Die Hände meiner Mutter (2016)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Missbrauch und Trauma

Florian Eichinger ist ein weitgehend unterschätzter Regisseur; vielleicht liegt es daran, dass er im Bewusstsein der Öffentlichkeit von seinem berühmten – und nicht verwandten – Namensvetter Bernd verdeckt wird. Mit seinen bisherigen drei Filmen kommt Florian Eichinger den psychologischen Abgründen einiger Familien sehr präzise auf die Spur, und er bebildert nicht einfach äußerliche Konflikte, sondern blickt hinein in seine Protagonisten, die von ihren inneren Qualen oft genug gar nichts wissen. Bis ihnen im Laufe des Films die Augen aufgehen. In Die Hände meiner Mutter, dem dritten Teil einer thematischen Trilogie über Gewalt in der Familie, beschreibt Eichinger die Auswirkungen von sexuellem Missbrauch – doch er tut dies niemals reißerisch, niemals in Bloßstellungsattitüde, niemals im Betroffenheitsmodus. Sondern beinahe nüchtern – so dass das zweite große Tabu, das der Film angeht, in der Tat gänzlich nebensächlich eingebracht wird, nämlich, dass der Missbrauch von der Mutter ausgeht.

„Alles gut“, das ist das Mantra von Markus, wenn er auf der Familienfeier zu Papas Geburtstag nach seinem Befinden gefragt wird. Alles gut – vielleicht glaubt er selbst daran. Und ist vermutlich von sich selbst überrascht, wenn an diesem Abend das Trauma ausbricht, das lange Jahrzehnte in den tiefsten Winkeln seiner Seele verborgen war. Erinnerungen; Gefühle; der Zusammenbruch der Welt. Einen Brief an die Mutter schreibt er, vielleicht ist damit alles erledigt. Die Mutter geht ebenfalls im Verdrängungsmodus mit den Tatsachen um, die er ihr auf den Tisch legt. Der Vater schimpft: „Das fällt doch auf uns zurück!“ Hat sich’s damit?

Markus ist erschüttert. Seine Frau Monika damit auch. Wie umgehen mit den Tatsachen von damals? Immer wieder tauchen diese Bilder aus dem Unterbewusstsein auf. Markus in seinem Zimmer, im Schlafanzug, und die Mutter, die ein so anschauliches Aufklärungsgespräch führt: Gib mir die Hand! Das musst du lernen für später! Der Clou an diesen Rückblenden: Markus wird nach wie vor von Andreas Döhler gespielt, der Erwachsene ist er selbst als Kind, die Eltern weiterhin Katrin Pollitt und Heiko Pinkowski, auf jünger getrimmt: Ein bewusster Akt der zusätzlichen Verstörung, über die böse Handlung hinaus. Zeichen dafür, wie unmittelbar alles weiterwirkt bis in Markus‘ Gegenwart. Zeichen auch dafür, wie schrecklich das Geschehen ist, so schrecklich, dass man es – auf Produktionsebene – nicht in einem Re-Enactment mit einem Kinderdarsteller nachspielen hätte können. Und Zeichen auch für die Subjektivität der Erinnerung. Eine Subjektivität, die jedoch weitgehend der Wahrheit entspricht.

Denn Mutter Renate gesteht alles, ziemlich leichthin bei einem Kaffee. Wobei nicht alles stimme, was Markus in seinem Brief erwähne: Sie habe nicht ein Glas Wasser auf ihn geschüttet, es sei ein nasser Schwamm gewesen. Besagte Szene kommt später im Film, als weitere Steigerung, als weitere Beklemmung für den Zuschauer: Markus nämlich, das Kind in seinem Kinderbett, ist ohnmächtig geworden, als seine Mutter ihn unten, hinten befummelte, während sie sich selbst wichste.

Dass diese Taten und diese Traumata nicht als bloßes Handlungs- und Dramaturgiematerial für eine Filmstory verwendet werden, ist Eichingers große Kunst: Dass es die Mutter war, ist ohnehin letztendlich wurscht, denn Missbrauch bleibt Missbrauch. Komplikationen ergeben sich eher aus Unerfahrenheit oder krassem Unglauben bei diversen Therapeuten, die mit einem solchen Fall schwer umgehen können. Wie dieser eine Therapeut in seinen Fragen subtil eine Schuld des Kindes, ein ödipales Begehren andeutet … Das hilft Markus definitiv nicht weiter. Und er gerät in eine Abwärtsspirale, die aber ebenfalls nicht als das gewohnte Sozialdrama-Betroffenheitsgeschmonze inszeniert ist, sondern als natürliche Entwicklung dessen, der ganz aus den Fugen gerät. Ein Jahr ist das ganze Aufbrechen der vernarbten Wunden schon her, heißt es irgendwann im Film, zur Überraschung des Zuschauers. Denn noch hat es keine Entwicklung zur Heilung gegeben – und das ist ja das, was einem sonstige Missbrauchs-Spielfilme allzu häufig vorsetzen.

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Nach Rosa von Praunheims Härte ist dies der zweite Film innerhalb kurzer Zeit, der den Missbrauch weiblicherseits thematisiert; beide Filme gehen sensibel mit ihrem Thema um, freilich auf je eigene Weise – als halbfiktionale Dokumentation mit klarem Wahrheitsanspruch der eine, dieser hier mit größtmöglicher psychologischer Dichte, in die sich der Zuschauer gänzlich hineinversenken kann, ohne von ihr umschlossen und damit selbst manipulativ missbraucht zu werden. In Die Hände meiner Mutter kommt jedes Familienmitglied – Markus, seine Eltern, die Ehefrau und die Geschwister – zu seinem Recht. Oder eben zu seinem Unrecht.
 

Die Hände meiner Mutter (2016)

Florian Eichinger ist ein weitgehend unterschätzter Regisseur; vielleicht liegt es daran, dass er im Bewusstsein der Öffentlichkeit von seinem berühmten – und nicht verwandten – Namensvetter Bernd verdeckt wird. Mit seinen bisherigen drei Filmen kommt Florian Eichinger den psychologischen Abgründen einiger Familien sehr präzise auf die Spur, und er bebildert nicht einfach äußerliche Konflikte, sondern blickt hinein in seine Protagonisten, die von ihren inneren Qualen oft genug gar nichts wissen.

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Meinungen

Karlotta Goerdt · 22.12.2016

Ich suche nach Kinos in Köln, die "Die Hände meiner Mutter" zeigen und finde seit zwei Wochen keine Spielstätte. Können Sie mir weiterhelfen? Vielen Dank im Voraus!