Get - Der Prozess der Viviane Amsalem

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Das lange Ende einer Ehe

Seit drei Jahren lebt Viviane Amsalem (Ronit Elkabetz) von ihrem Ehemann Elisha (Simon Abkarian) getrennt. Nun möchte sie offiziell die Scheidung, um nicht zur Außenseiterin zu werden. In Israel aber gibt es keine staatliche Ehe, deshalb gelten bei einer Scheidung allein religiöse Gesetze, die eine Zustimmung des Ehemanns zwingend vorsehen. Elisha verweigert ihr diese Zustimmung, also versucht Viviane ihn mittels einer Anhörung vor drei Rabbis zu überzeugen, der Trennung zuzustimmen, damit sie den „Get“, den Scheidungsbrief, erhält.
Über fünf Jahre wird sich diese Verhandlung hinziehen, in deren Verlauf Ronit und Shlomi Elkabetz in ihrem Film Get – Der Prozess der Viviane Amsalem den Zusammenprall von religiösen und säkularen Vorstellungen und Gesetzen thematisieren und auf die Absurdität der Regelung aufmerksam machen. Dabei konzentriert sich der stille Film ausschließlich auf die Situation vor Gericht. Nicht ein einziges Mal verlässt die Kamera das Gebäude, stets bleibt sie im Verhandlungsaal oder auf den Gängen davor, oft verharrt sie auf den Gesichtern der Protagonisten, nie nähert sie sich den drei Rabbis, die in der Sache entscheiden sollen, sondern wahrt stets respektvollen Abstand. Oftmals gibt es Großaufnahmen der Gesichter — insgesamt erinnert die Inszenierung an die Filme Carl Theodor Dreyers –, aber die Kamera behält stets die Perspektive der Protagonisten bei. Auf diese Weise vermittelt die Kameraarbeit von Jeanne Lapoirie Vivianes Gefühl des Ausgeliefertseins. Wie in ihrem Leben gibt es auch in diesem Film kein Entkommen aus diesem Raum und aus dieser Situation. Vielmehr steckt der Zuschauer mit Viviane fest, es gibt kein Vorankommen.

Von dem Leben des Ehepaares außerhalb des Gerichtssaals berichten lediglich Zeugen, dessen Anhörung Vivianes Anwalt mühsam durchsetzt. Sie lassen die verschiedenen Wahrnehmungen und Lebensweisen erkennen – und die komplizierte Sozialstruktur in Israel, in der Viviane sich schon verdächtig macht, wenn sie sich mit einem Mann im Café trifft. Denn solange sie verheiratet ist, darf Viviane am sozialen Leben nicht teilhaben. Es macht sie verdächtig, eine Liebesaffäre mit einem anderen Mann zu haben, woraufhin sie ohne Zustimmung des Mannes keinerlei Chance mehr auf eine Scheidung hätte. Durch die Zeugen zeigt sich, dass der Riss nicht nur durch die Ehe geht, die hier verhandelt wird, sondern auch mitten durch die Gesellschaft, sie machen den Gerichtssaal zu einem Mikrokosmos der Gruppierungen, Widersprüchlichkeiten und Spannungen im Alltag des Landes.

Ronit Elkabetz, die mit ihrem Bruder die Trilogie (Ve’Lakhta Lehe Isha, 2004; Shiva (2008) über Viviane Amsalem inszeniert hat, spielt die Hauptrolle mit bemerkenswerter Präsenz. Wenn sie zu einer Verhandlung in unpassendem Rot erscheint und aus Erschöpfung ihre Haare löst, begeht sie einen Affront gegen das Gericht – und zeigt zugleich deutlich, wie sehr sie auf ihre Freiheit setzt, die sie letztlich nur unter Aufgabe eines großen Teils ihrer Selbstbestimmung erringt. Dank Ronit Elkabetz und der Inszenierung sind Vivianes Emotionen, das Schwinden ihrer anfänglichen Hoffnung bis hin zu Resignation und Hass nicht nur nachzuvollziehen, sondern werden geteilt – und tut es gleichermaßen gut und weh, wenn Vivianes Wut aus ihr herausbricht, sie auf die schreiende Ungerechtigkeit aufmerksam macht, dass diese Regeln die Frau gänzlich vernachlässigen. Denn auch die Rabbis haben ein größeres Interesse, den jüdischen Haushalt zu bewahren als Viviane zu helfen – und als sie tatsächlich eingreifen wollen, stehen auch sie der Starrsinnigkeit des Mannes lange Zeit hilflos gegenüber. Denn letztlich ist er derjenige, der diese Entscheidung – das Urteil – treffen muss, er ist zugleich Richter und Beklagter. Und obgleich die Haltung der Filmemacher eindeutig ist, versuchen sie, auch Elishas Position gerecht zu werden: Er ist starrsinnig, aber zugleich vermittelt Simon Abkarian glaubwürdig, dass Elisha seine Frau tatsächlich noch liebt und zurückhaben möchte.

Get – Der Prozess der Viviane Amsalem ist ein konzentrierter und engagierter Film, der auf die Folgen einer Regelung aufmerksam macht, die in Israel für jede Ehe gilt, ungeachtet der Gruppierung oder Religiosität der Eheleute, und die dem Mann eine unvorstellbare Machtposition verleiht. Dabei gelingt Ronit und Shlomi Elkabetz eine bestechende Mischung aus Ernst und Absurdität, die diesen stillen und eindrucksvollen Film noch lange nachwirken lassen.

Get - Der Prozess der Viviane Amsalem

Seit drei Jahren lebt Viviane Amsalem (Ronit Elkabetz) von ihrem Ehemann Elisha (Simon Abkarian) getrennt. Nun möchte sie offiziell die Scheidung, um nicht zur Außenseiterin zu werden. In Israel aber gibt es keine staatliche Ehe, deshalb gelten bei einer Scheidung allein religiöse Gesetze, die eine Zustimmung des Ehemanns zwingend vorsehen.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen