Die Eleganz der Madame Michel

Eine Filmkritik von Silvy Pommerenke

Das Klischee einer Concierge

Die Verfilmung des französischen Bestsellers Die Eleganz des Igels von Muriel Barbery gibt in subtilen Tönen die skurrilen Lebenswelten von drei Einzelgängern wider, die unterschiedlicher nicht sein können: Die hochintelligente elfjährige Paloma, die sich aus rationalen Überlegungen an ihrem zwölften Geburtstag das Leben nehmen will, die mürrische Concierge Madame Michel, die ihre Leidenschaft für Bücher vor der Öffentlichkeit geheim hält und der kultivierte und weltgewandte Japaner Kakuro Ozu. Eine brisante Melange mit unerwartetem Ausgang!
Die kleine Paloma (Garance Le Guillermic) hat es nicht leicht, obgleich es ihr im materiellen Sinn an nichts mangelt. Zwar ist sie mit einem gut verdienenden Vater ausgestattet, aber ihre neurotische und von Psychotherapie abhängige Mutter, die den Zimmerpflanzen mehr Aufmerksamkeit schenkt als den Menschen, und mit ihrer zickigen und verbissenen Schwester hat sie es ebenfalls nicht leicht. Was scheint da logischer zu sein, als sich in 165 Tagen das Leben zu nehmen?! Bevor sie den letzten Weg einschreiten will, filmt sie aber noch ihr häusliches Umfeld und geht der Familie damit tierisch auf den Wecker. Aber auch die anderen Hausbewohner sind vor ihrer Kameralinse nicht sicher, wozu unter anderem die unzugängliche und eigenbrötlerische Concierge Renée Michel (Josiane Balasko) zählt. Mürrisch und wortkarg fegt sie den Hausflur, sorgt dort für Ordnung und leert die Mülleimer aus, um sich zu später Stunde heimlich mit Klassikern der Weltliteratur, Zartbitterschokolade en masse und ihrem dicken Kater zurückzuziehen. Paloma kommt dank ihrer cineastischen Neigung hinter das Geheimnis von Renée und sieht sie plötzlich mit anderen Augen. Mit ihrem kindlichen Charme erobert sie das Herz der Concierge und findet in ihr eine Gleichgesinnte, die eine angenehme Abwechslung zu ihrem oberflächlichen Familienleben bietet. Bald darauf zieht ein neuer Mieter in das Wohnhaus ein, und wieder scheint ein gleichgesinnter Einzelgänger gefunden zu sein. Kakuro (Togo Igawa) durchschaut Renée sofort, als er den Namen ihres Katers erfährt. Mit Leo kann nur Leo Tolstoi gemeint sein, und er überführt Madame Michel mit einem Zitat aus Anna Karenina. Alle Gegenwehr von Renée pariert Kakuro mit beharrlichem und trotzdem zurückhaltendem Charme, so dass sich bald eine zaghafte Freundschaft, sogar eine zarte Liebe zwischen den beiden entwickelt.

Mona Achache ist mit ihrem Kinodebüt ein wunderbares Kleinod geraten. Der ganze Film wimmelt von liebevollen Details, komischen Zwischentönen und gibt einen tiefsinnigen Einblick in die Welt von vermeintlichen Außenseitern. Die zentralen Figuren sind die suizidale Paloma, die trotz ihres tödlichen Vorhabens fern von Depressionen ist und einfach nur unter der Scheinwelt ihrer Familie einen Schlussstrich ziehen will. Die 165 Tage bis zu ihrem Selbstmord verbringt sie in kreativer Ausgelassenheit, indem sie Tabletten ihrer Mutter abzweigt, den hauseigenen Goldfisch einem Pillentest unterzieht, beständig in den ungewöhnlichsten Kameraeinstellungen ihr Umfeld ablichtet und mit einem schwarzen Filzstift ihrem nahenden Tod auf der Tapete ein künstlerisches Denkmal setzt. Madame Michel hingegen hat mit Selbstmord nichts im Sinn, denn obwohl sie ein zurückgezogenes Leben führt, so geht sie ganz in ihrem exorbitanten Schokoladengenuss und vor allem in der Flucht in literarische Welten auf. Vom Erscheinungsbild ungepflegt und nachlässig gibt sie nichts auf äußerliche Zwänge, und auch ihre Verwandlung, die sie durch die Freundschaft zu Kakuro durchmacht, lässt sie nicht in ein Modepüppchen mutieren, denn sie bleibt bei neuer Frisur und schicker Garderobe doch eine in die Jahre gekommene Frau, deren Glamour weit zurückliegt. Dass Mona Achache hier nicht in die ganz große Trickkiste gegriffen hat und plötzlich aus Madame Michel ein Supermodel entwickelt hat, spricht für die Story und den Film. So ist ein modernes Märchen entstanden, das durch seine drei Hauptdarsteller, die subtile Dramatik und das ungeahnte Ende mit einem lachenden und einem weinenden Auge noch nachhaltig in Erinnerung bleibt!

Die Eleganz der Madame Michel

Die Verfilmung des französischen Bestsellers „Die Eleganz des Igels“ von Muriel Barbery gibt in subtilen Tönen die skurrilen Lebenswelten von drei Einzelgängern wider, die unterschiedlicher nicht sein können:
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

madame5 · 19.06.2013

als der fisch in die toilette von rene michel quicklebendig auftauchte, wusste ich, dass die kleine sich nicht mehr umbringt, das ist für mich der schlüssel diesen wunderbaren filmes...als ob madame michel an ihrer stelle stirb, nachdem ihr den weg in eine andere, lebenswerte welt öffnete...

lilly · 19.09.2010

ein wunderschön leiser, unaufdringlicher, intelligenter und berührender film ... absolut empfehlenswert!

Mina · 15.08.2010

Bei diesem Film war man sofort im Geschehn mit drin und bis zum Schluss dabei und
besonders das Ende ist gelungen, da das Geschehen eine überraschende Wendung nimmt.
Ein super Film der einen zum Nachdenken bringt und den man nicht so schnell vergisst!
Meine Meinung: UNBEDINGD SEHENSWERT!

Andrula · 25.06.2010

Ich hab das Buch nicht gelsen, ging also völlig unvorbelastet an den Film heran. Zu Anfang etwas gewöhnungsbedürftig ist die Sicht des 11jährigen Kindes, aber ich liess mich darauf ein. Je länger ich dann den Film schaute, um so mehr wurde ich berührt. Weise, berührend, komisch und auch schockierend und traurig, absolut sehenswert!

Sabine F. · 07.06.2010

Ein wunderschöner Film! Darum geht es doch im Leben: Dem Gegenüber wirklich zuhören und
sich Zeit nehmen. Ansonsten schwimmt man permanent an der Oberfläche - wie ein toter
Fisch... .
Wann gibt´s die DVD?

geltscher · 06.06.2010

das originale Buch ist besser als film

mone · 30.05.2010

Aber der schluss ist so traurig. schnief.

Elli · 18.05.2010

ein wundervoller film

Jörg Frey · 16.05.2010

Tief bewegender, wundervoller bilderstarker Film.