Ein Sommer in New York - The Visitor

Eine Filmkritik von Florian Koch

Trommeln für ein neues Leben

Musik als emotionales Schmiermittel. Diese Prämisse griffen bereits unzählige Filme wie Die Reise des chinesischen Trommlers oder Wie im Himmel auf. Wer die Annäherung Problem beladener Menschen durch instrumentelle oder gesangliche Darbietungen inszeniert begibt sich auf dünnes Eis. Denn die Gefahr, auf simple Konfliktlösungen und falsche Sentimentalität hereinzufallen ist hier besonders groß. Thomas McCarthy, bekannt als Nebendarsteller in Hollywood-Produktionen (Syriana, 2012) entzieht sich mit seinem bewegenden Drama Ein Sommer in New York – The Visitor dank hervorragender Darsteller und einem smarten Drehbuch gekonnt aus dieser Klischeefalle.
Walter Vale (Richard Jenkins), ein alternder Wirtschaftsprofessor führt seit dem Tod seiner Frau eine Scheinexistenz. In einer großen Wohnung in Connecticut fristet er abgeschottet von der Außenwelt ein tristes, ereignisloses Dasein, das nur durch gelegentliche Klavierstunden aufgelockert wird. Sehr zu Walters Verdruss bittet ihn sein Dekan in New York einen Vortrag zu halten. Als wäre seine Laune nicht schon auf dem Gefrierpunkt findet er in seinem Zweitwohnsitz völlig überraschend die Senegalesin Zainab (Danai Gurira) und ihren Freund, den Syrer Tarek (Haaz Sleiman) vor. Die beiden beteuern, dass sie einem Immobilienbetrüger auf den Leim gegangen wären und niemals geahnt hätten, dass die Wohnung Walter gehören würde. Walter glaubt dem ehrlich wirkenden jungen Paar und nimmt sie bis auf weiteres bei sich auf. Und mehr noch. Der in sich gekehrte Professor lässt sich bald von Tareks unbekümmerter Lebensfreude anstecken und vergisst beinahe den eigentlichen Grund für seinen New York-Besuch. Besonders Tareks Bongotrommelleidenschaft hat es Walter angetan. Der Musikliebhaber willigt sogar ein mit Tarek und seinen Freunden im Central Park zu jammen. Doch plötzlich wird der Syrer in der U-Bahn verhaftet und als illegaler und potentiell gefährlicher Ausländer in Gewahrsam genommen. Gemeinsam mit Tareks kurzfristig angereister Mutter Mouna (Hiam Abbass) setzt Walter alles daran, um ihn freizubekommen.

Was auf den ersten Blick wie eine süßlich-unglaubwürdige Völkerverständigungsgeschichte wirkt, gerät in der unaufdringlichen Inszenierung von Thomas McCarthy zu einem eindringlichen Plädoyer für mehr Toleranz und Mitgefühl. Sein Einfühlungsvermögen für das schwierige Dasein eines Außenseiters bewies er bereits mit seinem Regiedebüt Station Agent, einem vielschichtig-lakonischen Drama über einen kleinwüchsigen Zugliebhaber. McCarthy lässt sich auch in seinem Nachfolgewerk Ein Sommer in New York – The Visitor angenehm viel Zeit, um seine facettenreiche Hauptfigur dem Zuschauer näher zubringen. In stimmig ausgewählten Bildmotiven zeigt er Walter als einen gebrochenen Mann, der wie ein Zombie durch seine gespenstisch museal wirkende Wohnung schlurft. Geistig hat er bereits mit seinem Leben abgeschlossen; Engagement für eine Sache, sei sie noch so unbedeutend ist dem mürrischen Eigenbrötler völlig fremd. Erst die überraschende Konfrontation mit der ihm völlig fremden Lebenswelt von Zainab und Tarek entfacht in ihm ein neues Feuer.

Die schleichende Wandlung von Walter skizziert Richard Jenkins mit atemberaubender Subtilität und einem naivem Charme, der nicht nur seine Spielpartner ansteckt. Der Six Feet Under-Seriendarsteller achtet in der Rolle seines Lebens auf jede noch so kleine Geste und sprachliche Finesse, um seinen in sich gekehrten Charakter penibel genau zu kennzeichnen. Das langsame Aufbrechen seiner Vorurteile, seine zunehmende Trommelleidenschaft und sein Engagement für den inhaftierten Tarek wirken nie aufgesetzt oder überzogen. Seine weitgehend unbekannten Co-Stars stehen der Oscar-Nominierten Leistung von Jenkins aber in nichts nach. Ihre Freiheitsliebe und gleichzeitige Angst vor einer möglichen Festnahme in einem Amerika, das sich nach dem 11. September völlig verändert hat ist stets zu spüren. Überhaupt verarbeitet McCarthy in seinem unterschwellig anklagenden Film die Araber-feindliche Atmosphäre in der Post 9/11-Ära mit größtmöglichem Feingefühl. Von unzumutbaren Haftbedingungen, verzweifelten Behördengängen und einer großen Ratlosigkeit erzählt er besonders im zweiten Teil von Ein Sommer in New York – The Visitor. Hierbei gelingen ihm kalte Industriebilder, die ein lebensfeindliches, ödes New York fernab der Touristenattraktionen zeigen.

Mit der Einführung von Tareks Mutter Mouna droht McCarthys ansonsten so leichtfüßig und stimmig erzähltes Drama kurzzeitig aus der Spur zu geraten. Denn die zart angedeutete Romanze von Walter und Mouna lenkt nur von der eigentlichen Problematik um Tareks mögliche Abschiebung ab und ist in ihrem rasanten Tempo der ansonsten bedächtigen Charakterentwicklung nicht angemessen. Bevor eine Multikulti-Verkitschung droht, kann McCarthy das Regieruder glücklicherweise noch herumreißen, und inszeniert einen anrührend-stimmigen Schluss, den man nicht vergisst.

Ein Sommer in New York - The Visitor

Musik als emotionales Schmiermittel. Diese Prämisse griffen bereits unzählige Filme wie „Die Reise des chinesischen Trommler“ oder „Wie im Himmel“ auf. Wer die Annäherung Problem beladener Menschen durch instrumentelle oder gesangliche Darbietungen inszeniert begibt sich auf dünnes Eis. Denn die Gefahr, auf simple Konfliktlösungen und falsche Sentimentalität hereinzufallen ist hier besonders groß.
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