Ein Tag wie kein anderer

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Wie trauern?

Sind sieben Tage wirklich genug? Natürlich nicht, wenn man gerade den eigenen Sohn begraben musste, der nur 25 Jahre alt wurde und an Krebs verstarb. Nun ist die Schiv’a, das siebentägige jüdische Trauerritual gerade zu Ende gegangen, doch der Schmerz bleibt. An diesem Tag wie an allen folgenden. Und so müssen sich Vicky (Evgenia Dodina) und Eyal (Shai Ayiyi), die Eltern des jungen Mannes, damit auseinandersetzen, wie sie in den Alltag zurückkehren wollen und den Schmerz und die Trauer in das ganz normale Leben integrieren können. Wer um die Unterschiedlichkeit menschlicher Verhaltensweise Bescheid weiß und zudem erfahren hat, wie unterschiedlich Menschen vor allem dann funktionieren, wenn es um den Umgang mit Gefühlen geht, ahnt schnell, dass hier zwei diametral entgegengesetzte Welten aufeinanderprallen – und daraus entsteht nicht nur Entlarvendes, sondern vor allem auch mehr Komik, als man zunächst vermuten möchte.
Die letzten Gäste der Trauerzeit sind gerade aus dem Haus gescheucht, die Nachbarn, die einen Tag zu spät anrückten, höflich, aber bestimmt hinauskomplimentiert – nun soll die Rückkehr in den Alltag die Heilungskräfte, die der Routine in solchen Fällen zugeschrieben werden, aktivieren. Doch während es Vicky zumindest äußerlich gelingt, so etwas wie Normalität wiederherzustellen, verweigert sich ihr Mann dem geradezu. Beim Weg aus dem Haus macht er auf dem Absatz kehrt und lässt sich weiter in dem Ausnahmezustand dahintreiben, aus dem er keinen Ausweg findet oder finden will. Also blafft und raunzt er in der Gegend herum, ohrfeigt die Nachbarin, verschreckt kleine Kinder und lässt auch sonst seine Umwelt nach Kräften spüren, dass sie ihn in ihrer Gesamtheit mal kreuzweise kann. Den Weg zum Friedhof vermeidet er, stattdessen macht er sich auf die Suche nach einer Decke aus dem Familienbesitz, die der Sohn im Hospiz mit dabeihatte und die spurlos verschwunden scheint. Was Vicky zu der Frage nach dem Warum des seltsamen Verhaltens veranlasst. „Der liegt morgen auch noch auf den Friedhof, die Decke ist dagegen vielleicht weg“, kontert Eyal. Doch statt des familiären guten Stücks findet er nur einen Beutel voller Cannabis, den er vorsorglich mit nach Hause nimmt.

Das mit dem Volldröhnen ist aber gar nicht so einfach, denn natürlich beherrscht der Mann die hohe Kunst des amtlichen Bauens eines Joints nicht. Erst Shmulik Zooler (Sharon Alexander), der Sohn der wenig gelittenen Nachbarin, weiht Eyal in dieses und andere Geheimnisse ein. Es ist der Beginn einer wundervollen, weil durchgehend bekifften Freundschaft, die ihre zusätzliche Dynamik noch aus dem Kontrast zwischen Eyals weitgehender Bewegungslosigkeit und Shmuliks hyperaktivem Herumgeturne in Vorbereitung auf einen Luftgitarrenwettbewerb erhält.

Entfernt erinnert Eyals Verhalten an Lester Burnham in Sam Mendes’ American Beauty – beide sind ganz normale Männer, die sich eines Tages einfach weigern, weiter wie ein Uhrwerk zu funktionieren und stattdessen den Weg des Schreibers Bartleby aus Herman Melvilles Erzählung Bartleby, the Scrivener (1853) einschlagen: „I would prefer not to!“ Das Kunststück, das Asaph Polonsky nun – neben viele weiteren – mit scheinbar leichter Hand hinbekommt, ist, dass dieser raunzige Kauz trotz seines mindestens asozialen Verhaltens im Laufe des Films zu einem Sympathieträger wird, den man am Ende ins Herz geschlossen hat.

Asaph Polonskys Film, der seine Premiere voriges Jahr an der Croisette in der Parallelreihe Semaine de la Critique feierte und bei einigen Festivals mit Preisen bedachte wurde (u.a beim Jerusalem Film Festival und in Oldenburg), ist ein Werk, das wie ein Geschenk an die Darstellerriege anmutet. Die Bandbreite der Emotionen und absurden Situationen verlangen ihnen einiges ab, und es ist vor allem ihnen und Polonskys inszenatorischem Geschick zu verdanken, dass die ambivalente Tour de force zwischen fast schon slapstickhafter Komik und kleinen Szenen voller Tragik und Intimität nicht nur gelingt, sondern auch beim Zuschauer zündet. Selten lagen Lachen und Weinen im Kino näher beieinander als bei Ein Tag wie kein anderer. Und ehrlich gesagt neidet man es Eyal fast ein wenig – auch wenn man dessen Schicksalsschlag natürlich nicht selbst erleben möchte –, dass er genau das tut, wovon viele andere immer nur träumen: sich einfach mal gehen zu lassen und sich von der zermürbenden Mechanik des Alltags abzuwenden.

Ein Tag wie kein anderer

Sind sieben Tage wirklich genug? Natürlich nicht, wenn man gerade den eigenen Sohn begraben musste, der nur 25 Jahre alt wurde und an Krebs verstarb. Nun ist die Schiv’a, das siebentägige jüdische Trauerritual gerade zu Ende gegangen, doch der Schmerz bleibt. An diesem Tag wie an allen folgenden.
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