Die rote Schildkröte (2016)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Eine Feier des Lebens und der Natur

Das Meer tost und gischt im Sturm, Wellen bäumen sich auf und überschlagen sich mit. Inmitten der aufgewühlten See befindet sich ein Mann, der um sein Leben kämpft, indem er versucht, sich an seinem gekenterten, kopfüber dahintreibenden Boot festzuhalten. Doch es gelingt ihm nicht.

Mit fulminanten und wunderschönen Bildern beginnt Die rote Schildkröte, der neuste Streich aus dem japanischen Animationsstudio Ghibli, das seiner liebevoll handgezeichneten Ästhetik auch hier treu bleibt. Die Geschichte stammt allerdings diesmal vom Niederländer Michaël Dudok de Wit. Nach dem Rückzug Hayao Miyazakis ist es hier Isao Takahata (Miss Hokusai), der die traditionelle künstlerische Ausführung von de Wits Geschichte über die rote Schildkröte übernommen hat. Und diese japanische-niederländische Zusammenarbeit ist ganz und gar gelungen.

Sparsam ist Die rote Schildkröte geraten, gerade mal knapp 80 Minuten braucht der Film, um eine ganz wunderbare, runde und tiefsinnige Geschichte zu erzählen. Der Mann aus dem tosenden Meer überlebt und strandet auf einer Insel mit einem Berg, einem großen Bambuswald, einer Frischwasserquelle und ein paar Fruchtbäumen — das ist gerade genug um zu überleben. Auch hier in der Ausstattung der Insel ist Sparsamkeit angesagt. Die Bilder zeigen einen minimalistischen Stil, doch er genügt, um eine Gefühl für die Umwelt herzustellen. Der Wald ist saftig grün, die Tage blau, das Wasser türkis und die Nächte schwarz; die Sterne erhellen die Szenerie ein klein wenig. Und der Mann? Versucht Flosse zu bauen und sich zu retten. Doch jeder einzelne Versuch scheitert, weil jedes Gefährt ein ums andere Mal zerstört wird — und zwar von einer großen roten Schildkröte, die ihn erst ein wenig aufs Meer paddeln lässt, um seine in mühevoller Handarbeit erschaffene Konstruktion zu versenken. Erst als er die Schildkröte, die zum Eier legen an den Strand gekommen ist, auf den Rückenpanzer drehen kann, so dass sie wehrlos ist, hätte der Mann eine Chance auf Flucht. Doch er nimmt sie nicht wahr, denn diese Schildkröte erweist sich als eine magische Kreatur.

Hier treffen sich die westliche und östliche Interpretationen dieses Tieres. Die asiatische Bedeutung von Langlebigkeit und Glück paart sich mit der altgriechischen Idee von Fertilität. Aus der Panzer schlüpft eine Frau, die fortan den Gestrandeten begleiten wird. Die beiden werden nie miteinander reden. Sowieso sind Worte völlig unnötig in diesem Film. Auch hier wirkt die Reduktion Wunder und erlaubt es, sich ganz und gar auf Körpersprache, Erzählung, Umgebung und die ganz besondere Verbundenheit der beiden Einsiedler zu konzentrieren. Die rote Schildkröte konzentriert sich ganz und gar auf die ProtagonistInnen und wie sie ihr Leben begreifen. Ob im Überlebenskampf, bei Unglücken wie einem verheerenden Tsunami oder in den schönen Momenten, beim Entdecken, beim Sich-nahe- sein, beim Schwimmen im Meer, das mit vielen weiteren Schildkröten aufwartet, überall ist man ganz nah dabei, erlebt und erfühlt alles in den kleinsten Nuancen und großen Dramen des Daseins. Was äußerlich recht unspektakulär erscheint, ist im Inneren eine tiefe und tiefsinnige Feier des Lebens und der Natur.
 

Die rote Schildkröte (2016)

Das Meer tost und gischt im Sturm, Wellen bäumen sich auf und überschlagen sich mit. Inmitten der aufgewühlten See befindet sich ein Mann, der um sein Leben kämpft, indem er versucht, sich an seinem gekenterten, kopfüber dahintreibenden Boot festzuhalten. Doch es gelingt ihm nicht.

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