Einsamkeit und Sex und Mitleid (2017)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Einsamer sucht Einsame zum Einsamen

Einsamkeit und Sex und Mitleid ist die unheilige Dreieinigkeit, die dieser Film in seinem weitgespannten Panoptikum – oder Pandämonium? – von Figuren und Episoden heraufbeschwört. Der Anklang des Titels an die Nationalhymne ist sicherlich kein Zufall, Regisseur Lars Montag setzt in seiner Verfilmung des gleichnamigen Romans von Helmut Krausser (Der große Bagarozy) darauf, das Gemeinsame einer Nation der Einsamen herauszufiltern. Und das radikal und ohne Kompromisse – tatsächlich haben einige Förderanstalten der Produktion abgesagt wegen fehlender politischen Korrektheit …

Ein starkes Dutzend Charaktere verbindet der Film zu dem großen Ganzen eines Ensemblefilms, in dem die einzelnen Episoden sich mehr und mehr zu einem Spinnennetz verweben, in dem sich die Figuren verfangen. Flüsternd raunende Erzählerstimmen geben Einblicke ins Innenleben der Figuren; die aber ihr Innerstes ohnehin gerne nach außen abreagieren. Das müssen sie, sonst würden sie platzen. Denn das Innerste ist niemals schön, es ist gezeichnet von Unvermögen und Angst, von Gehemmtheit und Wut, von Traurigkeit und Sehnsucht, von Aggression und Selbsthass.

Thomas (Jan Henrik Stahlberg) zum Beispiel ist Polizist, genau der richtige Beruf für ihn, um seinen Ärger, seinen Zorn rauszulassen – die Ausländer, die Flüchtlinge, alles Gründe, um mal so richtig draufzuhauen. Vor allem vor Carla (Friederike Kempter), die er so gerne beeindrucken würde. Die aber will eine starke Frau sein, das kann sie, das muss sie, nachdem diese Sache im Flüchtlingsheim passiert ist – braucht sie einen Beschützer? Ecki (Bernhard Schütz) war Lehrer, bis diese Schülerin, die er durchfallen lassen musste, ihn ungerechtfertigt beschuldigt hat. Jetzt hasst er diese Swentja (Lilly Wiedemann), ihre Familie, die ganze Welt und sein Leben überhaupt. Während Swentja, 14 Jahre alt, weiterfickt als eine Art selbstbewusste Jungschlampe – wäre sie zumindest gerne, immerhin ließ sie sich auf der Party von Johannes (Aaron Hilmer) befummeln, der jetzt in seinem übermäßigen christlichen Glauben sehr erschüttert ist. Während Mahmud (Hussein Eliraqui) sich auf seine Weise an Swentja heranmacht: Um seine Verliebtheit nicht zugeben zu müssen, bietet er 100 Euro, damit er sie ‚ne Stunde lecken darf. Ihre Mutter (Maria Hofstätter) ist strenge Veganerin und eine vertrocknete Beißzange, ihr Vater (Rainer Bock) erkennt, dass er sein Leben vergeudet hat, weil er beim anstehenden Umzug seine Bienenkörbe nicht mitnehmen kann. Eine Künstlerin spielt auch eine Rolle, die sich nach Sex sehnt und diesen bei Datingportalen sucht. Sie findet Uwe (Peter Schneider), Leiter eines Supermarktes, der gerne von seiner Ginsammlung redet und nach der Scheidung eine neue, sinnvolle Beziehung eingehen will. Seine Ex-Frau (Eva Löbau) begnügt sich mit einem Callboy, den kann sie ohne Probleme und Konsequenzen herumkommandieren. Im Übrigen finden sich Ecki, der hasserfüllte Lehrer, und Robert, Sventjas Vater, sehr sympathisch – ohne von den Verwicklungen der Vergangenheit und der Gegenwart zu ahnen, die sie miteinander verbinden.

