Gone Girl - Das perfekte Opfer (2014)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Finding Amy

Eine Literaturverfilmung wird von Lesern des Buches immer anders rezipiert als von Zuschauern, die die Vorlage nicht kennen. Leser haben Vorstellungen von den Figuren und den Orten, sie kennen die Handlung und erkennen dadurch Abweichungen und Werktreue, Interpretationen und Deutungen. Im Fall von David Finchers Verfilmung von Gone Girl wird sich das Seherlebnis darüber hinaus grundlegend unterscheiden. Aber alleine zu schreiben, warum es sich unterscheiden wird, wäre bereits zu viel verraten. Deshalb folgt nun ausnahmsweise der Appell, dass alle diejenigen, die das Buch nicht kennen, am besten gar nichts über diesen Film lesen, sondern einfach ins Kino gehen. Sie werden einen spannenden Thriller sehen, der gekonnt inszeniert ist und in dem alle Darsteller – insbesondere Carrie Coon und Tyler Perry in zwei Nebenrollen – gut spielen. Doch mit jedem Satz, den man vor dem Film liest, wird ein Teil des Seherlebnisses gemindert. Es ist fast so wie – nein, sogar dieser Vergleich würde zu viel verraten. Deshalb bitte: Erst ins Kino gehen, dann hier weiterlesen.

An seinem fünften Hochzeitstag sitzt der Barbesitzer Nick Dunne (Ben Affleck) in seiner Kneipe, trinkt einen morgendlichen Whisky und lästert mit seiner Schwester Margo (Carrie Coon) über seine Frau Amy (Rosamund Pike). Dann erhält Nick einen Anruf von einem Nachbarn: Die Katze würde auf dem Grundstück herumlaufen, außerdem scheint die Haustür nicht verschlossen zu sein. Also fährt Nick nach Hause, bringt die Katze ins Haus und entdeckt im Wohnzimmer einen zerbrochenen Sofatisch. Von seiner Frau Amy fehlt indes jede Spur. Sofort greift Nick zum Telefon und verständigt die Polizei. Detective Rhonda Boney (Kim Dickens) wird am Tatort schnell misstrauisch: die Spuren deuten auf ein Eindringen, jedoch sind sie nicht stimmig. Deshalb glaubt sie an ein Verbrechen und beginnt, Nick zu befragen. Er beteuert seine Unschuld, jedoch mehren sich bald Ungereimtheiten. Und auch in den Augen der Öffentlichkeit verhält sich Nick nicht so wie es von einem besorgten Ehemann zu erwarten wäre.

In der Folge wird die Suche nach Amy unterbrochen mit Rückblenden, in denen sie aus ihren Tagebüchern vorliest. Während sich in der Gegenwart durch Nicks Aussagen und seinem Verhalten immer mehr Risse in der Ehe zeigen, entwirft sie in ihren Einträgen zunächst das Bild einer perfekten Beziehung, die durch wirtschaftliche Schwierigkeiten – beide verlieren ihre Jobs in New York –, ihren Umzug nach Missouri und einen nicht geteilten Kinderwunsch verstärkt werden. In dem Buch wechseln die Perspektiven kapitelweise zwischen Nick und Amy und erstaunlicherweise behält der Film diese Erzählweise bei. Dabei ist der Einsatz der Tagebucheinträge auf das nötige Maß reduziert, dennoch entstehen bei dieser simplen Übernahme einige Schwierigkeiten: Gone Girl ist eine Geschichte, in der die Erzählperspektive nicht nur entscheidend ist, sondern Wahrnehmungen und Sichtweisen auch verhandelt werden. Anfangs ist Nick der Ehemann, dessen Frau vermisst wird, dann wird er durch ein Lächeln zur falschen Zeit zum Hauptverdächtigen. In jedem Tagebucheintrag von Amy wird deutlich, wie wichtig ihr ist, wie sie von anderen wahrgenommen wird. Sie lieferte ihren Eltern die Inspiration für die Kinderbuchreihe Amazing Amy und seither hat sie das Gefühl, dass dieser fiktive Charakter die bessere Version ihrer selbst ist. Auch in ihrer Ehe geht es um Rollen, die gespielt werden, um Erwartungen, die der andere erfüllen soll. Und letztlich erscheinen sogar die Wahrheit bzw. die Wahrscheinlichkeit, dass diese ans Licht kommt, allein eine Frage des Blickwinkels. Dieses Spiel hätte durch eine komplexere Erzählweise dem Film mehr Atmosphäre geben können.

Darüber hinaus ergeben sich durch die Erzählweise einige Schwierigkeiten mit den Charakteren. Gone Girl erzählt eine Geschichte von zwei Menschen, die alles andere als sympathisch sind und im Buch kommt man letztlich zu dem Schluss, dass Nick und Amy einander verdienen. Der Film ist hingegen von der ersten Einstellung an näher bei Nick. Die Kamera übernimmt seinen Blickwinkel, bleibt in seiner Nähe und zeigt ihn allein im Bild. Seine Verlorenheit in dieser Ehe wird so deutlich, dass er selbst dafür mitverantwortlich ist, wird erst zu spät deutlich. Darüber hinaus wurden seine Erzählanteile gekürzt, so dass seine Abgründe und sein Hass im Film weit weniger deutlich werden. Deshalb hätte die gut spielende Rosamund Pike mehr Unterstützung in der Inszenierung gebraucht, zumal ihr die extreme Intensität fehlt, die Rooney Mara bei einem ähnlich schwierigen Charakter in The Girl with the Dragon Tattoo einsetzte. Von Anfang an wird ihre Unzuverlässigkeit als Erzählerin sogar beim Vorlesen der eigenen Tagebucheinträge deutlich. Deshalb ist Amy im Grunde genommen ein großartiger Charakter gerade für einen Fincher-Film, sie ist schlau, gerissen und skrupellos, aber wie bereits im Buch fehlt ihr auch im Film Lebendigkeit.

