Ein Haus in Ninh Hoa (2016)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Eine vietnamesische Familie im Strom der Zeit

In einem Haus in der vietnamesischen Kleinstadt Ninh Hoa wohnt eine Großfamilie. Sie ist nicht vollständig, denn manche der Jüngeren studieren oder arbeiten in Saigon und ein Zweig der Familie lebt seit über 40 Jahren in Deutschland. Und doch ist dieses Haus mit seinem Familienaltar der Hort der Erinnerungen für jedes Mitglied der Familie und der Anker in ihrer vom Krieg und von Migration geprägten Welt.

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Der älteste Sohn Le Trong Pham wurde Anfang der 1970er Jahre als Diplomat für Südvietnam nach Bonn berufen. Kurze Zeit später, als der Krieg beendet war, gab es dieses Land nicht mehr, das in der Vereinigung mit dem Norden aufging. Phams Kinder blieben ebenso wie die Eltern in Deutschland, bauten den Eltern aber ein neues Haus in Ninh Hoa, das sie nie bezogen. Pham starb auf einer Besuchsreise und liegt auf dem Friedhof in Ninh Hoa. Seine Tochter kommt nun aus Deutschland zu Besuch und bespricht mit den Tanten, ob das Haus vermietet werden soll. Sein Sohn Phuong kommt ebenfalls aus Deutschland, um ein Medium zu kontaktieren. Er will herausfinden, wo der im Krieg verschollene Onkel Ham begraben liegt.

Der deutsche Regisseur Philip Widmann und der bei Bonn aufgewachsene Fotograf und Künstler Nguyen Phuong-Dan porträtieren in diesem Dokumentarfilm die Familie, ohne sich selbst durch Fragen oder Einwürfe zu erkennen zu geben. So bleibt auch ungeklärt, in welcher Beziehung der Autor Nguyen Phuong-Dan zu dieser Familie steht. Zunächst sieht es aus, als würden die Filmemacher die ganze Zeit nur beobachten. Aber dann häufen sich inszenierte Gesprächssituationen, zum Beispiel über die Vermietung oder das Medium. Nur zögerlich erschließen sich die Verwandtschaftsbeziehungen. Dieses eigenwillige Vorgehen hat aber System: Die beiden Filmemacher begreifen die Mischung aus vorab besprochenen Inhalten und tastender Wahrnehmung als experimentelle Annäherung an die Realität.

So zeigt sich zum Beispiel im rhythmischen Wechsel der Tagesstunden der zyklische Charakter der Zeit. Auch die Vergangenheit ist stets präsent und muss sich doch mit der Zukunft, der Ungewissheit und dem Provisorium arrangieren. An der großen Nationalstraße, die Hanoi mit Saigon verbindet, steht das hohe, schmale Haus, das Phams Kinder bauten und in dem nun lediglich die Tochter während ihres Besuchs in Ninh Hoa wohnt. An der Straße wird permanent gebaut, Kabel werden verlegt, Veränderungen sind im Gange.

Die 92-jährige Großmutter ist oft zu sehen, ebenso wie ihre beiden unverheirateten Töchter, etwas seltener ihr dritter Sohn. Die alte Frau schaut nach den Hühnern im Hof und lauscht gerne den Geschichten, die ihr eine Tochter zur Zerstreuung erzählt. Die beiden Töchter führen den Haushalt und betreiben einen Warenhandel. Die Kamera begleitet eine von ihnen auf einer abendlichen Fahrt mit dem Rad, sie ist dabei, wenn am kleinen Schrein auf dem Fliesenboden die Räucherstäbchen angezündet werden. Immer läuft ein Ventilator, die Menschen halten mittags Siesta in der Hängematte oder im Zimmer am offenen Fenster. Man meint, die Hitze förmlich zu spüren. Hier und da kräht der Hahn im Hof und die Insekten zirpen beständig.

Die Menschen wohnen hier in einer stabilen Gemeinschaft, aber dennoch nur auf einer Zwischenstation im Fluss der Zeit, zwischen all den Fotoalben und den Besuchen der Jungen. Nguyen Phuong-Dan setzte sich auf seinen Reisen nach Vietnam mit dem Unterschied zwischen Vorstellung und Realität auseinander, der dadurch entsteht, dass die Geschichten seiner Eltern nicht die Veränderungen durchlebten, die in der alten Heimat vonstatten gingen. Und naturgemäß auch weniger komplex waren. Was wäre das für ein Ort, an den man nach jahrzehntelanger Abwesenheit zurückkehrt? Festhalten lässt sich auf Dauer nichts, aber es ist schön, ein Haus zu kennen, in dem die familiären Wurzeln noch leben.
 

Ein Haus in Ninh Hoa (2016)

In einem Haus in der vietnamesischen Kleinstadt Ninh Hoa wohnt eine Großfamilie. Sie ist nicht vollständig, denn manche der Jüngeren studieren oder arbeiten in Saigon und ein Zweig der Familie lebt seit über 40 Jahren in Deutschland. Und doch ist dieses Haus mit seinem Familienaltar der Hort der Erinnerungen für jedes Mitglied der Familie und der Anker in ihrer vom Krieg und von Migration geprägten Welt.

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