Das Schöne ist, dass dieses Figurenkarussell im Film langsam entwickelt wird, angefangen mit einer Handvoll Typen und ihren kleinen Geschichten, die sich mehr und mehr erweitern; was einerseits dramaturgisch gesehen sehr geschickt immer wieder etwas Neues und Überraschendes bringt, thematisch gesehen den Film immer wieder erneuert und variiert. Tiefe Einsamkeit ist allen diesen Figuren gemein; Sex verbindet, aber nur kurzfristig. Mitleid haben sie vor allem mit sich selbst – und es gelingt Lars Montag auf subtile Weise, im Filmzuschauer Mitleid zu erwecken mit diesen verlorenen Gestalten; auch und vielleicht gerade, weil die so gar nicht liebenswert sind. Sympathie ist eben auch das Mitleiden, das Sich-Hinein-Versetzen – die stille Frage ist, ob wir vielleicht alle so sind wie diese Typen?

Wahrscheinlich nicht. Denn Montag geht seinen Film niemals mit bierernster Dramatik an, sondern mit satirisch-überzogener Komik. Er nimmt seine Figuren ernst, führt sie aber auch vor, verbindet uns mit ihnen und distanziert uns zugleich. Einsamkeit und Sex und Mitleid ist, das muss man klar sagen, eine Komödie; eine sehr unterhaltsame dazu. Und vor allem: Eine Komödie, die davor nicht zurückschreckt, was andere nur andeuten. Eva Löbaus Sexkapaden sind auf ihre Weise ebenso radikal wie die romantische Schiene um Swentja und Mahmud, die nur funktionieren kann, indem Mahmud Swentja mit seinem 100-Euro-Angebot zur Nutte macht: Was dieser mehr schmeichelt als jedes Kompliment. Von weitem könnte dieser Film fast so etwas wie ein Männerherzen-Abklatsch sein. Nur legt es Montag nicht darauf an, allen zu gefallen, den goldenen Käfig einer herzlichen Liebeskomödie zu erschaffen. Eher die Rattenfalle, in der wir alle mal landen, wenn wir unser Herz verlieren.

Lars Montag ist hauptsächlich Fernsehregisseur. Zahlreiche Tatorte, Polizeirufe oder die Kluftinger-Regionalkrimis gehen auf sein Konto. Es ist zu vermuten, dass er sein Kinodebüt als Erleichterung angesehen hat: Hier konnte er rauslassen, was raus musste, filmisch gesehen. Und Einsamkeit und Sex und Mitleid ist ein ziemlich großer Film geworden, voll Witz und Pointen, mit dem richtigen Schuss Absurdität, mit der passenden Dosis Grenzüberschreitung, die die Figuren hinüberführt ins Reich von Pein und Peinlichkeit. Er bietet eine prägnante Zeitanalyse mit all den Selbstoptimierern, die von einer Smartwatch ihre Fitness diktieren lassen, mit Silent Partys, bei denen die Leute ganz für sich mit Kopfhörer tanzen, mit den diversen Deals um Sex und Geld, mit Anger Rooms, in denen zahlende Kunden mal so richtig die Sau rauslassen können, indem sie das Ambiente, das sie mit Hass erfüllt, zertrümmern: Büro oder Schlafzimmer, Axt oder Baseballschläger; das bringt Erleichterung. Verdichtet und überhöht wird diese traurige Komik durch eine permanente symbolisch Ebene, in der etwa Bilder des Zerstörens – „Wenn alles kaputtgeht, bleibt jedem einzelnen Teilchen nur noch die Drehung um sich selbst“ – oder des Vogelschwarms – bei der gemeinsamen Bewegung darf man sich niemals zu nahekommen – eingeflochten werden. Und selbstverständlich bietet Montag auch eine Lösung an, indem er Peter Maffays „Du“ einfach umdichtet: „Ich bin alles, was ich habe auf der Welt, ich bin alles, was ich will.“

Einsamkeit und Sex und Mitleid (2017)

„Einsamkeit und Sex und Mitleid“ ist die unheilige Dreieinigkeit, die dieser Film in seinem weitgespannten Panoptikum – oder Pandämonium? – von Figuren und Episoden heraufbeschwört. Der Anklang des Titels an die Nationalhymne ist sicherlich kein Zufall, Regisseur Lars Montag setzt in seiner Verfilmung des gleichnamigen Romans von Helmut Krausser („Der große Bagarozy“) darauf, das Gemeinsame einer Nation der Einsamen herauszufiltern.

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Meinungen

Sandra Schubert · 20.05.2017

Ich habe selten einen solch widerlichen Film gesehen, ohne Inhalt, primitiv, voller Plattitüden, die meisten Schauspieler hässlich. Dass ein solcher Dreck ins Kino kommt, verwundert mich.