Die Melodie des Meeres

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Meisterhafte Geschichtenerzählerei

Der Film beginnt mit einer Geschichte, die die Mutter ihrem kleinen, vierjährigen Sohn erzählen wird – eine Sage, die dann später wieder aufgenommen, zu neuem, eigenen Leben wird, wenn längst klar geworden ist, dass die Mutter Teil der Welt dieser Geschichten ist, die Realität also nicht so arm an Magie und Wundern ist wie allgemein befürchtet. Und zu diesem Zeitpunkt hat dann Regisseur Tomm Moore auch schon seinen eigenen Zauber gesponnen, hat mit Bildern, Worten und Musik (Liedern vor allem!) Das Lied des Meeres zu beglückendem Leben erweckt. Ein helles Licht am Firmament des Animationsfilm, das aus der Entfernung ein wenig so aussieht, als sei es niedlich-freundliches Kinderkino.
Natürlich ist es auch ein toller, ach was: umwerfender Film für Kinder, wahrscheinlich mehr noch als Moores vorheriger Animationsfilm Brendan und das Geheimnis von Kells, der ähnlich auf alten Mythen und Sagen aufbaut, aber in vielen Momenten wesentlich düsterer, auch furchteinflößender ist. In Die Melodie des Meeres geht es um vieles: um Liebe, Verlust und Loslassen, um Trauer und Hoffnung, und spannend ist das alles obendrein.

Der kleine Ben ist inzwischen schon große zehn Jahre alt, als seine Schwester Saoirse ihren sechsten Geburtstag feiert. Mit ihrer Geburt starb auch die Mutter der Kinder, die Geschichtenerzählerin, und weder Ben noch sein wortkarger Vater Conor haben ihren Tod je verwunden; zu viert leben sie in einem Leuchtturm nahe der Küste. Was die Männer nicht wissen und Saoirse selbst noch nicht versteht: Sie ist, wie ihre Mutter, ein „Selkie“, ein magisches Zwischenwesen, Gestaltwandler: Mensch an Land und Robbe im Wasser.

Als Conors Mutter ihre beiden Enkelkinder mit in die Stadt nimmt, weil sie sich darum sorgt, ob diese auf dem Leuchtturm wirklich gut aufgehoben sind, macht sich Ben schon in der nächsten Nacht heimlich davon und auf den Weg zurück zur Küste. Saoirse schließt sich ihm gegen seinen Widerstand an, aber nachdem sie von einer Gruppe magischer Wesen („faeries“) entführt und um Hilfe gebeten wurden, wird den beiden bald klar: Sie müssen schnell zurück ans Meer, davon hängt nicht nur Saoirses Leben, sondern auch das Schicksal aller magischen Wesen des Landes ab …

Moores Geschichte verwebt traditionelle Mythen und sehr moderne Skepsis in eine Haltung, die traumartig wirkt: auf beglückende Weise unwahrscheinlich und völlig organisch entstehend zugleich. Wie schon in Brendan ist nahezu alles in runde Formen gegossen, aber auch wenn so selbst die Landschaften gelegentlich wie die Wellen eines großen Meeres wirken – Die Melodie des Meeres ist zu keinem Zeitpunkt eine Rückkehr zu einer idealisierten, vergangenen Ästhetik. Die Moderne steckt überall drin und berührt sich mit Traditionellem: in gelegentlich geradezu kubistischen Perspektiven (wenn etwa eine Mülltonne, obgleich von vorne gesehen, dennoch einen vollkommen rund gezeichneten Deckel hat), in einer Tiefe des Raums, die sich zunächst nur durch hintereinander liegende Ebenen offenbart. Sie bekommt dann doch ganz eigene Räumlichkeit – dafür sorgt allein schon Moores gekonnter Umgang mit Licht und Schatten.

Alles atmet Handwerk: Die Landschaften und Hintergründe sind mit Tusche gemalt, Figuren und bewegliche Elemente als flächige Formen animiert. So verbinden sich auch hier Klarheit und Unschärfe aufs Feinste zu einer zauberhaften Welt – alles kann plötzlich magisch aufleuchten.

Das Lied des Meeres wirkt so natürlich wie ein ästhetischer Gegenentwurf zum Mainstream-Animationskino der großen Studios (vor allem Disney/Pixar und Dreamworks), das hierzulande und weltweit mehr oder meist minder erfolgreich kopiert wird – man denke nur zum Beispiel an Filme wie Die Biene Maja — Der Kinofilm, Ooops! Die Arche ist weg… oder Zambezia. Aber wie bei Aardman oder im Studio Ghibli hat man bei dem, was Moore mit seiner Produktionsfirma Cartoon Saloon macht, weniger den Eindruck, dass es hier um eine bewusste Gegenbewegung geht, sondern mehr um ein völlig untrotziges eigenes Ding: Geschichten aus der eigenen Kultur in einer besonderen visuellen und narrativen Form zu erzählen. Und Tomm Moore ist ein meisterhafter Geschichtenerzähler.

Die Melodie des Meeres

Der Film beginnt mit einer Geschichte, die die Mutter ihrem kleinen, vierjährigen Sohn erzählen wird – eine Sage, die dann später wieder aufgenommen, zu neuem, eigenen Leben wird, wenn längst klar geworden ist, dass die Mutter Teil der Welt dieser Geschichten ist, die Realität also nicht so arm an Magie und Wundern ist wie allgemein befürchtet.
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Meinungen

ibrahim gusani · 12.05.2020

ich dachte es ist kostenlos.