Hördur - Zwischen den Welten

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Mädchen, die von Pferden träumen

Hördur ist der Titel von und der Name des tierischen Hauptdarstellers in Ekrem Ergüns Langfilmdebüt: Ein Islandpony mit isländischem Namen – ausgesprochen „Hördür“ –, der so viel wie „Krieger“ bedeutet. Und der sich türkisch anhört, selbst für junge Türkinnen – und um dieses Milieu geht es in dem Film. Aylin (Almila Bagriacik), 17 Jahre alt, hat Ärger in der Schule und Sorgen zuhause. Seit dem Tod der Mutter muss sie den Haushalt führen und den kleinen Bruder versorgen; Zeit für Trauer blieb ihr nicht, der Druck ist groß. Vor allem, weil die Schulrowdys sie heftig mobben; „Psycho“-Beschimpfungen, Milchshakes, die über sie gegossen werden, das ganze Programm. Irgendwann schlägt sie zurück, landet vor Gericht, erhält 50 Sozialstunden. So kommt sie auf einen Pferdehof und lernt Hördur kennen – obwohl kein türkisches Mädchen, das sie kennt, jemals geritten ist.
Ergün erzählt eine im Grunde typische – auch alterstypische – Geschichte vom Freiheitswillen der Pubertät, von den Träumen, die man im Leben hat, und von der Angst, vor deren Verwirklichung in der Realität des Erwachsenseins aufzuwachen. Das Pferd steht in derartigen Geschichten für die Sehnsucht nach eigener Identität, es wird zum Ziel der Wünsche junger Mädchen, zum Aufhänger der pubertätsinduzierten Konflikte mit dem Elternhaus. Das ist in vielen Teenie-Büchern und -Filmen inzwischen zum Klischee geronnen, und all dies bedient auch Hördur. Doch Ergün ergänzt eine wichtige Zutat: die Verwurzelung in einem geerdeten Milieu. Hier ist nichts rosarot, hier gibt es wenig sentimentale Anbiederung an Mädchen-Stereotype.

Insbesondere in seinem ersten Drittel ist Hördur das beinahe bittere Porträt einer jungen Türkin in Mannheim mit einer durch einen schweren Schicksalsschlag zerbrochenen Familie; mit einem verstörten jungen Bruder, einem als Tagelöhner auf dem Bau hart arbeitenden, aber wenig erreichenden Vater, dessen Stolz größer ist als seine Möglichkeiten im Leben. Die (aufgezwungene) Arbeit auf dem Pferdehof wird zu einem Stück langersehnter Freiheit, zur Erfüllung einer Hoffnung, die sich nicht aus vorgesetzten, äußerlich eingepflanzten Träumen speist, sondern aus einem tiefen inneren Bedürfnis.

Felicitas Woll spielt die zunächst mürrische, widerwillige Hofbesitzerin, die sich dann als begeisterte Trainerin von Aylin erweist. Sie kann nämlich gut mit Pferden und besonders gut mit Hördur, sie könnte es schaffen, in ein paar Wochen beim Islandpony-Rennturnier mitzumachen. Im Mittelteil verfällt der Film dann doch etwas in die Handlungsklischees einschlägiger Strukturen: Der Vater will die Tochter natürlich nicht reiten lassen, die Trainerin ist natürlich hartnäckig, Aylin stellt sich natürlich gegen den – aus Geldmangel nicht unberechtigten – ablehnenden Wunsch des Vaters. Auch die ganz offensichtlich ziemlich weite Entfernung des Reiterhofs von der Großstadt, idyllisch in freier Natur gelegen, ist etwas abwegig, immerhin muss Aylin ja jeden Nachmittag nach der Schule dorthin.

Doch die guten Darsteller – Almila Bagriacik als Aylin wirkt zunächst etwas zu alt für eine Schülerin, erweist sich aber im Folgenden als vollauf glaubwürdig –, die sensible Kameraführung, die auf den Punkt kommende Regie, und die überzeugende filmische Arbeit mit dem Pferd lassen den Film über die üblichen Pferdefilmmuster hinauswachsen. Und vor allem: So viele Filme, die im deutsch-türkischen Milieu spielen, ohne dieses als Besonderheit auszureizen, gibt es nicht im deutschen Kino. Allein dafür hat Hördur alle Achtung verdient – als Beitrag zur vielbeschworenen Integration, indem er nämlich den so häufig postulierten culture clash nicht einmal ansatzweise thematisiert.

Hördur - Zwischen den Welten

„Hördur“ ist der Titel von und der Name des tierischen Hauptdarstellers in Ekrem Ergüns Langfilmdebüt: Ein Islandpony mit isländischem Namen – ausgesprochen „Hördür“ –, der so viel wie „Krieger“ bedeutet. Und der sich türkisch anhört, selbst für junge Türkinnen – und um dieses Milieu geht es in dem Film.
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Meinungen

Sonja · 10.11.2015

Wir waren mit 2 Kindern im Alter von 7 im Kino.
FSK meiner Meinung ab 12 Jahren!!! Ein jüngere Kinder sind mit dem Thema Integration und Mobbing überfordert. Auch die Situation "ohne Mutter" leben zu müssen und für die Versorgung der Familie verantwortlich zu sein, ist für ein Kinder zu "viel"!!!

Der Kommentator · 24.07.2021

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