Festung

Eine Filmkritik von Stefan Otto

Die Faust im Nacken

Vier Frauen umgeben Robert (Peter Lohmeyer) in diesem ernsten Familiendrama. Erika, seine Gattin, schlägt er, doch auch die anderen, seine Töchter Claudia, Johanna und Monika, leiden erheblich unter ihm.
Anfangs ist er gar nicht da, doch stets präsent. Immer wenn die Frauen „er“ sagen, ist Robert gemeint, der Ehemann und Vater, der die Familie mit Gewalt in Schach hält. Doch dann nimmt Erika (Ursina Lardi) ihn wieder auf, weil sie darauf hofft, dass er sich geändert hat und sie nicht mehr verprügeln wird, sobald ihm irgendeine Kleinigkeit nicht passt.

Die drei Töchter, die geradezu drei Entwicklungsstufen repräsentieren — die junge Frau, die Jugendliche, das Kind — reagieren unterschiedlich auf diesen Vater, der seine Fäuste sprechen lässt. Sie suchen bisweilen krampfhaft oder verzweifelt nach Arrangements, um mit diesem Leben, mit diesem Elternteil zurechtzukommen.

Claudia (Karoline Herfurth), die Älteste, zieht nach Hamburg, wobei es ihr wohl weniger auf die Stadt ankommt, in der sie fortan leben wird, als darauf, möglichst weit weg vom Elternhaus im Hessischen zu sein. „Wir werden uns trotzdem ganz oft sehen“, verspricht sie ihrer dreizehnjährigen Schwester Johanna (Elisa Essig in ihrem Debüt). Die wirft sich einem gleichaltrigen Schulkameraden an den Hals, mit dem sie zusammen sein möchte. Das ist nicht nur ihre erste Liebe, das ist auch ihre Form der Flucht. Monika, die Jüngste, hängt noch am meisten an ihrem Vater. „Wir müssen braver zu ihm sein“, sagt sie einmal zu ihren Schwestern, und ein anderes Mal wiederholt sie, was sie wohl schon öfter zu hören bekommen hat: „Wir werden alle auseinandergehen.“ Manchmal stellt die Kleine sich auch einfach tot.

Wenn im Nebenzimmer die Fetzen fliegen, stellt Johanna ihre Musik lauter. Aber nicht immer wissen sich die Kinder anders zu helfen, als selbst verzweifelt ihre Wut rauszulassen. So demoliert Claudia einmal Roberts Auto. „Du hast die Scheißkinder nicht im Griff!“ bekommt Erika dann von ihm zu hören.

Nicole Armbruster wurde für ihr Drehbuch 2010 mit dem Thomas-Strittmatter-Preis ausgezeichnet. Warum, ist nicht ganz leicht nachzuvollziehen, wenn man die Umsetzung der finnischen Regisseurin Kirsi Maria Liimatainen sieht, aber vielleicht war die Vorlage einfach besser als die Verfilmung. Gut ist, auch im Film, dass der übermächtige, gewalttätige Vater immer wieder mal in den Hintergrund und fast in Vergessenheit gerät. Dann kehrt, zumindest scheinbar, eine Normalität ein, in der die Frauen ihre Persönlichkeiten unabhängig von ihm entfalten können.

Weite Teile von Festung wirken jedoch recht thesenhaft und didaktisch. Es scheint so, als seien die möglichen Reaktionen von Opfern häuslicher Gewalt auf die vier Frauen verteilt worden. Da ist die eine, die an einen anderen Ort flieht, die andere zu einem anderen Mann, das Kind weiß sich nicht recht zu helfen, spürt nur die Problematik, und die Mutter, die zweifelt und zögert, bleibt leider sehr blass. Vielleicht wäre Festung ein besserer Film geworden, wenn die Autorin und die Regisseurin sich ganz auf Claudia konzentriert hätten, die von Karoline Herfurth so stark gespielt wird. Vor allem sie macht das Drama sehenswert.

Festung

Vier Frauen umgeben Robert (Peter Lohmeyer) in diesem ernsten Familiendrama. Erika, seine Gattin, schlägt er, doch auch die anderen, seine Töchter Claudia, Johanna und Monika, leiden erheblich unter ihm.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Mike Rodach · 21.02.2013

najo...

Thomas Bauer · 03.12.2012

Danke K. Schäfer für diese differenzierte Korrektur der Kritik von Stefan Otto, die – sorry – in ihrem Resümee so "thesenhaft und didaktisch" verkürzt ist, wie Herr Otto es dem Film vorwirft.

Karoline Herfurth ist zweifellos immer sehenswert, aber was Ursina Lardi und vor allem Peter Lohmeyer und die offenbar sehr gut geführte Debütantin Elisa Essig hier zeigen, das lässt diesen Film unter die Haut gehen, eben ohne thesenhaft Schuld zuzuschreiben oder Klischeereaktionen vorzuführen. Die Konzentration auf Karoline Herfurths Figur wäre zweifellos vermarktbareres Starkino, aber dramaturgisch nicht hilfreich. Wie soll ein Innenleben der Familien-"Festung" aus der Position der Tochter erzählt werden, die diesem Innenleben längst geflohen ist? Da ist die Perspektive der "mittleren", im Umbruch befindlichen, pubertären Tochter weitaus interessanter, ohne dass dadurch ein typisches Coming-of-age-Drama entstanden wäre.
Sehenswert! (Leider nur in wenigen Kinos zu finden.)

