seinem Tod hat nun der Filmemacher Raoul Peck aus diesem Material den kraftvollen, packenden und aufrüttelnden Dokumentarfilm I Am Not Your Negro inszeniert, in dem er in einer Montage aus Baldwins Worten und medialen Bildern Rassismus, Identität, Geschichte, kollektive Leugnung und Scham erforscht.

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Innerhalb von fünf Jahren wurden Medgar Evers, Malcom X und Martin Luther King ermordet. Drei schwarze Männer, die auf verschiedenen Feldern der Bürgerrechtsbewegung agierten, die aber letztlich verband, dass sie von der weißen Gesellschaft als gefährlich wahrgenommen wurden. Baldwin kannte diese Männer, er verehrte und schätzte sie. In einem Buch wollte er die Verbindungen zwischen ihnen aufzeigen, wie er 1979 in einem Brief an seinen literarischen Agenten schrieb. In ihm zieht er eine klare Verbindung zwischen diesen Männern und sich selbst: er hat lange in Frankreich gelebt, hat die USA nicht vermisst, wohl aber Freunde und Familie – und er sah es als seine Verantwortung, nicht nur in Europa über die Rolle der Schwarzen zu sprechen. Im Zuge seiner Recherche wird er nun zunehmend wütend über die Bigotterie sogar der liberalen Weißen, die über die Gewalt und Unterdrückung der Schwarzen hinwegsehen, die sich Privilegien nicht bewusstmachen. Wie Baldwin weitet daher auch der Film nach und nach den Blick über die drei Männer hinaus auf eine Gesellschaft, in der sich die Weißen ihrer Übermacht versichern und sogar beliebte Schwarze wie Sidney Poitier und Harry Belafonte als „unschuldig“ und „ungefährlich“ erscheinen müssen, damit sich der Weiße nicht gefährdet fühlt – und sei es in liberalen Filmen wie Rat mal, wer zum Essen kommt.

Jedes Wort, das in diesem Film gesprochen wird, ist von James Baldwin. Entweder ist er selbst zu hören oder Samuel L. Jackson spricht seine Worte. Sie sind gleichermaßen poetisch wie analytisch, in klarem Duktus und wohlgesetzter Betonung gesprochen, so dass man beiden ewig zuhören könnte. Dazu kommen aber die Bilder und Ausschnitte, die Raoul Peck ausgesucht hat. Von Anfang an ist die Verbindung zwischen geschriebenem Wort, den montierten Bildern und der Gesellschaft in den USA zu erkennen: die Leinwand ist in eine schwarze und weiße Hälfte geteilt, auf der sich die getippten Buchstaben verteilen und Aufschluss über das Vorhaben von James Baldwin geben. Dann folgt ein Fernsehauftritt von Baldwin. Er wird in einer Talkshow von einem weißen Moderator gefragt, ob sich die Situation von „Negros“ in den USA nicht so geändert habe, dass dies Anlass zur Hoffnung gebe. Immerhin hätten sie nun bessere Arbeitsplätze und kämen sogar in der Werbung vor. Daraufhin betont Baldwin, dass sich nichts ändert, solange diese Sprache benutzt wird – und Peck montiert dazu Ausschnitte aus Werbungen, in denen die Schwarzen nun zu sehen sind, als Koch, als Dienstmädchen, als Diener.

Hellsichtig und überzeugend nimmt der Film immer wieder die Bigotterie auseinander, die die Gesellschaft der USA nach Baldwins Einschätzung prägt: die Weißen sehen sich selbstverständlich als Helden, als bestimmende Macht in diesem Land. Sie negieren die Schwarzen, die vor Jahrhunderten nicht freiwillig kamen, sie wollen ihre Kontrolle nicht aufgeben. Dabei wird mehrfach der deutliche Unterschied in der Wahrnehmung und damit zusammenhängend der Position von Schwarzen und Weißen benannt: Während John Wayne als Held im Film gefeiert wird, weil er „Indianer“ abschlachtet, wird der schwarze Mann, der für seine Rechte kämpft, als Bedrohung empfunden – wie Baldwin es formulieren würde „because of the bad niggers we are“.

Es ist das große Anliegen dieses Films, zu zeigen, dass es immer mehr als eine Geschichte gibt, aber schwarze Geschichtsschreibung im Mainstream keinen Platz hat. Stattdessen dominiert die Geschichte der Sieger, der Mächtigen, die immer die Weißen sind. Alles andere wird als Fußnote behandelt. Aber diese Geschichten sind genauso wichtig, sie müssen bekannt sein. Dabei erweisen sich Baldwins Analysen der 1960er Jahre noch heute als ungemein aktuell, was diesen Film schmerzhaft werden lässt. Es hat sich in den letzten fünfzig, sechzig Jahren wenig bis gar nichts geändert: Weiterhin wird in westlichen Gesellschaften nach Herkunft, Sexualität und Klasse unterschieden, das zeigen die aktuellen Bilder dieses Films, aus Ferguson, von jungen schwarzen Amerikanern, die erschossen wurden, von der #BlackLivesMatter-Bewegung.

I Am Not Your Negro ist ein filmisches Essay, das nicht nur die Vergangenheit verändern will, sondern auch zu verstehen versucht, was gerade jetzt passiert. Ein brillanter Film, der unbedingt notwendig ist – und nach dem man die Kategorien der Gesellschaft und Wahrnehmung hinterfragt. Schlichtweg ein Film, den man sehen muss.

(Festivalkritik Sonja Hartl)

I Am Not Your Negro (2016)

30 Seiten sind von James Baldwins unvollendetem Buchprojekt „Remember this house“ nur fertiggestellt worden. Darin wollte der Autor die Geschichten der Bürgerrechtsaktivisten Malcom X, Martin Luther King und Medgar Evers verbinden, um von dem Leben und der Realität der Schwarzen in den USA zu erzählen.

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