Florence Foster Jenkins (2016)

Eine Filmkritik von Lucas Barwenczik

Schiefe Töne oder neue Melodien?

Kein großer Triumph ist je ohne Herzblut und Furchtlosigkeit gewonnen, für wahrhaft große Niederlagen gilt dasselbe. Das Erklimmen höchster Berggipfel und der Sprung in tiefste Abgründe sind von denselben Motiven getrieben. Nur weil Florence Foster Jenkins die Musik liebte (natürlich aber auch den damit verbundenen Glamour), konnte sie an ihr vollkommen scheitern, wieder und wieder. Die amerikanische Millionenerbin und Sopranistin galt als die schlechteste Sängerin ihrer Zeit, vielleicht aller Zeiten. In seiner Filmbiographie über die schrullige New Yorkerin erzählt Regisseur Stephen Frears von einem Leben zwischen Mut und Ignoranz, das auch abseits der Bühne zur einer großen Performance wird.

Florence Foster Jenkins‘ (Meryl Streep) Alltag ist eine gewaltige Aufführung, choreographiert von ihrem Ehemann St. Clair Bayfield (Hugh Grant), selbst ein gescheiterter Schauspieler aus den Grauzonen des britischen Adels. Gespielt wird eine Variante von Des Kaisers neue Kleider: In ihrem Mikrokosmos versichern Florence alle unentwegt, sie wäre eine ausgezeichnete Sängerin, obwohl ihr Gekrächze wie ein Kampf zwischen Meerschweinchen und Quietscheenten klingt. Bayfield besticht Kritiker, rekrutiert ein höriges Publikum und betätigt sich selbst als oberster Claqueur und Zeremonienmeister. Allein Florence‘ Reichtum formt ihre Monomanie zur Exzentrik. Frears zeigt, wie Klassenzugehörigkeit die Wirklichkeit verzerrt. Ein geschlossenes System, in dem andere – ärmere – nur als Zuschauer teilhaben können. Wenn die Kamera bewegt wird, dann bedächtig. Jenkins lebt in einer Glaskugel, die permanent zu zerbrechen droht.

„Was, wenn weniger gebildete Teile der Öffentlichkeit auftauchen?“, deutet Cosmé McMoon (Simon Helberg) dieses Risiko an. Der junge Pianist wird als neuster Spieler gecastet und soll Florence‘ Gesangsübungen auf dem Klavier begleiten. Anfangs integriert er sich, vor allem des Geldes wegen, bereitwillig in die große Talent-Simulation. Doch als Florence sich nach längerer Abstinenz wieder nach Auftritten vor Publikum sehnt, werden seine Zweifel zunehmend größer. Zuerst macht er sich Sorgen um seine eigene Reputation; später, als seine Gönnerin ihm zunehmend ans Herz gewachsen ist, auch um ihre.

Er stellt sich die Fragen, die auch dem Zuschauer gestellt werden: Darf man über Florence lachen, sollte man es sogar, weil ihre Liebe zur Kunst oberflächlich und ihr Ego gewaltig ist? Oder muss man mit ihr mitfühlen, weil sie in einem goldenen Käfig gefangen lebt? Abhängig von anderen, ein Opfer einer schweren Jugendzeit, das nur noch wattiert überleben kann?

Antworten vermutet Frears im Kompromiss. Er sucht die Würde in der Lächerlichkeit, wird aber selten fündig. In der Einstiegsszene wird Florence als Engel verkleidet von der Decke herabgelassen und hängt schwerfällig in der Luft. Ähnlich verhält es sich mit dem Film, der, genau wie seine Protagonistin, nur selten den richtigen Ton trifft. Obwohl Florence Foster Jenkins nicht dem üblichen Biopic-Fahrplan folgt und ein ganzes Leben von der Geburt bis zum Tod nacherzählt, verläuft er wie auf Schienen. Die Stationen der Handlung sind so vorhersehbar, als würden sie zwischen den Szenen vom Regisseur angekündigt. Natürlich basiert der Film auf tatsächlichen Ereignissen, doch selbst wer nicht mit dem Leben der Sängerin vertraut ist, wird zu keinem Zeitpunkt überrascht. Zu beliebig werden die bekannten Versatzstücke dessen aneinandergereiht, was in Hollywood als anspruchsvolle Erwachsenenunterhaltung gilt.

Das New York der 1940er Jahre entwirft Frears als Mischung aus Theaterset und Puppenhaus. Die verkitschten Interieurs scheinen unwirklich, in einer Szene verscheucht Bayfield eine Gruppe wartender Gäste entrüstet von Stühlen, die eigentlich nur der Dekoration dienen. Die meisten Szenen spielen in Räumen, die wenigen Außenszenen wirken wie vor alten, handgemalten Studiohintergründen gedreht.

