Grandma

Eine Filmkritik von Falk Straub

Abtreibung auf Umwegen

Gefühlt sind sie schon lange ausgestorben: US-Komödien, die mit feiner Figurenzeichnung und klugen Pointen überzeugen, anstatt sich mit Karikaturen und Zoten zu begnügen. Viel zu selten schaffen sie es noch ins Kino. Auch Paul Weitz‘ Grandma erscheint in Deutschland nur auf Scheibe.
Elle Reid (Lily Tomlin) ist alles andere als eine Bilderbuchoma. Die Poetin lebt mit einer drei Jahrzehnte jüngeren Frau (Judy Greer) zusammen, hat ein loses Mundwerk, raucht gerne mal einen Joint und ist chronisch pleite. Als ihre Enkeltochter Sage (Julia Garner) in Geldnot gerät, ist Elle dennoch die erste Anlaufstelle, denn an ihre alles kontrollierende Mutter (Marcia Gay Harden) will Sage sich nicht wenden. Also macht Oma ihren 1955er Dodge Royal startklar und klappert gemeinsam mit ihrer Enkelin alte Bekannte ab, die ihr noch etwas schuldig sind.

Was auf dem Papier wie eine weibliche Variante von Dan Mazers Dirty Grandpa klingt, könnte nicht weiter davon entfernt sein. Zwar lebt auch in Grandma die Generation der Großeltern deutlich freier, ja freizügiger als die ihrer Kinder und Enkelkinder, der Film beschränkt sich aber nicht auf Witze unterhalb der Gürtellinie. Während Mazer das Treffen der Generation lediglich dazu nutzt, peinliche Unflätigkeiten aneinander zu reihen und das einfallslose Bild vom lüsternen Mann zu perpetuieren, verhandelt Weitz quasi im Vorbeifahren die Frage, wie es um das Selbst- und Fremdbild der Frau im 21. Jahrhundert bestellt ist. Der Betrag, den Elle und Sage auftreiben müssen, ist lächerlich gering: 630 US-Dollar – und dennoch essenziell: Sage benötigt das Geld für eine Abtreibung.

Paul Weitz kennt sich mit Zoten aus. Sein Regiedebüt gab der 1965 geborene New Yorker 1999 mit American Pie. Über die Jahre ist er diesem Humor entwachsen, auch wenn er 2010 mit Meine Frau, unsere Kinder und ich noch einmal tief in die Zotenkiste griff. Grandma bedient nun nicht einmal mehr die Strategien einer Romcom. Hier gibt es keine Traumprinzen, denen die Frauen hinterherlaufen. Überhaupt spielen Männer nur eine untergeordnete Rolle. Seine drei Protagonistinnen spiegeln den traurigen Zustand allzu vieler Familien. Während die Großmütter für mehr Rechte auf die Straße gegangen sind, machten deren Töchter dankbar Karriere. Ihre Enkelinnen vollführen nun eine konservative Rolle rückwärts. Sage will vor allem hübsch und geliebt sein und macht es dem männlichen Geschlecht damit allzu leicht. Sie steht stellvertretend für eine Generation, die irgendwo zwischen gutem Aussehen und guten Abschlüssen, zwischen Kind und Karriere ihre eigene Identität sucht und darüber die Kämpfe ihrer Großmütter, allen voran den Kampf für die Selbstbestimmung über den eigenen Körper, vergisst.

Dass Paul Weitz dafür kein Geld von den großen Studios erhielt, verwundert leider kaum. Also drehte Weitz mit minimalem Budget. Grandma hat weniger als eine Million US-Dollar gekostet. Im Bonusmaterial der DVD verrät der Regisseur während einer Fragerunde, wie er Kosten gespart hat. In nur 19 Tagen war der Film im Kasten. Eines der Häuser, das als Drehort diente, ist sein eigenes und der Oldtimer, in dem Elle ihre Enkelin durch Los Angeles kutschiert, gehört Lily Tomlin.

Letztere spielt in Grandma ihre erste Hauptrolle seit 27 Jahren, die ihr prompt eine Nominierung bei den 73. Golden Globes einbrachte. Auch das verdeutlicht eines der Hollywood inhärenten Probleme. Während sich ein männlicher Superstar wie Robert De Niro schon lange nicht mehr zu schade ist, in noch so belanglosen Klamotten eine Hauptrolle zu übernehmen, werden für ehemalige Topkomödiantinnen wie Lily Tomlin (Solo für 2, Zwei mal zwei) nicht einmal solche Rollen geschrieben.

Allein Tomlins feines, zutiefst authentisches Spiel macht Grandma zu einem Gewinn. Schließlich hatte man in US-Komödien in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten viel zu selten das Gefühl, echten Menschen zuzusehen. Eine solch gewiefte, energische, aber im Kern stets liebenswerte Großmutter wie Tomlins Elle wünschte sich jeder Zuschauer. Sie ist im deutschen wie amerikanischen Wortsinn ein echter mensch.

Grandma

Gefühlt sind sie schon lange ausgestorben: US-Komödien, die mit feiner Figurenzeichnung und klugen Pointen überzeugen, anstatt sich mit Karikaturen und Zoten zu begnügen. Viel zu selten schaffen sie es noch ins Kino. Auch Paul Weitz‘ „Grandma“ erscheint in Deutschland nur auf Scheibe.
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