Heil

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Man darf das!

„Die Satire bessert selten. Darum sei sie nicht bloß lächelnd, sondern bitter, um die Toren, die sie nicht bessern kann, wenigstens zu bestrafen.“ Treffender als mit diesem Satz von Jean Paul lässt sich Dietrich Brüggemanns Film Heil kaum beschreiben. Es ist ein Film, bei dem einem das Lachen mehr als einmal nicht einfach nur im Halse stecken bleibt, sondern eher ein Ausdruck von Bitterkeit ob der gezeigten Wahrheiten ist.
Erzählt wird die Geschichte des afrodeutschen Autors Sebastian Klein (Jerry Hoffmann), der auf Lesereise in dem ostdeutschen Grenzort Prittwitz von den ortsansässigen Neonazis mit einem Schlag auf den Kopf begrüßt wird. Fortan plappert er alles nach, was man ihm sagt. Sofort wittert der (An-)führer der Neonazis Sven (Benno Führmann) seine Chance: Ein „Schwarzer“, der sich gegen Integration und Ausländer stellt, könnte ihn endlich zum (Meinungs-)führer in Deutschland machen, so dass er seine angebetete Nazi-Braut Doreen (Anna Brüggemann) mit einem Überfall auf Polen beeindrucken kann. Allerdings hat sich Sebastians schwangere Freundin Nina (Liv Lisa Fries) bereits auf die Suche nach ihrem Freund gemacht – und schon bald mischen auch verschiedene Staatsschutzorgane mit.

Das sind nur die Grundzüge der Handlung von Heil, aus denen Dietrich Brüggemann eine teilweise wahnwitzige Komödie entwickelt, in der fast jede Personengruppe persifliert und karikiert wird. Es gibt Politiker, die aus Sorge um das Image ihres Ortes nicht über Neonazis sprechen wollen, liberale Intellektuelle, die über Definitionen und Zuschreibungen streiten, und eine Antifa, die vor lauter Demokratie und Korrektheit nicht mehr aktiv sein kann. Hinzu kommen Seitenhiebe auf die Deutsche Bahn, so macht der Schienenersatzverkehr den Angriff auf Sebastian erst möglich, Neonazi-Versteher wie den gutmütigen Polizisten Sascha (Oliver Bröcker), der glaubt, Doreens Haltung sei gemäß des Ärzte-Songs nur ein Schrei nach Liebe, und Gerichtsverfahren, in denen sich die Justiz tatsächlich als blind auf dem rechten Auge erweist. Das sind aber alles nicht bloße Gags, sondern Dietrich Brüggemann spricht mit seinem Film bittere Wahrheiten aus: über die Inkompetenz des Verfassungsschutzes und weiterer „Sicherheitsbehörden“, bei denen die Angst vor Spionage weitaus größer ist als die Sorge um demokratische Freiheiten und ein „Gott sei Dank“ darüber geäußert wird, dass die Zeiten nun vorbei seien, in denen die Politik noch die Arbeit des Verfassungsschutzes behindere; über Medien, die sich jeglicher Komplexität verweigern, sondern nur noch Floskeln von sich geben und nach Emotionalität gieren; einer Polizei, die Racial Profiling betreibt und bei einem Überfall auf einen türkischen Kiosk erst einmal die Besitzer einer Alkoholkontrolle unterzieht, statt ihre Aussage aufzunehmen, und ebenso wie der ostdeutsche Bürgermeister ignorieren will, dass Neonazis Täter sein könnten; und eine Bevölkerung, die fast erleichtert darauf reagiert, dass nun ein „Ausländer“ etwas über „Ausländer“ sagt und es damit gewissermaßen gesellschaftlich akzeptabel macht.