Auch die Figuren passen sich dieser Welt an. Sie werden mit sehr groben Strichen gezeichnet. Später sollen sie dann vermenschlicht werden, aber bleiben Karikaturen. Gewiss ist die Theatralik der großen Gesten ein Teil ihres Habitus und zentrales Element der Inszenierung des eigenen Status. Es handelt sich um Menschen, die sich selbst überzeichnen, weil sie sich sonst eingestehen müssten, wie klein und verletzlich sie sind. Doch gerade jene Momente, in denen ihre Masken fallen sollen, missraten. Die Kamera drängt an die Gesichter heran, um Intimität zu vermitteln. Doch nur, weil man einer Fassade besonders nahekommt, durchschaut man sie nicht.

Meryl Streep lehnt sich zu sehr in Grimassen, Körperverrenkung und ungelenke Tänzchen, um diese falsche Grandezza wieder ablegen zu können. Die Szenen, in denen hinter der durch Bemutterung infantilisierten Puppe wieder eine Person erscheint, wirken kalkuliert und pathetisch, wie leere Gesten. Auch Hugh Grant gelingt es nicht, chargierenden Alltags-Hamlet und zweifelnden Ehemann zwischen zwei Frauen unter einen Zylinder zu bringen. Wirklich anstrengend ist Big-Bang-Theory-Star Simon Helberg, dessen emotionale Klaviatur nur zwei Tasten besitzt. Sentimentale Momente werfen die Frage auf, ob er pro Blinzeln bezahlt wurde. Den Rest der Zeit wirkt er mit seinem gequälten Dauergrinsen, als würde er auf eingespielte Sitcom-Lacher warten.

Die wären in einigen Sequenzen wohl sogar angebracht. Als würden die ausgedehnten Scherze über Florence‘ Sangeskünste nicht genügen, versucht sich Frears auch noch an albernen Slapstick-Einlagen. Dann muss Bayfield etwa seine Freundin vor Florence verstecken oder sie in einer grotesken Suspense-Szene daran hindern, eine Tageszeitung mit einer schlechten Kritik zu entdecken. Würden die snobistischen Gegenspieler der Marx Brothers plötzlich die Rollen der Komiker übernehmen – so sähe es wohl aus.

Florence Foster Jenkins war eine schillernde Persönlichkeit von großer Symbolkraft. Nur wofür, dass kann Stephen Frears leider nicht erklären. Ist sie ein Bild für die avantgardistische Kunst, die eigentlich verklärtes Unvermögen darstellt? Eines für die Filterblasen der dekadenten Oberschicht, für die der Zweite Weltkrieg nur ein Hintergrundrauschen ist, während sie sich in goldenen Hallen selbst feiert? Letztendlich steht sie in diesem Film für alles und nichts. Frears ist zu sehr damit beschäftigt, alles charmant und bekömmlich vor dem Zuschauer auszubreiten, um je die inhärente Dramatik ihres Lebens vermitteln zu können. Alles bleibt gefällig und banal. Sowohl für den Triumph als auch das wirkliche Scheitern fehlen Mut und Herzblut.

Florence Foster Jenkins (2016)

Kein großer Triumph ist je ohne Herzblut und Furchtlosigkeit gewonnen, für wahrhaft große Niederlagen gilt dasselbe. Das Erklimmen höchster Berggipfel und der Sprung in tiefste Abgründe sind von denselben Motiven getrieben. Nur weil Florence Foster Jenkins die Musik liebte (natürlich aber auch den damit verbundenen Glamour), konnte sie an ihr vollkommen scheitern, wieder und wieder.

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Meinungen

Martin Zopick · 19.07.2021

Ihr Name klingt wie ein Gedicht, ihr Gesang gleicht einer akustischen Folter. Stephen Frears ist ein weiterer Geniestreich gelungen. Er hat dieses Biopic mit viel Komik ausgestattet und einen Hauch Melodramatik mit einfließen lassen. Dabei wirkt Meryl Streep nie lächerlich. Auch wenn sie in ihrer egozentrischen Borniertheit schon mal etwas sonderbar daherkommt. Sie verkörpert eine echte Diva eben und es gelingt ihr sie nie lächerlich erscheinen zu lassen. Daran hat auch ihr Gigolo Bayfield (Hugh Grant) einen großen Anteil. Er zeigt hier, dass er gefühlvolle Komik rüberbringen kann. Und wenn sie am Ende der Krebs holt, hat auch Grant seine großen schauspielerischen Momente. Seine Komik wird nur noch vom kleinen Pianisten McMoon (Simon Helberg) übertroffen, in dessen Mimik man wie in einem Comic lesen kann. Zwar etwas versteckt und leise, aber äußerste wirksam.
Auch die Wende vom Höhepunkt ihrer Karriere in der Carnegie Hall ist großartig. Bei freiem Eintritt sitzen im Publikum Soldaten, die die Lachorgie (ha, ha, ha!) aufgreifen und johlen. Nina Arianda, ein Mädchen aus der Bar, rettet ihr eindrucksvoll den Hals.
Und kurz bevor F.F.J. wegdämmert, hört sie sich noch einmal richtig schön singen. Netter Abgang. Alle Akteure spielen hier die komödiantische Seite ihres Talents genial aus, das Stephen Frears aus ihnen herausgekitzelt hat.