Europe, She Loves (2016)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Junge Paare in prekären Verhältnissen

Die Krise der Europäischen Union ist in vielen ihrer Länder vor allem eine Krise der jungen Generation. Statt in ein selbstbestimmtes Berufsleben zu starten, suchen viele Menschen zwischen 20 und 30 Jahren in Ländern wie Griechenland oder Spanien händeringend nach einem Job. Selbst Studenten schauen dort in eine ungewisse Zukunft oder beschließen, ins Ausland zu gehen. Der schweizerische Filmemacher Jan Gassmann (Off Beat, Heimatland) porträtiert vier junge Paare, die am Rand der EU wohnen – in Tallinn, Sevilla, Dublin und Thessaloniki. Dabei verfolgt er zwei Ziele: Er spürt den Auswirkungen der Politik ins Private nach und feiert zugleich das zwischen prekär und unbeschwert schwankende Lebensgefühl seiner Generation.

Obwohl Europe, She Loves ein Dokumentarfilm ist, spielt die Liebe darin eine große Rolle. Die Protagonisten haben auch nichts dagegen, sich beim Sex filmen zu lassen. Der langjährige Umgang mit Social Media äußert sich offenbar in einer neuen Freizügigkeit. Gerade weil die Privatsphäre so wichtig geworden ist, als Rückzugsort in krisenhaften Zeiten, wollen viele Leute anscheinend die schönen Erlebnisse, die sie zu bieten hat, nicht mehr unbedingt vor der Welt verstecken. Und auch Gassmann findet, dass der Dokumentarfilm das Thema Liebe nicht dem Spielfilm überlassen sollte. Eine subjektive Erzählweise, die Emotionen vermittelt, schärfe nur den Blick, argumentiert er.

In ihren Beziehungen finden die vier Paare Halt und einen gewissen Spielraum, sich zu verwirklichen, egal wie abweisend und einschränkend die gesellschaftlichen Bedingungen draußen vor der Tür sind. Veronika, die als Clubtänzerin in Tallinn arbeitet, wohnt mit Harri und ihren beiden kleinen Kindern in einem unscheinbaren Häuschen mit Garten. Harri kümmert sich viel um den Haushalt, aber sein Verhältnis zu Veronikas Sohn Artur ist gespannt. Ein gutbürgerliches Leben in einer glücklichen Beziehung schwebt auch den anderen, kinderlosen Paaren mehr oder weniger deutlich vor. Die Irin Siobhan und ihr studentischer Freund Terry besitzen keinen Kühlschrank und stehen für Lebensmittelspenden an. Manchmal greifen sie zu harten Drogen, wenn ihnen der Frust und die Langeweile zu viel werden. Terry war schon einmal heroinabhängig und so erscheint die Zukunft dieses Pärchens äußerst ungewiss. Die Studentin Caro wohnt in Sevilla bei ihrer Mutter und jobbt als Bedienung. Im Gegensatz zu ihrem Freund Juan will sie unbedingt wegziehen, aber nicht alleine, sondern mit ihm. In Thessaloniki lässt Penny Tag für Tag ihren Wunsch reifen, nach Italien zu gehen, auch wenn das die Trennung von Nicolas, der als Pizzabote jobbt, bedeuten könnte.

Gassmann nähert sich den Paaren rein beobachtend. Viele Szenen entstehen daheim. Die unklare Zukunft liegt wie eine unsichtbare Bürde über dem ganzen Geschehen und scheint den Protagonisten eine gewisse Passivität und Resignation aufzunötigen. Oft wirken diese jungen Leute wie gefangen in einer Warteschleife. In den Sendungen des Rundfunks, die sie verfolgen, ist immer von Krisen die Rede, von Flüchtlingsdramen, Neonazi-Aufmärschen und anderen Phänomenen, die beunruhigen. Es entsteht eine spannende Filmatmosphäre, die aber auch zunehmend inszeniert wirkt.

Schön sind die Übergänge, wenn die Narration wieder einmal von einem Schauplatz zum nächsten wechselt: Dann fängt die Kamera oft im Vorbeifahren Straßenszenen, Landschaften ein, wie um Stücke für ein großes Europa-Puzzle zu sammeln. Zwar eignet sich der Dokumentarfilm nicht für verallgemeinernde Schlüsse, die über die Stimmungsebene hinausgehen. Aber die dort vorgefundene Verunsicherung prophezeit dem vereinten Europa eine schwierige Zukunft, wenn es sich nicht mehr für die Lebenswirklichkeit der jungen Generation interessiert.
 

Europe, She Loves (2016)

Die Krise der Europäischen Union ist in vielen ihrer Länder vor allem eine Krise der jungen Generation. Statt in ein selbstbestimmtes Berufsleben zu starten, suchen viele Menschen zwischen 20 und 30 Jahren in Ländern wie Griechenland oder Spanien händeringend nach einem Job. Selbst Studenten schauen dort in eine ungewisse Zukunft oder beschließen, ins Ausland zu gehen.

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