Darüber hinaus nimmt Brüggemann in einer Sequenz, in der er selbst in einer Talkshow auftritt, die Diskurse vorweg, die vermutlich angesichts seines eigenen Films einsetzen werden – über die deutsche Komödie, die nicht lustig sei und die Frage, ob man überhaupt über Nazis Witze machen dürfe. Letzteres beantwortet Heil mit einem sehr deutlichen ja – und zeigt, dass man sie sogar machen muss. Denn der Witz hat eine subversive Kraft, die oft unterschätzt wird. Diese Wirkung entfaltet der Film immer, wenn er sehr genau die Sprachmuster und Verhaltensweisen der jeweiligen Gruppierungen aufgreift und wiedergibt, dazu gehören die ewigen Diskussionen der Antifa ebenso wie in Talkshows und das Bemühen um eine nicht hierarchische Sprache. Dadurch verweist der Film zugleich auf gesellschaftliche Tendenzen wie den „Nipster“, den Nazi-Hipster, der nun eben nicht mehr nur in ostdeutschen Jugendzentren arbeitet und dort Nachwuchs rekrutiert, sondern sich auch in Hamburg betont lässig und hip kleidet, um den gängigen Klischees der Glatze und Springerstiefel zu entkommen. Hinzu kommen Figuren, die allesamt gut gespielt werden, amüsante Gastauftritte, unter anderem von Andreas Dresen und Heinz Rudolf Kunze, und eine Inszenierung, in der sich Brüggemann visuell von dem realistischen Sozialdrama über die romantische Komödie bis hin zur Ästhetik des amerikanischen Kriegsfilms sicher bewegt. Deshalb verzeiht man dem Film Längen im Mittelteil und den ein oder anderen totgelaufenen Running Gag, zumal er – ehe er droht, vollends redundant zu werden – in einem furiosen Schlusskampf mündet.

(Sonja Hartl)
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Die Schwulen, ja, die werden in Heil nicht verar… nein, halt. Als Unterkategorie des Genderdebatte-Bashings gibt es auch diesen Moment… Aber die Behinderten. Die hams gut. Auf die zielt Dietrich Brüggemann in seinem völlig überdrehten Rundumschlag nicht ab (die hat er ja schon in Renn wenn du kannst aufs Korn genommen). Und die Oma im Rollator, die in der allerersten Einstellung langsam aus dem Hintergrund näher kommt, die ist eine ganz normale Oma mit Rollator. Sorgt natürlich in dieser Szene für zusätzliche Komik, aber vor allem als Gegengewicht zu den Bekloppten, die direkt vor dem Kameraauge agieren – und natürlich ist es so ein Detail wie diese Oma, die dem Film den entscheidenden Touch gibt, der ihn heraushebt. Denn auch, nein: vor allem eine Farce, die mit aktuellen Diskursen jongliert, zumal eine Farce, die von Neonazis und anderen eingeschränkten Gemütern handelt, kann so viel falsch machen, wenn man die kleinen Feinheiten der Gestaltung außer acht lässt, wenn man sich auch nur im Geringsten im Ton vergreift, wenn die Kleinigkeiten nicht stimmen. Weil es halt so einfach ist, blind um sich zu schießen. Die Kunst ist, mit Schrot ins Schwarze zu treffen.

Brüggemann wäre nicht Brüggemann, wenn er diese Kunst nicht beherrschte. Und so sehen wir Glatzenkopp Johnny, wie er sich bemüht, verfassungsfeindliche Symbole zu sprayen. Zwischendurch jagt er sein Hundchen Jesus gegen eine Asiatin, ein Fernsehjournalist wittert eine Story über den braunen Osten, und ein aufrechter, aber etwas schießwütiger Polizist übt die Staatsgewalt aus. Dazu die Oma. Im Rollator. Und dieses Gekritzel an der Wand, das man nicht sieht, das man aber in seiner doppelten Doofheit erahnen kann: Erstens inhaltlich, zweitens orthografisch. Nur konsequent, dass später aus der deutschen Sprache, die die Nazis nicht beherrschen, ein kleines, beiläufiges Life of Brian-Zitat wird: Nicht „Romanes eunt domus“, sondern „Weit Pauer“ 100 Mal in der Unterführung.

