Happy (2016)

Eine Filmkritik von Olga Galicka

"Wenn du dir Mühe geben würdest ..."

Eine der ersten Szenen von Happy zeigt Vater und Tochter auf parallelstehenden Liegestühlen vor einem Pool irgendwo in Thailand. Zwischen den so akkurat arrangierten Liegen ist ein ordentlicher Abstand, beinahe absichtlich symmetrisch errichtet. Die Aufnahme ist ein Tableau und vielleicht auch deswegen leicht befremdlich. Um Carolin und Dieter Genreith ist niemand, hinter ihnen ein gelber Bungalow mit Ziegeldach und im Hintergrund ist das klischeehafte Zirpen der Grillen zu hören. Vater und Tochter lesen beide in einem Buch, in ihren Haltungen komplementieren sie sich. Da ist zwar keine Nähe, aber doch Ähnlichkeit und auch eine Beziehung. Was die Regisseurin Carolin Genreith als Urlaubslektüre mitgenommen hat, erkennt man nicht. Der Vater hingegen liest Michel Houellebecqs Unterwerfung. Die lakonische Taube der deutschen Fassung lugt von der Frontseite hervor und schaut auf einen zurück. Lässt man den skandalisierten Teil von Houellebecqs Roman außen vor, so erzählt das Buch letztlich von einem gebildeten Mann, der zwar eine soziale Stellung, aber keine persönliche Befriedigung im Leben erlangt hat. Um den einsamen Alltag halbwegs zu genießen, schläft der Protagonist mit jüngeren Studentinnen und rühmt sich, kulturell offen zu sein, indem er mit Kollegen mehrmals die Woche exotische Restaurants aufsucht. Es ist schon fast ironisch, wie sehr Houellebecqs Protagonist dem von Carolin Genreith ähnelt. 
Genreiths Protagonist ist ihr Vater. Nach der Trennung von seiner Ehefrau ist er einsam, sucht nach Nähe und findet sie in der Heimat in der Nordeifel nicht. Genreiths voriger Film, Die mit dem Bauch tanzen, der 2013 bei der Berlinale in der Sektion Perspektive deutscher Film uraufgeführt wurde, handelte von ihrer Mutter und deren zweiter Blüte, nachdem sie ihren Vater verlassen hatte. In diesem Film gab es durchaus eine Beziehung zwischen Mutter und Tochter. Gewissermaßen war Die mit dem Bauch tanzen für Genreith persönlicher und der Zugang zum Stoff leichter. Genreith musste sich nicht nur mit dem Älterwerden der Mutter und deren Freundinnen auseinandersetzen, sondern konnte darüber auch das eigene Reifen und die Angst vor dem immer näher rückenden dreißigsten Geburtstag reflektieren. Doch wie geht man an einen Film über den eigenen Vater heran, der seit Jahren mal alleine, mal mit Freunden nach Thailand fährt und dort vor drei Jahren eine Frau kennengelernt hat? Tukta Supaphon Pimsoda, Dieter Genreiths thailändische Freundin, ist gerade ein paar Jahre älter als Carolin. Nun will Dieter sie nach dreieinhalb Jahren Fernbeziehung heiraten und befindet sich über die komplette Länge des Films in einem Verhandlungsprozess darüber, wie das zukünftige Leben mit Tukta aussehen soll. Dabei kommen auch Konflikte und Reibungen zwischen Carolin und ihrem Vater an die Oberfläche, werden vielleicht nicht wirklich verhandelt, aber doch angesprochen und in den Raum gestellt. Das Thema ist nicht nur auf persönlicher Ebene kompliziert, sondern ebenso auf sozialer und politischer. Und so scheint der Film an manchen Stellen an dieser vielschichtigen Komplexität, die in diesem Rahmen keine Auflösung finden kann, mitunter zu leiden. 

Kurz vor der beschriebenen Szene war der Vater aus dem Pool getaucht und hat sich mit seinen Ellbogen auf den Poolrand gestemmt. Glücklich hat er dabei ausgesehen und gelacht, während das Wasser sein Gesicht heruntergelaufen ist und er es sich in einer klassischen Geste, wie sie Menschen eben machen, mit einer gewissen Zufriedenheit aus dem Gesicht gewischt hat. Und irgendwie konnte man schon da den genervten Blick der Tochter erahnen, die zwar nicht als Kamerafrau hinter der Kamera stand, aber doch sicherlich als Betrachterin. 

