Die dunkle Seite des Mondes

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Mondfinsternis

„I’ve always been mad, I know I’ve been mad, like most of us are. Hard to explain why you’re mad, even if you’re not mad.“ Mit Pink Floyds klassischem Album hat Die dunkle Seite des Mondes nicht direkt etwas zu tun – im zugrundeliegenden Roman von Martin Suter wurden immerhin leitmotivisch Lyrics-Zitate verwendet; die Musikrechte wären für die Verfilmung sicherlich viel zu teuer gewesen. Untergründig aber, wenn es um Fragen der Identität, der Entfremdung, des vergeblichen Strebens, des Wahnsinns geht, kann man eine gewisse Floyd-Affinität in dieser Geschichte um Urs Blank (Moritz Bleibtreu) finden, der sich selbst verloren glaubt und feststellen muss, dass er doch nur auf seiner eigenen dunklen Seite umherspaziert.
Einen direkten Link zu „Dark Side of the Moon“ gibt es dann doch noch: Nach einer mystischen Waldwanderung gerät Urs auf einen Flohmarkt und erblickt dort Lucille (Nora von Waldstätten). Auf ihrem T-Shirt dieses Prisma, das den scharfen Lichtstrahl auffächert zum Regenbogen … Diese Platte hatte Urs auch einmal, jetzt ist er Wirtschaftsanwalt, High-Class-Anzugsträger. „Das war eine schleichende Entwicklung“, meint er, bevor er zu Lucille ins Auto steigt und mit ihr anbändelt, gerade weil sie einen völlig komplementären Lebensentwurf hat: Er, der mit den Größen des Pharmabusiness umspringt wie mit Spielfiguren, um die für ihn und seine Auftraggeber günstigsten Fusionsbedingungen rauszuschlagen – und sie in ihrer kleinen Wohnung, die mit posthippieskem Bohème-Charme in den Tag lebt.

Zwei Ereignisse bringen Urs aus der Bahn. Einer der Pharmabosse erschießt sich in seinem Büro – ihn hat er mit einem im letzten Moment der Verhandlungen aus dem Hut gezogenen Haftungsausschluss über den Tisch gezogen – und er besucht mit Lucille eine spirituelle Pilzparty für einen halluzinogenen Entspannungstrip. Der geht nach hinten los und führt direkt zur dunklen Seite – Urs lässt seine Aggressionen raus, immer mal wieder flippt er völlig aus, schlägt Lucille, bricht ihrer Katze das Genick, verursacht einen heftigen Verkehrsunfall und erwürgt Joe, den mit den Pilzen (André Hennicke in einer kleinen, feinen Rolle).

Nun könnte sich dieser Film in die gewohnten Bahnen einschwingen: Der Businesstyp, der sich auf eine freie, freakige Schöne einlässt; der Jekyll, der seinen Dr. Hyde entdeckt – doch so einfach macht es uns Stephan Rick in seinem ersten Kinofilm (nach mehreren TV-Arbeiten) nicht. Denn jenseits von verkorkster Liebesgeschichte und Persönlichkeitsspaltungs-Psychogramm bietet Die dunkle Seite des Mondes auch psychedelische Drogentrips, die Urmystik des deutschen Waldes, eine ausgedehnte Pilzsuche und einen Wirtschaftskrimi um die Jagd nach einem geheimen, böse Machenschaften aufdeckenden Arzneimittelgutachten.

In diesem Film gibt es keinen Guten. Es gibt nur einen, dem die Geschichte folgt – einen, der immer wieder seiner Monsterseite freien Lauf lässt. In Urs‘ Welt der Hochfinanz ist ohnehin jeder des anderen Wolf, mit Jürgen Prochnow als Alphatier an der Spitze; seine Frau kann wenig mit Urs anfangen und zu Lucille kann er nie eine richtige Beziehung aufbauen. Moralisch auf der sicheren Seite ist der Zuschauer mit keinem der Charaktere. Dass wir dennoch diesem Urs folgen, dass er uns nicht loslässt, ist zu keinem geringen Teil Moritz Bleibtreu geschuldet. Er schultert diese Figur mit der ihm eigenen Mischung aus eiskalter Körperlichkeit und wuchtiger Innerlichkeit, er trägt seine Obsessionen offen vor sich her und stellt sich in subtilen Nuancen bloß.