Einen Gag nochmal in sich zu steigern, umzustürzen, mit einer anderen hochgepushten Albernheit zu vermengen, um dann zu etwas ganz anderem zu kommen: Brüggemanns Heil hat in der Tat einiges mit der Methode Python gemeinsam; nur dass die Pythons abstrakter waren und dadurch absurder. Brüggemann zielt auf die aktuellen Debatten ab, die sich konkret in Politik und Gesellschaft, gespiegelt in den Medien abspielen – und vereinigt so den Nonsens pythonscher Prägung mit der schlingensiefschen Groteskkunst, der in seinem Filmwerk ebenfalls alles, was irgendwie im Schwange ist, aufs Korn nimmt, um nicht Filme über den Wahnsinn, der uns umgibt, zu drehen, sondern tatsächlich wahnsinnige Filme zu machen.

Klar, dass Schlingensief posthum auch bedacht wird, ein Theaterregisseur will mit echten Nazis in Bayreuth so richtig aufrütteln, jenseits der Provokation; auch der Regisseur selbst hat sich in seinen Film hineingeschrieben: Tom Lass (einer von massig vielen Cameoauftritten diverser Regiekollegen) spielt den Brüggemann-Avatar in der Talkshow Auf die 12 und darf Worthülsen vom Lachen, das im Halse stecken bleibt, von sich geben. Wie man es halt tut, wenn man im Fernsehen auftritt.

Wenn alles durch den braunen Kakao gezogen wird: Kann dann noch was Sinnvolles aus dem Unsinn der Albernheit herausgezogen werden? Ja, absolut: Weil Brüggemann nicht ein allgemeines Dagegen formuliert, sondern sich vor allem gegen all die Dummheit, die den ganzen Quatsch gebiert, wendet. Allen voran natürlich gegen die Nazis, die absolut doof und hochgradig gefährlich sind – aber auch gegen all die sonstige Verbohrtheit, die fixen Ideen, die aus Ich-Bezogenheit genährte Unvernunft, die leeren Worthülsen und die Masse an Klischees, mit denen wir alle uns herumschlagen… Nichts ist heilig, und nichts ist heil. Und alles ist für einen Witz gut.

Es geht um Prittnitz, im Dreiländereck zwischen Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen gelegen. Dort haben sich ein paar braune Zellen gebildet, allen voran die um Sven (Benno Fürmann) und seine zwei Handlanger Johnny und Kalle. Wobei sich die Bande um Nazibraut Doreen (Anna Brüggemann) der Gefolgschaft verweigert, aber nicht weniger Rabatz macht. Dazu kommen die Verfassungsdienste der drei einschlägigen Bundesländer – jeder ist natürlich zuständig, und jeder hat seine V-Leute. Alles im Griff also – bis Sebastian Klein (Jerry Hoffmann), ein schwarzer Deutscher (nein, halt: ein people of color) auftritt, der einen Bestseller über das braungebrannte Deutschland geschrieben hat. Und von der Sven-Bande geschnappt wird, nach einem kleinen Kopfunfall inklusive Gedächtnisverlust. Er wird zum Strohmann für Svens wirre Ideen von Rasse, Nation und Identität, weil er alles nachplappert – das Vergessen schafft in diesem unseren Lande viel Unheil. Seine Freundin Nina (Liv Lisa Fries), hochschwanger und voll weiblicher Eifersuchtshormone, verfolgt Sebastian, den aufrechten Polizisten und den sensationshungrigen Journalisten auf den Fersen – kurz: Die Handlung ist Nebensache, das Beiwerk zählt, und die ultralinke Antifa bekommt auch ihr Fett weg. Polen wird überfallen — um der Liebe zu einer Frau willen.

Heil ist durchweg lustig, weil der Rundumschlag reflektiert erfolgt – Brüggemann weiß genau, wen er mit welchen Mitteln und zu welchem Zweck er aufspießen kann: Eine Jagdgesellschaft um Hanns Zischler tritt ebenso auf wie ein Richter, der auf dem rechten Auge blind ist, und Rekruten mit ihren Videogame-Ballerspielen. Ich habe viel gelacht. Insbesondere zweimal, in perfekt ausgespielten Gags um die Datenbeschaffungsmaßnahmen beim Verfassungsschutz mit ihrem Klotz von abhörsicherem Laptop und der telefonischen Anforderung eines Online-Videos; und natürlich das Hipster-Nazi-Emblem mit der Feuerschale, aus der eine Swastika aufsteigt, mit einer danebenstehenden heldischen Figur, den Arm zum deutschen Gruß erhoben.

