Ein Lied für Nour

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Wenn das Leben Geschichten schreibt

Als der 23-jährige Mohammed Assaf im Juni 2013 die Casting-Show Arab Idol gewinnt, gehen zehntausende Menschen im Nahen Osten auf die Straßen, vergessen Krieg und Misere und feiern den jungen Palästinenser, der es trotz aller Widrigkeiten geschafft hat, bei der Show aufzutreten und Millionen TV-Zuschauer mit seiner Stimme und seiner Musik zu bezaubern. Die Erfolgsgeschichte des Musik-Helden aus dem Gaza-Streifen hat nun Hany Abu-Assad verfilmt, der mit Paradise Now (2005) erstmals auf der Berlinale begeisterte und für Omar (2013) in Cannes ausgezeichnet wurde.
Ein Lied für Nour erzählt die wahre Geschichte von Mohammed Assaf: Das Porträt beginnt mit der Darstellung von Mohammeds Kindheit. Denn schon früh wird deutlich, dass Mohammed (Qais Attalah) Musiker werden will und muss. Die Besonderheit seiner Stimme begeistert alle seine Zuschauer; vor allem seine Schwester Nour (Hiba Attalah) ist überzeugt davon, dass aus Mohammed einmal eine Berühmtheit werden wird. Gemeinsam gründen die unzertrennlichen Geschwister eine Band, die zuerst mit selbstgebastelten Instrumenten im Hinterhof spielt, sich dann ein eigenes Equipment erarbeitet und schließlich auf Hochzeiten ihre ersten Auftritte hat. Nour allerdings muss hinter einem Vorhang spielen, denn Kinder, noch dazu Mädchen, dürfen so etwas eigentlich nicht machen im Gaza der 1990er Jahre.

Eines Abends sinkt Nour bewusstlos zu Boden und wird ins Krankenhaus gebracht. Die Diagnose ist ernüchternd: Nour hat einen Nierenfehler und muss fortan regelmäßig im Krankenhaus behandelt werden. Ohne zu überlegen, bietet sich Mohammed als Nierenspender an, hat jedoch die falsche Blutgruppe; ein anderer Spender findet sich nicht. Also will Mohammed von nun an noch härter arbeiten, um seiner Schwester eine neue Niere kaufen können.

Irgendwann macht der Film dann einen großen Sprung: Mohammed ist mittlerweile Student (Tawfeek Barhom) und fährt Taxi, um Geld zu verdienen. Gelegentlich singt er auch noch, den großen Traum vom Musiker hat er allerdings – nach einem Rückschlag bei einer Casting-Show – ad acta gelegt. Bis er eines Tages auf Amal (Dima Awawdeh) trifft, die ihn an die Zeiten im Krankenhaus mit Nour erinnert. Auch Amal hat eine Nierenerkrankung und muss regelmäßig zur Dialyse in die Klinik. Mohammed fährt sie dorthin, singt in Erinnerung an alte Zeiten für Amal ein Lied und beschließt daraufhin, nun doch endlich Nours Traum vom Profi-Musiker Wirklichkeit werden zu lassen. Er hört von einem letzten Vorsingen der panarabischen Show Arab Idol und setzt nun alles daran, ins ägyptische Kairo zu gelangen und daran teilzunehmen.

Er scheitert natürlich zunächst. Aber wenn das Leben Geschichten schreibt, dann tut es das richtig. Denn Mohammed kommt zu spät zum Vorab-Casting der Show: Alle anderen Kandidaten stehen schon seit zwei Tagen und über Nacht Schlange, um eine Chance auf einen Auftritt vor der Auswahljury zu haben; für Mohammed aber gibt es kein Teilnahme-Ticket mehr. Er klettert über Mauern und schleicht sich ins Hotel, dort hört ihn ein anderer Teilnehmer, der sofort so begeistert ist von Mohammed, dass er ihm sein Ticket schenkt.

Wäre dies die Geschichte eines Films, würde man ihm wohl seine Glaubwürdigkeit absprechen. Das Schöne an Ein Lied für Nour aber ist, dass er eine wahre Geschichte erzählt, die das Publikum – zumindest der arabischen Welt – kennt und die man nicht mehr rechtfertigen muss. Mohammed bekommt seine Chance beim Vor-Casting, überzeugt und ist fortan ein beliebter Teilnehmer der bekannten Fernseh-Show, für den am Ende auch viele Zuschauer aus anderen arabischen Staaten stimmen. Dass er mit all dem Star-Rummel, der ihn plötzlich umhüllt, nicht zurechtkommt, ist eine andere Geschichte, die zwar kurz angerissen, aber nicht en detail erzählt wird. Das ist auch nicht nötig, die kurzen Einblicke in das Leben des Star-Musikers reichen, um sich ein Bild davon zu machen – das hat Abu-Assad gut gelöst.

Auch die Idee, im entscheidenden Moment die Originalaufnahmen von Arab Idol mit in den Film aufzunehmen, funktioniert gut. Sie drückt nicht – wie in anderen Filmen dieser Art – auf die Tränendrüse, sondern wird eher rational eingesetzt: Die Zuschauer, die das Medienereignis 2013 miterlebt hatten, fühlen sich zurückerinnert; diejenigen, für die Mohammeds Geschichte etwas Neues ist, bekommen die Original-Bilder gleich mitgeliefert und können sich von der Emotionalität der Geschichte für eine ganze Region überzeugen.

Überhaupt gibt der Film einen guten Einblick in das Leben in der Gaza-Region von den 1990er Jahren bis quasi heute. Der Alltag, aber auch die Folgen des Konfliktes mit Israel bilden den Hintergrund, vor dem sich Mohammeds Geschichte abspielt. Ein Lied für Nour erzählt dabei weniger von den politischen Ereignissen als vielmehr davon, wie die Menschen im Gaza leben und unter dem jahrzehntelangen Konflikt leiden. Auch deshalb ist Mohammeds Geschichte so bewegend: Weil sie Grenzen überschreitet, weil sie diesen Konflikt mit all seinen Implikationen für die Minuten eines Musikstücks vergessen lässt und damit natürlich auch nachfragt, warum die Welt so sein muss, wie sie ist. Mit beeindruckenden Schauspielern, allen voran den Kinderdarstellern, erzählt Abu-Assad eine bewegende Geschichte, ein modernes Märchen, das natürlich auch in seiner Struktur ein wenig an Slumdog Millionär erinnert, allerdings politischer und vielleicht auch ein bisschen liebenswerter ist. Ein toller Film – reingehen!

Ein Lied für Nour

Als der 23-jährige Mohammed Assaf im Juni 2013 die Casting-Show „Arab Idol“ gewinnt, gehen zehntausende Menschen im Nahen Osten auf die Straßen, vergessen Krieg und Misere und feiern den jungen Palästinenser, der es trotz aller Widrigkeiten geschafft hat, bei der Show aufzutreten und Millionen TV-Zuschauer mit seiner Stimme und seiner Musik zu bezaubern.
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