Ein proletarisches Wintermärchen

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

Der Klassenkampf als Komödie

Mit Ein proletarisches Wintermärchen setzt Julian Radlmaier seinen Weg als einer der vielversprechendsten jungen deutschen Filmemacher fort. Voller formeller Verspieltheit erzählt der gebürtige Nürnberger und Student der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin humoristisch von einem proletarischen Aufbegehren dreier georgischer Bediensteter in einem altern Berliner Schloss, das heute für die Ausstellung zeitgenössischer Kunst herhält, aber noch voller Ideologien steckt, die es mal gab und immer noch gibt.
Die drei Georgier (wie in seinem letzten Film Ein Gespenst geht um in Europa stellt Radlmaier Georgier ins Zentrum seiner Betrachtungen) sollen das Schloss vor der Eröffnung einer Ausstellung blitzblank putzen und im Anschluss selbstverständlich in ihren Kammern verschwinden. Aber das leckere Essen und der verlockende Klang der gehobenen Gesellschaft provozieren ein revolutionäres Begehren in den drei Freunden, von denen vor allem zwei schon während des Putzens immer wieder aussteigen, träumen oder albernen Ideen folgen. Es entfaltet sich eine formal stringente Klassenkampf-Komödie in der Tradition von Pasolini, Godard oder Straub-Huillet.

Diese Vergleiche mögen auf den ersten Blick etwas anmaßend wirken und das sind sie sicher auch, aber Ein proletarisches Wintermärchen zeigt, dass die Filmgeschichte und ihr Bewusstsein nicht eine Last sein müssen sondern durchaus eine fast neckische Freude. So zitiert Radlmaier munter von D.W. Griffith bis Pedro Costa und lässt seine Handlung durch ein formelles Begehren entstehen statt eine inhaltliche Idee. Radlmaier ist ein junger Filmemacher, der sich nicht wie viele seiner Kollegen aus Unwissenheit und Desinteresse vor der Geschichte und Bedeutung seines gewählten Mediums abwendet sondern geradewegs und mit fundierten Kenntnissen darauf zugeht. Die Gefahr des abgehobenen Intellektualismus umschifft er mit seinem komödiantischen Anstrich. Ein politisches Anliegen durch die Komödie zu formulieren und dabei durchaus dringlich auf Missstände aufmerksam zu machen, gelingt dem Film eben vor allem durch sein genaues Auge für Form.

So beeindruckt beispielsweise die präzise Raumsprache des Films mit ihrem Auge für Machtkonstellationen, Vergänglichkeit sowie Enge und Weite. Die Verwendung des Academy-Standard Formats hilft enorm beim Gefühl für die Figuren in der Architektur und innerhalb ihres gesellschaftlichen Rahmens. Das Schloss ist und gibt Raum für einen architektonischen und filmsprachlichen Überrest. Die versuchte Dynamisierung der Klassenunterschiede hängt auch am Aufbrechen des Raumes und gelingt den Figuren immer wieder durch das Aussparen der Gewohnheit. So fahren sie plötzlich Schlittschuh auf ihren Putzlappen oder tauchen auf den Treppen hinunter in die hohe Gesellschaft auf wie der verirrte Tramp von Chaplin. Das Begehren nach einem anderen Leben vollzieht sich immer gegen die Regeln, aber bleibt bei Radlmeier im Rahmen des Raumes. Aus diesem Grund müssen andere Fluchtwege gesucht werden und der Regisseur findet diese vor allem in Türen und Fenstern. So verstecken sich Menschen hinter Türen, die ständig geöffnet und geschlossen werden und die renovierte Schlossarchitektur als eine Schaubühne von aufgesetzten Verhalten entlarven.

Besonders gelungen ist dies im Falle der prägenden Protagonisten der Kunstausstellung, die als Herzstück ein schwarzes Loch im Foyer ausstellt. (dieses schwarze Loch ist fast identisch zu jenem von Apichatpong Weerasethakul in Syndromes and a Century) Ein amerikanischer Minimalist, die Künstlichkeit der Dialoge oder die starren Blicke toter Gesichter. All das inszeniert Radlmeier mit großer Souveränität. Das Loch selbst transformiert sich im Lauf des Films zu einem gesellschaftlichen und filmischen Loch, indem eine Leere von Sinn und Existenz sichtbar wird, die nur schwer zu füllen ist. Die Aufmüpfigkeit der Arbeiter wird schließlich selbst vom Film gestört. Die Fiktion stellt sich gegen die Protagonisten. Ein plötzlicher Spezialeffekt einer Wolke verrät die junge Georgierin, die beinahe die Grenzen der Klassen überwunden hatte. Es ist dies so etwas wie ein Deus Ex Machina, der selbst in Klassenhierarchien gefangen bleibt.

Zwar funktionieren die formale Strenge und der Mut zur Künstlichkeit (beispielsweise in den wütenden Tiraden des Hausmeister Lars Rudolph) zumeist sehr gut, insgesamt hängt Ein proletarisches Wintermärchen aber doch häufig zwischen seiner Verfremdung und seinem empathischen Potenzial. Selten sehen wir Nahaufnahmen und insgesamt fehlt den Figuren hier und da tatsächlich ein bisschen Gesicht oder Gefühl. Das hängt auch damit zusammen, dass Radlmaier äußerst wenig Raum für den Zufall und die Welt lässt. Auf der anderen Seite verbirgt sich hinter dieser digitalen und bildgestalterischen Sauberkeit auch die Sprache des deutschen Bürgertums und des Kulturestablishments samt all seiner Lächerlichkeit und Unterdrückung.

Manchmal wird die Handlung mit verträumten Flashback-Allegorien unterbrochen. Diese folgen womöglich am meisten der Logik von Märchen, obwohl sie in ihren absurden Konstellationen auch von einer Verbitterung erzählen. Diese Verbitterung bleibt auch hängen, obwohl sie schnell der Freude über einen spannenden Filmemacher und einen gelungenen Film weicht.

Ein proletarisches Wintermärchen

Mit „Ein proletarisches Wintermärchen“ setzt Julian Radlmaier seinen Weg als einer der vielversprechendsten jungen deutschen Filmemacher fort. Voller formeller Verspieltheit erzählt der gebürtige Nürnberger und Student der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin humoristisch von einem proletarischen Aufbegehren dreier georgischer Bediensteter in einem altern Berliner Schloss, das heute für die Ausstellung zeitgenössischer Kunst herhält, aber noch voller Ideologien steckt, die es mal gab und immer noch gibt.
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