K. Schäfer · 29.11.2012

Ich kann Herrn Otto in seiner Kritik nicht zustimmen. In jeder der Frauenfiguren wird die große innere Zerrissenheit deutlich. Alle Frauen schwanken zwischen der Hoffnung, das alles besser wird, der Sehnsucht nach der Zuneigung des Vaters, der Angst davor, wie weit er gehen wird und dem Wunsch alles mit einem Anruf oder der Flucht zu beenden. Die Mutter empfindet er wohl als blass, da sie durch die Kräfteverschiebung innerhalb der Familienkonstellation zum Kind wird, dass sich totstellt und mit der Situation überfordert ist. Sie wird fast wie die Kopie der jüngsten Tochter, die sich auch totstellt und mit der Situation überfordert ist. Sie lässt alles über sich ergehen, das ist ihre Art die Kinder vor dem Vater zu schützen. Wer soetwas am eigenen Leib erlebt hat, der wird den Film als absolut realistisch empfinden und mit den Frauenfiguren wieder durch 1000 verschiedene Gefühle gehen: unbändige Wut auf den Vater, der seiner eigenen Familie diese Schrecken zumutet, Wut auf die Mutter, die nicht handelt, Verzweiflung und Ohnmacht, weil man als Kind zum Zuschauen verdammt ist, Schuld wenn man flieht und die anderen zurücklässt, sich ausgeliefert und machtlos fühlt und Todesängste durchsteht und sich immer wieder fragt, wie weit geht er diesmal, die Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung durch den Vater bei gleichzeitigem abgrundtiefen Hass, die Scham. Immer wie ein Tier auf Hab-Acht-Stellung zu sein, bei jeder kleinsten atmosphärischen Veränderung, einem Geräusch, einem Blick, einem Tonfall einen Adrenalinstoß zu spüren und die nackte Angst vor dem was vielleicht gleich passiert. Ich würde auch nicht sagen, dass sie sich dem Jungen an den Hals wirft. Diese Darstellung ist wenig empathisch und viel zu einfach. Dieses Mädchen sehnt sich danach sich irgendwo sicher, geborgen und geliebt zu fühlen, nach einem Verbündeten, einem, der "für sie ist", bringt aber in der Beziehung die Verhaltensweisen zum Einsatz, die sie gelernt hat und die natürlich dort nicht hin passen, daher auch ein Zerwürfnis hervorrufen. Diese Liebe ist zwar eine Flucht vor der Situation, aber aus dem Wunsch nach Zuneigung und Geborgenheit geboren. Die schauspielerische Leistung aller drei Schwestern war herausragend. Besonders wenn man die Jugend und Unerfahrenheit der beiden Jüngeren bedenkt. Von Karoline Herfurth hatte ich nichts anderes erwartet. Den Fokus auf die mittlere Schwester zu setzen, war die richtige Entscheidung, da bei ihr die Zerissenheit zwischen den beiden schwesterlichen Polen am deutlichsten wird. Sie schwankt innerlich am offensichtlichsten zwischen der verleugnenden und sehnsüchtigen Haltung der Jüngsten und dem klaren Blick der Älteren auf die nackten Tatsachen. Besonders gut dargestellt fand ich die absolute Unfähigkeit aller, die Dinge auszusprechen. Sätze, die nicht vollendet werden, Entschuldigungen, die dem Vater im Halse stecken bleiben, selbst der Inhalt des Zettels, den man nicht sieht. Alles in allem ist der Film alles andere als platt. Er zeigt die vielschichtigen Gefühle der einzelnen Familienmitglieder. Keine der Figuren wirgt starr einem einzelnen Aspekt zugeordnet. Jeder ficht seinen inneren Kampf und ist zerrissen. Selbst der Vater wirkt nicht plum als "Der Böse". Bei ihm muss man eine psychische Krankheit vermuten. Auch er wirkt getrieben, auch wenn man im Film keine deutlichen Rückschlüsse ziehen kann wodurch. Der Film zeigt nicht schwarz und weiß, er zeigt unzählige Schattierungen. Und vor allem zeigt er den hohen Druck und die Belastung der Kinder, die sich teilweise in der Erwachsenen-Rolle der Mutter abwechseln und Verantwortung übernehmen, die Dinge am Laufen halten, alles organisieren, sich umeinander kümmern. Es wird gezeigt, dass die Kinder selbst in ihrem Verhalten das ausdrücken, was sie von ihren Eltern erleben und auch Verhaltensmuster entwerfen, um mit der Situation, in der sie leben müssen, zurechtkommen zu können. Es wird deutlich, nicht nur der Vater braucht Behandlung. Die ganze Familie müsste therapeutisch betreut werden, um die Geschehnisse zu verarbeiten. Zu meiner Zeit war die Wahrnehmung der Behörden in dieser Richtung noch nicht vorhanden. Heute ändert sich das zum Glück langsam. Der Film kann seinen Teil zu dieser Entwicklung beitragen.
Ich halte den Film für sehr wertvoll.