Herausragend sind in diesem Film indes die Nebendarsteller: Tyler Perry spielt den gerissenen Anwalt mit viel Gelassenheit, Charme und Witz, ihm gehören die besten Sätze des Drehbuchs und er liefert die perfekte Charakterisierung der Ehe von Nick und Amy. Carry Coon ist famos als Nicks Zwillingsschwester und Kim Dickens überzeugt als Detective Rhonda Boney. Einzig Neil Patrick Harris hat mit Amys Ex-Freund Desi eine schwierige Rolle, die nicht ganz in diesen Film zu passen scheint, die aber bereits im Buch einige Unstimmigkeiten mit sich brachte.

Technisch ist Gone Girl sehr überzeugend: Fast jede Einstellung ist stimmig und erzählt viele Details auf einmal, der Schnitt gibt einen angenehmen Rhythmus vor und die Musik schafft viel Atmosphäre – wenngleich manchmal ein wenig Stille auch schön gewesen wäre. Deshalb ist Gone Girl ebenso wie The Girl with the Dragon Tattoo ein guter Film. Allerdings bleibt bei beiden das Gefühl zurück, dass gerade bei einem Regisseur wie David Fincher mehr möglich gewesen wäre. Gone Girl vereint die Fragen nach der Wahrnehmung (Fight Club) und den Folgen eines medialen Hypes (Zodiac), doch dem Film fehlt trotz des Könnens aller Beteiligten das Packende von The Social Network oder Zodiac. Vielmehr bleibt der Film trotz des zynischen Endes und schwarzen Humors ein wenig zu sehr an der oberflächlichen Eleganz der eigenen Perfektion kleben.
 

Gone Girl - Das perfekte Opfer (2014)

Eine Literaturverfilmung wird von Lesern des Buches immer anders rezipiert als von Zuschauern, die die Vorlage nicht kennen. Leser haben Vorstellungen von den Figuren und den Orten, sie kennen die Handlung und erkennen dadurch Abweichungen und Werktreue, Interpretationen und Deutungen. Im Fall von David Finchers Verfilmung von „Gone Girl“ wird sich das Seherlebnis darüber hinaus grundlegend unterscheiden.

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Meinungen

Friendly · 31.10.2014

Das Wichtigste zuerst: Rosamunde Pike sieht (korrekte Beleuchtung vorausgesetzt) aus wie die junge Liv Tylor aus - und das ist schon ein ziemlich faszinierender Anblick. Vor allem, weil es in der Filmgeschichte kaum mal eine solche Bitch from Hell gegeben hat, wie die Amy in "Gone Girl": dies ist der Film, zu dem "Eine verhängnisvolle Affäre" und "Der Rosenkrieg" hätten werden sollen, und er ist für mich absolut ein Kandidat auf den Film des Jahres. (Langweiligerweise bin ich natürlich wieder komplett Mainstream - wer war drin und fand den Film nicht gut? Der MUSS mir sofort einen Kommentar mit der Begründung schreiben!

Mehr zum Film unter: friendly101.blogspot.com/

ALEX · 03.10.2014

Ich kenne das Buch auch nicht - aber der Film ist es nicht wirklich wert 12 Euro für die Karte auszugeben. Er ist nicht spannend und auch das Ende ist mehr als unsinnig - die Mitte ist eigentlich nur langweilig. Während des Films sind viele Leute aus Langeweile rausgegangen. Nicht wirklich empfehlenswert - SCHADE

Carofe · 03.10.2014

Zuerst: Ich kenne das Buch nicht und mir geht es auch nicht um den Vergleich mit anderen Filmen. Ich sehe einen Film mit der einfachen Frage: Was gibt mir dieser Film? In diesem Fallzunächst: Eine spannende Zeit mit wechselnden Antworten auf die Frage "Wer war es?" - die anschließenden Gespräche zeigten: Das kann im Verlauf des Films von den Zuschauern durchaus unterschiedlich beantwortet werden... Was dafür spricht, das sowohl Plot als auch Schauspiel klug und wirkungsvoll angelegt sind.
Außerdem führt der Film (wenn man will) auch zu der Frage "Was hat das mit mir zu tun?" Und auch wenn es vordergründig doch nur um eine reiches, schönes, halbwegs gut situiertes amerikanisches Ehepaar geht - während dieses nach und nach monströse Züge annimmt annimmt, wird die Frage immer mehr zu: "Wie viel davon steckt auch in mir/ oder in uns als Paar?"
Es stimmt übrigens, dass Amy bezogen auf moralisches Verhalten im Film deutlich weniger "gut" wegkommt. Was wiederum zeigt, das wir Frauen doch auch recht gut austeilen können (und hier mal nicht das ewige "Frauen-sind-Opfer-Klischee strapaziert wird- sondern eher ein gekonntes Spiel damit)!
Kurz: Keine schwache Frau, kein starker Ehemann und gerade im Kampf um Dominanz, Unterwerfung, Nähe und Distanz liegt die Lust: Wer sich in diesem Sinne wiedererkennt, wird noch eine Weile auf dem Gesehenen "herumkauen". Aber ist das wirklich ein Grund, dann nicht mehr zu heiraten, wie oben behauptet? Nur wenn man an Klischees hängt und es gerne langweilig hat :-)