Die Eroberung der inneren Freiheit

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Mit Sokrates im Knast

Am Ende seines Lebens landete der griechische Philosoph Sokrates, der die Athener mit seinen bohrenden Fragen und spitzfindigen Dialogen gequält hatte, im Knast. Er sei ein Verderber der Jugend, warf man ihm vor, der den Dingen stets auf den Grund gehe. Und so wurde er zum Tode verurteilt und musste den Schierlingsbecher trinken. Die Freiheit seines Denkens, sie führte geradewegs in die Unfreiheit des Gefängnisses und schließlich in den Tod.
In der Dokumentation Die Eroberung der inneren Freiheit ist der Weg umgekehrt. Sie schildert ein ungewöhnliches Experiment, in dem der griechische Denker und seine Methoden in einem modernen Gefängnis zur Anwendung kommen. Der Knast in Berlin-Tegel ist der weltweit einzige, der seinen Insassen sokratische Gespräche anbietet. Die beiden Regisseurinnen Silvia Kaiser und Aleksandra Kumorek haben diese Gespräche begleitet und die inhaftierten Teilnehmer interviewt und in ihrem Gesprächsalltag begleitet. Ihr Film ist ein leidenschaftliches Plädoyer für mehr philosophische Praxis und zeigt ein Beispiel, das Schule machen könnte. Unter anderem auch deswegen, weil es belegt, dass Philosophie keine rein akademische Angelegenheit ist, sondern nur dann lebendig bleibt, wenn sie sich mit den konkreten Sorgen und Nöten der Menschen beschäftigt. Wahre Erkenntnis, so wusste Sokrates, kann nur aus dem Menschen selbst kommen, der (ausgebildete) Philosoph ist lediglich ein Geburtshelfer für die Wahrheiten und Einsichten, die die Gesprächsteilnehmer selbst herausfinden müssen.

Sechs Gespräche sind es, die der Film zeigt, mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten. Da geht es um den „Wert des Lebens“, um den „Kick des Verbrechens“, um „Wahrheit und Lüge“, um die „Last mit den Anderen“, um die „Innere Freiheit“ und um „Freiheit: Innen und Außen“. Neben diesen Gesprächen, die von zwei ausgebildeten Philosophen geleitet werden, geht es natürlich um die Teilnehmer selbst, um Stefan, den Drogendealer, Gaston, den Auftragskiller, Thomas, den Autoschieber, Gordon, den Kokaindealer, Trainer, den Einbrecher und Raubmörder, Sigmund den Mörder und andere schwere Jungs. Wie diese schweren Jungs durch die Gespräche lernen, ihre Taten zu reflektieren und ihr Wertsystem neu zu justieren, das ist trotz sehr ruhiger und bedächtiger Inszenierung spannend anzusehen und sorgt dafür, dass man sich ein ums andere Mal dabei ertappt, die Fragestellungen des griechischen Philosophen mitzudenken.

Die Eroberung der inneren Freiheit ist ein Film, der verdeutlicht, dass das Denken und Infragestellen von Sokrates auch heute noch ihre Bedeutung haben kann – selbst im Gefängnis und bei Menschen, denen man die Befähigung zur angewandten Philosophie anfangs nicht unbedingt zuspricht. Und er verdeutlicht zugleich, in welcher Situation sich Menschen im Gefängnis befinden – fernab aller Klischees.

Die Eroberung der inneren Freiheit

Am Ende seines Lebens landete der griechische Philosoph Sokrates, der die Athener mit seinen bohrenden Fragen und spitzfindigen Dialogen gequält hatte, im Knast. Er sei ein Verderber der Jugend, warf man ihm vor, der den Dingen stets auf den Grund gehe. Und so wurde er zum Tode verurteilt und musste den Schierlingsbecher trinken. Die Freiheit seines Denkens, sie führte geradewegs in die Unfreiheit des Gefängnisses und schließlich in den Tod.
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