Grüße aus Fukushima (2016)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Vom Wohnen in der Geisterzone

Doris Dörrie ist eine große Japan-Liebhaberin. Die Filmemacherin hat das Land gründlich bereist und es immer wieder besucht, so auch 2011, ein halbes Jahr nach dem Tsunami und der Reaktorkatastrophe von Fukushima. Inzwischen sind die jüngeren Erdbeben-Opfer aus der Gegend fortgezogen, übrig blieben in den Notunterkünften, den sogenannten Temporary Housing Communities, die alten Menschen. Ein paar von ihnen stellt die Regisseurin in ihrem neuen Spielfilm Grüße aus Fukushima einzeln im Bild vor und lässt sie als Komparsen fungieren. Die fiktive Geschichte handelt von der jungen Deutschen Marie (Rosalie Thomass), die nach Fukushima kommt, um diese Menschen mit Clown-Auftritten aufzuheitern. Damit will sie sich aber in erster Linie selbst von ihrem Kummer über eine geplatzte Hochzeit ablenken.

Fiktion und Realität befinden sich in diesem Schwarzweißfilm, der sich als solcher auch optisch auf das Spiel der Yin- und Yang-Kontraste einzulassen scheint, in einem engen, fließenden Kontakt. Marie tritt gemeinsam mit Moshe Cohen, dem Mitbegründer von Clowns ohne Grenzen, der hier als Laiendarsteller fungiert, in Fukushima auf. Aber sie findet keinen Draht zu ihrem Publikum. Dennoch beschließt sie zu bleiben, und zwar bei der alten Satomi (Kaori Momoi) – einer fiktiven Figur –, die in ihr verwüstetes Haus in der Sperrzone zurückgekehrt ist und sich weigert, es wieder zu verlassen. Als Geisha beherrscht sie die Kunst der Unterhaltung, in der sich auch Marie auf ihre Weise versuchte. Zwischen den beiden Frauen entwickelt sich ein reizvolles, wechselseitiges Geben und Nehmen, das oft rätselhaften Mechanismen folgt.

Zwar legt das Drehbuch die Beziehung zwischen Marie und Satomi fest, aber wie so vieles andere wirkt auch sie in der Ausgestaltung experimentell. Dörrie nennt ihren filmischen Ansatz, der einem relativ offenen Drehablauf folgt, einen Tanz mit dem Chaos: „Wir versuchen seit vielen Jahren, uns in die Realität zu schmuggeln, und nicht die Realität dazu zu verdonnern, unseren Vorstellungen zu entsprechen, wie wir sie mal im Drehbuch festgelegt haben.“ Die Sprachbarriere, die Mentalitätsunterschiede münden in Passagen voller Unschlüssigkeit und in plötzliche Stimmungswechsel. Wenn Rosalie Thomass einmal ihrem Frust auf Deutsch, statt im üblichen Englisch der Dialoge Luft macht, mutet das auch wie ein Ausbruchsversuch aus Maries Rolle an. In Satomis Augen ist die blonde, groß gewachsene Deutsche ein „Elefant“, plump und ungeschickt. Und oft fühlt sich Marie auch einfach nur ausgeschlossen, während sie doch versucht, der traumatisierten Satomi beizustehen.

Es passiert wenig in diesem Haus mit den lückenhaften Wänden. Dass über der Szenerie eine starke Spannung liegt, wird vor allem mit einem simplen optischen Mittel gezeigt: Mitten im Raum hängen zerfetzte Vorhangstoffe, die sich beständig im Wind bewegen. Die Frauen putzen, trinken Tee – für Marie eine heilende Achtsamkeitsübung –, versuchen nachts zu schlafen. Dann aber muss Marie zwischen Satomi und dem Geist ihrer toten Schülerin Yuki vermitteln. Sie tritt hinaus in die Nacht, wo die Geister einiger Tsunami-Opfer als verwischte Gestalten mit zitterigen Konturen warten.

Die Frauen stützen sich gegenseitig, wagen sich sogar hinaus in die Stadt, und doch ist ihre Verbindung brüchig und provisorisch. Das Trennende ist stärker betont als in Kirschblüten – Hanami aus dem Jahr 2008 mit seinen anrührenden Dramen und den wunderbar ausgearbeiteten Charakteren. Von so viel Aussagekraft können die Figuren in Grüße aus Fukushima nur träumen. Sie lassen sich auf Neues ein und können doch nur einen Bruchteil davon aufnehmen. Dörrie interessiert sich entsprechend nicht nur für das Spiel der kulturellen Gegensätze, von Freude und Leid, Nähe und Einsamkeit, sondern gibt auch der leichten, luftigen Unvollkommenheit Raum. Vielleicht zu viel Raum, denn Kinogänger mögen es durchaus, sich von einer sorgfältig konstruierten Geschichte an die Hand nehmen zu lassen.
 

Grüße aus Fukushima (2016)

Doris Dörrie ist eine große Japan-Liebhaberin. Die Filmemacherin hat das Land gründlich bereist und es immer wieder besucht, so auch 2011, ein halbes Jahr nach dem Tsunami und der Reaktorkatastrophe von Fukushima. Inzwischen sind die jüngeren Erdbeben-Opfer aus der Gegend fortgezogen, übrig blieben in den Notunterkünften, den sogenannten „Temporary Housing Communities“, die alten Menschen.

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