Heil

„Die Satire bessert selten. Darum sei sie nicht bloß lächelnd, sondern bitter, um die Toren, die sie nicht bessern kann, wenigstens zu bestrafen.“ Treffender als mit diesem Satz von Jean Paul lässt sich Dietrich Brüggemanns Film „Heil“ kaum beschreiben. Es ist ein Film, bei dem einem das Lachen mehr als einmal nicht einfach nur im Halse stecken bleibt, sondern eher ein Ausdruck von Bitterkeit ob der gezeigten Wahrheiten ist.
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Meinungen

Monika · 27.07.2015

Der Film ist eine Zumutung- eine absolute Katastrophe- ständig hat man den Wunsch, das Kino zu verlassen und bleibt dann doch in der Hoffnung, es wird noch erträglich.
Peinlich- platt- unklare Handlungsstränge - misslungene Satire. Schaaaadeeeee !!!!!!!!!!!!!!!!!!!

Viktoria · 22.07.2015

LAUT OHNE WAS ZU SAGEN

1) Was bedeutet das, wenn ein Regisseur keine Haltung zu so einem Thema hat?
Das Lachen, das der Film generiert, verharmlost und ist wirklich banal. Der Film verdeckt die eigentlichen Probleme und biedert sich auch häufig dem Zuschauer an. Entlarvend ist da wirklich überhaupt nichts.

2) Was bedeutet das, wenn der Film nur noch so wimmelt von Figuren, die besetzt sind mit Leuten, die aus der in und off Filmszene kommen? Moritz Krämer als Antifa Typ, Tom Lass, Andreas Dresen, Alfred Holighaus ..... Ist das vielleicht eine Art Mitmach Film, eine Marketing Idee, will man sich der Zustimmung der Filmszene versichern, was soll das?

3) Geht es nicht in dem Film um den Narzissmus des Regisseurs, der zwar gerne andere Filmemacher diskrediert, sich in Interviews in einer Reihe mit Arthouse Regisseuren wie Apichatpong Weerasethakul sieht. Und tatsächlich ein Ego hat, das sich selbstgerecht aufbläht, ohne etwas zu sagen.

Norah. · 21.07.2015

Die Story ähnelt sehr dem film "Der schwarze Nazi"
von der Filmgruppe "Cinema Abstruso"
Hier mehr: www.derschwarzenazi.de/presse

kreuzer-leipzig.de/2015/06/18/nazis-diebische-big-player-und-koenige/

Nicole Stahl · 18.07.2015

Ich habe viel für Humor in jeder Form übrig - schwarz, bissig, satirisch, trocken - mag ich alles. Das alles gibt es auch in diesem Film, aber nur in Einzelszenen, über die ich auch sehr lachen konnte. Aber es ist kein Zusammenhang, keine wirkliche Handlung, kein roter Faden erkennbar und vor allem habe ich mich die ganze Zeit gefragt: Was will dieser Film? Was ist seine Aussage? Dass Nazis dumm sind? Wussten wir zum einen schon vorher, zum anderen stimmt das leider längst nicht mehr, da es mittlerweile genug darunter gibt, die ohne Springerstiefel und Glatze herumlaufen (für meine Begriffe die weitaus gefährlicheren).
Dass der Verfassungsschutz eine Blamage ist? Auch nichts Neues.
Es wird einfach keine Aussage, kein Handlungsstrang filmisch und logisch zu Ende geführt, sondern der Film ist voll von Abgehacktem, das nicht zu Ende gebracht wird. Das hat mich gestört, weil es viele gute Ansätze gab, die aber einfach im Sand verliefen. So blieb ein total überfrachteter Film, der anstrengend anzusehen war und für mich ohne klare Aussage, und das finde ich für einen Film über solch ein Thema, der auch noch ein deutscher Film ist (von den Amis hätte ich ja nicht mehr erwartet), zu wenig. Daher habe ich das Kino nach einer Stunde verlassen.

@luc · 24.05.2015

Die Band heißt "Frau Potz" und der Song "Ach Heiner". Grüße, Mike

luc · 23.05.2015

wie heißt die band die am ende des trailers eingespielt wird?