„Wenn du dir Mühe geben würdest“, sagt Genreith später zu ihrem Vater, „dann würdest doch eine nette Lehrerin hier in der Eifel finden.“ Oder auch: „Ihr wärt mir peinlich, wenn ich euch in mein Lieblingsrestaurant in Hamburg mitnehmen würde.“ Und schließlich: „Ich möchte zu meinem Vater aufsehen.“ Erst als der Vater sich wiederholt gegen die Anklagen wehrt und sehr genau seine Gefühlswelt artikuliert, fragt Genreith gar ungläubig: „Papa, bist du so einsam?“

Einen Film über die eigenen Eltern zu machen, ist sicher immer schwierig. Wenn die Mutter in ihren Sechzigern den Bauchtanz für sich entdeckt und man selbst in der Quarterlifecrisis steckt, dann ist es recht einfach, sich in die Mutter einzufühlen. Wenn der Vater jedoch so einsam ist, dass er lieber „mit wildfremden Frauen kuschelt“, dann endet schnell die Empathie. Und auch hier merkt man, es muss noch viel getan werden für den Feminismus. Dass Frauen sich miteinander verbünden, Gruppen bilden, sich gerade im Alter noch einmal neu verwirklichen, ist mittlerweile gesellschaftlich akzeptiert. Der Mann sollte hingegen, wenn er die besagte Lehrerin nicht findet, stillschweigend in der Kneipe neben seinen Kumpels sitzen, die genauso unglücklich sind. Es ist bewundernswert, wie artikuliert Genreiths Vater ist, wenn es um seine Gedanken und Gefühle geht, und doch merkt man, dass die Tochter zuweilen nicht damit umgehen kann. 

Dabei zeigt sich hier doch ein interessantes Problem. Was machen Männer über Sechzig, wenn sie allein bleiben? Und was ist der Reiz an den Reisen nach Thailand, an den jungen Frauen dort? Ist es wirklich alles so einfach, wie die Gesellschaft und teilweise die Tochter selbst glaubt? Genreith ist ein Mann, der auf so viel Ablehnung gestoßen ist und doch weiterhin sucht. Zusammen essen, zusammen kochen, zusammen putzen, zusammen schlafen – das ist, was er sich wünscht. Am schönsten ist deswegen der Blick auf den Vater, wenn man Philipp Baben der Erdes Kameraführung spürt. Die Kamera folgt Dieter Genreith liebevoll und mit einer zurückhaltenden Zartheit. Mit einer beinahe tschechowschen liebevollen Distanz, die Tschechow selbst gegenüber komischsten Figuren wahren konnte, blickt der Erde auf Genreith. Da merkt man, dass da ein Mensch ist, der immer noch ein bisschen mehr wollte. Der auch mal den Stall in Unterhose aufräumt. Ein Charakter, der auf beeindruckende Weise er selbst ist. 

Vielleicht liegt dem Unverständnis der Tochter eine Fehlvorstellung von Liebe zugrunde. Liebe im modernen Deutschland, das sind starke Gefühle, Leidenschaft, Einverständnis, das komplette Paket und am besten alles auf einmal und gleich zu Anfang. Aber Liebe ist auch Zuverlässigkeit, Vertrauen und Sicherheit. Und es scheint manchmal, als hätte gerade Tukta diesen entromantisierten Blick eines Menschen, der mehr erlebt hat als die anderen Beteiligten des Films. Es ist ein Lebensentwurf, der scheitern kann. Und vielleicht auch scheitern wird. Aber doch ist es lohnenswert, ihn anzuschauen. Auf diese Menschen zu blicken, für die sich solche Art von Entwürfen abspielen. Und auch auf Töchter, die sich mit diesen Dingen auseinandersetzen müssen. 

Happy (2016)

Eine der ersten Szenen von „Happy“ zeigt Vater und Tochter auf parallelstehenden Liegestühlen vor einem Pool irgendwo in Thailand. Zwischen den so akkurat arrangierten Liegen ist ein ordentlicher Abstand, beinahe absichtlich symmetrisch errichtet. Die Aufnahme ist ein Tableau und vielleicht auch deswegen leicht befremdlich. Um Carolin und Dieter Genreith ist niemand, hinter ihnen ein gelber Bungalow mit Ziegeldach und im Hintergrund ist das klischeehafte Zirpen der Grillen zu hören.
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Meinungen

Trix Hagge · 05.02.2021

Sawadee liebe Carolin! Du hast mit Deinem tollen Film, über Deinen Vater, wirklich den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich bin die Trix aus Zürich und mein Mann Werner aus Hamburg. Wir sind seit 44 Jahren glücklich verheiratet und leben auch in HH-Sasel.. Seit 16 Jahren überwintern wir in Thailand. Ohhhh ,wir haben in den letzten Jahren so viel Leid gesehen, wenn ein Deutscher sich in eine Thailänderin verknallt hat. Leider ging zu 90 % die FREUNDSCHAFT auseinander und der Farang war danach total pleite. Wir hoffen das Dein Vater mit Tukta viele glückliche Jahre verbringen wird. Reibereien gibt es in jeder Ehe!!!!!!!! Ende Mai brechen wir die Zelte wieder ab und fliegen zurück in den Norden. Ich wünsche Dir von Herzen eine glückliche Zeit und bleibe gesund und munter. Carolin, Du bist eine unheimlich sympathische Person !!!!!! Tschüss die Weltenbummler Trix und Werner