Die Inszenierung – die nebenbei bemerkt ein paar logische Löcher beinhaltet: Die Beerdigung eines Wirtschaftsbosses mit lediglich ein paar wenigen Trauergästen? – steht nie auf dem Boden der Realität und ist dadurch umso mehr in einer mythischen Wahrheit verhaftet: Der Wald spielt eine Rolle, die Stimmungen der Bäume, die Individualität der Stämme – und die wilden Waldbewohner, speziell die Wölfe. Einen davon, der uns in der ersten Filmszene in Großaufnahme ansieht, erschießt Jürgen Prochnow, ein Jäger von Wild und von Menschen, die ihm im Wege stehen; ein anderer, pechschwarz wie im Märchen, wird zum Totemtier für Urs, das ihn in die Tiefen seiner Seele führt – bizarre Felsen, Höhlen, in denen Urs seinem innersten Ich begegnet, um völlig verändert wieder zurückzukehren … Ein Wolf, der Urs auch auf der Suche nach diesem einen Pilz begleitet, dem Safrangelben Sämtling mit der blauen Ader im Stiel, der ihm als Erlösung für all sein Leiden gilt. Wenn Urs diesen Pilz findet, dann wird alles gut. Er vernachlässigt seine Arbeit – einen Pharma-Deal, in dem es um viel Geld, um Medikamentenzulassungen und um völlig unmoralische Wirtschaftskriminalität geht; er verschanzt sich in einem Waldgasthaus, wo er seine Pilzgerichte zubereitet. Und irgendwann, je mehr sich Urs selbst verliert, scheint sich auch der Film zu verlieren, er führt zu Momenten, an denen alles, schlichtweg alles passieren kann. Faszinierend, wie sich Rick immer wieder inszenatorisch aus dem Fenster lehnt, um doch stets auf die richtige Seite zurückzufallen: Bei den plötzlichen Gewaltausbrüchen ebenso wie in den Momenten der Selbsterkenntnis seines Protagonisten; und irgendwann ist es nicht mehr unmöglich, dass die Hauptfigur selbst aus der Erzählung völlig ausscheidet …

Die dunkle Seite des Urs Blank – sie war schon immer da; tritt aber nach dem Pilztrip exzessiv zu Tage. Wo er vorher mit Vertragsklauseln seine Gegenüber knebelte, wendet er nun offen Wut und Cholerik an. Ein verstörendes Psychoporträt in glänzender Besetzung – und nein: Es ist kein wohlfeiles Herumkritteln an der Wirtschaftswelt, in der das „homo homini lupus“ grundsätzliches Prinzip ist, sondern die Geschichte des individuellen Niedergangs eines Mannes, der in den düsteren Ecken der Wirtschaftwelt sein natürliches Habitat gefunden hat. „There is no dark side of the moon really. Matter of fact it’s all dark.“

Die dunkle Seite des Mondes

„I’ve always been mad, I know I’ve been mad, like most of us are. Hard to explain why you’re mad, even if you’re not mad.“ Mit Pink Floyds klassischem Album hat „Die dunkle Seite des Mondes“ nicht direkt etwas zu tun – im zugrundeliegenden Roman von Martin Suter wurden immerhin leitmotivisch Lyrics-Zitate verwendet; die Musikrechte wären für die Verfilmung sicherlich viel zu teuer gewesen.
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Meinungen

Sascha · 12.02.2016

Zwar etwas unentschlossen zwischen Wirtschaftskrimi, Thriller und Midlifecrises pendelnd, aber durch klasse Schauspielerleistungen sehenswert und macht neugierig die literarische Vorlage von M. Suter zu lesen
Sascha